Keine Kompensation unzureichender Richter-Planstellen durch Abordnungen

Wirkt an einer gerichtlichen Entscheidung ein abgeordneter Richter mit, dessen Abordnung ihren Grund in einer unzureichenden Ausstattung des Gerichts mit planmäßigen Richtern hat, verletzt die Mitwirkung das Recht auf den gesetzlichen Richter. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, die Beschwerde aber nach zwischenzeitlicher Erledigung der sozialgerichtlichen Sache mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zur Entscheidung angenommen.

Mitwirkung mehrjährig abgeordneten SG-Richters am LSG gerügt

Die Beschwerdeführerin machte vor den Sozialgerichten einen Anspruch auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente geltend. Die nach erstinstanzlicher Klageabweisung von ihr im Berufungsrechtszug beantragte Prozesskostenhilfe wurde mangels Erfolgsaussichten aus den Gründen des taggleich erlassenen, die Berufung zurückweisenden Beschlusses abgelehnt. An beiden Beschlüssen hatte ein mehrjährig an das Landessozialgericht abgeordneter Richter am Sozialgericht mitgewirkt. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin, die sich in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt sah. Zwischenzeitlich obsiegte die Beschwerdeführerin nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG durch rechtskräftiges Berufungsurteil überwiegend. Zudem wurde ihr Prozesskostenhilfe für den gesamten Berufungsrechtszug bewilligt.

BVerfG: Kein Rechtsschutzbedürfnis mehr nach Erledigung, aber Kostenerstattung wegen ursprünglicher Erfolgsaussicht

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie habe mangels Zulässigkeit keine Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin treffe insoweit kein durch Prozesskostenhilfe abzudeckendes Kostenrisiko mehr, weil sie aufgrund des rechtskräftigen Berufungsurteils endgültig einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Prozessgegnerin erhalten habe und ihr im Übrigen nunmehr Prozesskostenhilfe für den gesamten Berufungsrechtszug bewilligt worden sei. Sie hätte deswegen ergänzend vortragen müssen, ob und inwieweit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde fortbesteht. Hieran fehle es. Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse bestehe auch nicht deshalb, weil verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären wären. Die grundsätzlichen Fragen zur Vereinbarkeit des Einsatzes abgeordneter Richterinnen und Richter mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) seien in der BVerfG-Rechtsprechung geklärt. Das BVerfG hat allerdings angeordnet, dass der Beschwerdeführerin trotz der Erfolglosigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde ihre notwendigen Auslagen zu erstatten sind. Denn ihre Verfassungsbeschwerde habe Aussicht auf Erfolg gehabt.

Keine Kompensation unzureichender Ausstattung des Gerichts mit planmäßigen Richtern durch Abordnungen

Wegen der Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für den Rechtsschutzauftrag der Gerichte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz seien die Gerichte grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern zu besetzen. Hätten bei einer Entscheidung ohne zwingende Gründe Richter mitgewirkt, die nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt seien, so sei das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Solche zwingenden Gründe lägen etwa dann vor, wenn Richter zur Eignungserprobung abgeordnet würden oder wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter durch die im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter nicht hinreichend ersetzt werden könnten oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten sei. Die Verwendung nicht vollständig persönlich unabhängiger Richter sei demgegenüber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts nicht bewältigt werden könne, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet sei oder weil die Justizverwaltung es versäumt habe, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen.

Grundsätze gelten auch für Abordnung von auf Lebenszeit ernannten Richtern

Diese Grundsätze finden auch auf die Abordnung von auf Lebenszeit ernannten Richterinnen und Richtern Anwendung. Denn soweit das Abordnungsverhältnis betroffen sei, verfügten auch diese nicht über persönliche Unabhängigkeit im Sinn des Art. 97 Abs. 2 GG. Die Entscheidung über eine Abordnung sowie über sich gegebenenfalls anschließende Folgeabordnungen obliege der Justizverwaltung. Dieser eröffne sich so der kontrollierende Zugriff darüber, ob ein abordnungswilliger Richter seine Tätigkeit an einem anderen Gericht aufnehmen oder dort fortführen dürfe. Mit der Begrenzung solcher Einwirkungsmöglichkeiten solle der Gefahr des "Belohnens" oder "Abstrafens" für ein bestimmtes Entscheidungsverhalten begegnet werden. Hinzu komme, dass die richterliche Unabhängigkeit auch durch die amtsangemessene Besoldung der Richterinnen und Richter zu gewährleisten sei. Damit geriete es laut BVerfG in Konflikt, wenn Richterinnen und Richter, auch wenn sie bereits auf Lebenszeit ernannt seien, auf Grundlage einer Abordnung auf Dauer die Tätigkeit eines statushöheren Amtes ausübten.

Hier LSG strukturell unzureichend mit Planstellen ausgestattet

Die Feststellung eines – eine Abordnung rechtfertigenden – zeitweiligen außergewöhnlichen Arbeitsanfalls in Abgrenzung zu einer unzureichenden Ausstattung des Gerichts mit planmäßigen Richterinnen und Richtern erfordert laut BVerfG eine Prognose, die an der für einen überschaubaren Zeitraum zu erwartenden Eingangsbelastung zu orientieren ist. Eine zu erwartende Dauerbelastung des Gerichts könne die Abordnung eines planmäßigen Richters – auch nicht in der Erwartung, diese werde sich in fernerer Zukunft reduzieren – nicht rechtfertigen. Hier habe der mehrjährige Einsatz des abgeordneten Richters auf einer strukturell unzureichenden Planstellenausstattung des LSG Mecklenburg-Vorpommern beruht und so eine (Folge-)Abordnung nicht rechtfertigen können. Die Beschwerdeführerin sei deshalb durch den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt gewesen.

BVerfG, Beschluss vom 10.11.2022 - 1 BvR 1623/17

Redaktion beck-aktuell, 9. Januar 2023.

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