Rechts­schutz­ga­ran­tie durch fal­sche Aus­le­gung des An­trags ver­letzt
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Ein Rich­ter muss den Ver­fah­rens­ge­gen­stand so aus­le­gen, dass er dem Rechts­schutz­ziel des An­trag­stel­lers ge­recht wird. An­de­ren­falls ver­letzt er nach An­sicht des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die Rechts­schutz­ga­ran­tie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Ein ef­fek­ti­ver Rechts­schutz ver­lan­ge eine um­fas­sen­de Wür­di­gung des Vor­trags, haben die Karls­ru­her Rich­ter in einem Fall ent­schie­den, in dem sich ein Ge­fan­ge­ner da­ge­gen wehr­te, dass die JVA einen an ihn ge­rich­te­ten Brief an­hielt.

Brief an­ge­hal­ten

Ein Ge­fan­ge­ner der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt Bützow, der sich sehr für seine Rech­te en­ga­gier­te, bekam einen Brief von der Re­dak­ti­on der Ge­fan­ge­nen­zei­tung "der licht­blick" aus der JVA Tegel in Ber­lin. In dem Schrei­ben nahm der Ab­sen­der unter an­de­rem Bezug auf ein nicht näher be­schrie­be­nes Fehl­ver­hal­ten un­be­nann­ter JVA-Be­am­ter in Bützow. Der dort In­haf­tier­te war be­reits einer um­fas­sen­den Post­kon­trol­le nach § 34 StVollzG MV un­ter­wor­fen wor­den - eine Maß­nah­me, um die vor Ge­richt ge­strit­ten wurde. Die An­stalt hielt den Brief an und teil­te der Re­dak­ti­on mit, dass das Schrei­ben nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG MV "grob un­rich­ti­ge oder er­heb­lich ent­stel­len­de Dar­stel­lun­gen von An­stalts­ver­hält­nis­sen oder grobe Be­lei­di­gun­gen" ent­hal­te. 

An­hal­ten kon­kre­ten Briefs ge­gen­über all­ge­mei­ner Post­kon­trol­le

Der Bützower In­sas­se ver­lang­te vom Land­ge­richt Ros­tock die Fest­stel­lung, dass das An­hal­ten des Briefs rechts­wid­rig ge­we­sen sei und ihn in sei­nen Rech­ten ver­letzt habe. Die­ses ver­wies ihn auf das an­hän­gi­ge Ver­fah­ren wegen der Post­kon­trol­le und wies sei­nen An­trag zu­rück - wegen der dop­pel­ten Rechts­hän­gig­keit fehle es am Fest­stel­lungs­in­ter­es­se. Das Ober­lan­des­ge­richt Ros­tock schloss sich die­ser Ent­schei­dung an. Da­ge­gen erhob der Ge­fan­ge­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - mit Er­folg.

Grund­recht auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz ver­letzt

Die Ver­fas­sungs­rich­ter hoben beide Be­schlüs­se der Fach­ge­rich­te auf und ver­wie­sen die Sache an das Land­ge­richt zu­rück: Ein ef­fek­ti­ver Rechts­schutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei erst dann ge­ge­ben, wenn der Vor­trag des An­trag­stel­len­den voll­um­fäng­lich ge­wür­digt wor­den sei. Der Ge­fan­ge­ne habe dar­auf hin­ge­wie­sen, dass er sich mit dem An­trag gegen das An­hal­ten des Briefs von "der licht­blick" wehre - das ist den Karls­ru­her Rich­tern zu­fol­ge ein an­de­rer Ge­gen­stand als die be­reits an­hän­gi­ge Klage gegen die ge­ne­rel­le Über­wa­chungs­an­ord­nung sei­ner Post. Die Aus­le­gung des Ver­fah­rens­ge­gen­stands, die das Rechts­schutz­ziel des In­haf­tier­ten außer Be­tracht lasse, ver­let­ze sein Grund­recht auf ef­fek­ti­ve Rechts­schutz­ge­wäh­rung. Das Land­ge­richt muss laut der 1. Kam­mer des 2. Se­nats die kon­kre­te An­hal­te­ver­fü­gung hin­sicht­lich des Briefs aus Tegel auf das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 35 StVollzG MV über­prü­fen. Es habe zu be­grün­den, wel­cher In­halt des Briefs wel­chen Tat­be­stand er­fül­le.

BVerfG, Beschluss vom 18.08.2021 - 2 BvR 2181/20

Redaktion beck-aktuell, 14. September 2021.

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