BVerfG: Rechtsreferendarin mit Eilantrag gegen hessisches Kopftuchverbot auf Richterbank gescheitert

Eine muslimische Rechtsreferendarin ist mit ihrem Eilantrag gegen das Verbot in Hessen, bei der Wahrnehmung von Aufgaben, bei denen – wie etwa auf der Richterbank – die Justiz oder der Staat repräsentiert werden, ein Kopftuch zu tragen, vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Das BVerfG hat nach Vornahme einer Folgenabwägung entschieden und dabei den Eingriff in die Glaubensfreiheit dem staatlichen Neutralitätsgebot gegenübergestellt. Das erforderliche Überwiegen der Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung habe nicht festgestellt werden können (Beschluss vom 27.06.2017, Az.: 2 BvR 1333/17).

Referendarinnen in Hessen dürfen auf der Richterbank kein Kopftuch tragen

Die Beschwerdeführerin ist deutsch-marokkanische Staatsangehörige muslimischen Glaubens und trägt als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. Seit Januar 2017 ist sie Rechtsreferendarin im Land Hessen. Gemäß einem Erlass des Hessischen Justizministeriums vom 28.06.2007 in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG Hessen und § 45 HBG dürfen Rechtsreferendarinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen, keine Sitzungsleitungen und Beweisaufnahmen durchführen, keine Sitzungsvertretungen für die Amtsanwaltschaft übernehmen und während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten.

VGH Kassel: Kopftuchverbot rechtmäßig

Im Januar 2017 legte die Beschwerdeführerin beim Präsidenten des Landgerichts erfolglos Beschwerde gegen die ihr aufgrund des getragenen Kopftuchs auferlegten Beschränkungen ein. Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag der Beschwerdeführerin im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes dem Land Hessen auferlegt sicherzustellen, dass die Beschwerdeführerin vorläufig ihre Ausbildung als Rechtsreferendarin vollumfänglich mit Kopftuch wahrnehmen kann. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel (BeckRS 2017, 110950) hat auf die Beschwerde des Landes Hessen den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufgehoben.

BVerfG nimmt Folgenabwägung vor

Das BVerfG hat den Eilantrag nach Vornahme einer Folgenabwägung abgelehnt. Das erforderliche Überwiegen der Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprächen, könne hier nicht festgestellt werden. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, dann wäre die Beschwerdeführerin bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in Grundrechten verletzt.

Kopftuchverbot greift in Glaubensfreiheit ein

Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen bei der Repräsentation der Justiz oder des Staates greife in die individuelle Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ein. Es stelle die Betroffenen vor die Wahl, entweder die angestrebte Tätigkeit auszuüben oder dem Kopftuchverbot Folge zu leisten. Daneben könne ein Verbot die persönliche Identität (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Betroffenen berühren.

Eingriff aber zeitlich und örtlich beschränkt

Das BVerfG weist aber darauf hin, dass das Kopftuchverbot in die Grundrechte der Beschwerdeführerin in zeitlicher sowie örtlicher Hinsicht lediglich begrenzt eingreife, indem die Beschwerdeführerin ausschließlich von der Repräsentation der Justiz oder des Staates ausgeschlossen werde. So erstrecke sich das Verbot etwa auf den Zeitraum einer mündlichen Verhandlung und das Platznehmen hinter der Richterbank. Hingegen blieben die übrigen, weit überwiegenden Ausbildungsinhalte im Rahmen der Einzelausbildung oder der Arbeitsgemeinschaften unberührt.

Staat zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet

Anschließend beleuchtet das BVerfG die Folgen für den Fall, dass die einstweilige Anordnung erginge, die Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg hätte. Dann, so das BVerfG, würden die vom Landesgesetzgeber mit § 27 JAG Hessen in Verbindung mit § 45 HBG verfolgten Belange, die mit denen der Beschwerdeführerin zumindest gleich zu gewichten seien, einstweilen nicht verwirklicht. Der Staat sei zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet. Dies gilt nach der bisherigen BVerfG-Rechtsprechung insbesondere auch für den vom Staat garantierten und gewährleisteten Bereich der Justiz. Das Grundgesetz gewährleiste den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand biete.

Auch Rechtsreferendare müssen staatliches Neutralitätsgebot beachten

Das BVerfG unterstreicht, das auch Rechtsreferendare, die als Repräsentanten staatlicher Gewalt aufträten und als solche wahrgenommen würden, das staatliche Neutralitätsgebot beachten müssen. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge durch Rechtsreferendare könne den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Auftrag der Rechtspflege und der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen. Ein islamisches Kopftuch sei ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Werde es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirke es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedürfe.

Negative Glaubensfreiheit der Prozessbeteiligten zu berücksichtigen

Laut BVerfG ist außerdem die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten zu berücksichtigen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleiste die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Es erscheine nachvollziehbar, wenn sich Prozessbeteiligte, die dem für sie unausweichlichen Zwang ausgesetzt werden, einen Rechtsstreit unter der Beteiligung von Repräsentanten des Staates zu führen, die ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennbar nach außen tragen, in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen.

BVerfG, Beschluss vom 27.06.2017 - 2 BvR 1333/17

Redaktion beck-aktuell, 4. Juli 2017.

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