"Rasertatbestand" des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verfassungskonform
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Der Straftatbestand des 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, der sogenannte Einzelrennen unter Strafe stellt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Der Gesetzgeber habe den Tatbestand hinreichend konkretisiert und so dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG Genüge getan. Dies gelte auch für das subjektive Tatbestandsmerkmal "um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen". 

Angeklagter floh mit hoher Geschwindigkeit vor der Polizei

Dem Angeschuldigten des Ausgangsverfahrens wird unter anderem eine Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zur Last gelegt. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Angeklagt ist im Wesentlichen eine drei bis vier Minuten andauernde Polizeifluchtfahrt des Angeschuldigten, bei der er - teils innerhalb geschlossener Ortschaften - Geschwindigkeiten zwischen 80 und 100 km/h erreicht, dabei nacheinander insgesamt vier Lichtzeichenanlagen überfahren haben und mit einem Verkehrsteiler kollidiert sein soll. Dem Angeschuldigten sei es während der Verfolgungsfahrt durchgehend darauf an, unter Berücksichtigung der Verkehrslage und der Motorisierung seines Fahrzeugs möglichst schnell zu fahren, um auf diese Weise die ihn verfolgenden Polizeibeamten abzuschütteln. Das Amtsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verfassungsgemäß ist. Nach Auffassung des AG verstößt die Norm gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz.

BVerfG§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hinreichend bestimmt

Laut BVerfG ist § 315d Abs.1 Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Norm genüge dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Dies gelte auch für den vom Gesetzgeber neu eingeführten Begriff der "höchstmöglichen Geschwindigkeit". Dieser könne im Rahmen seines Wortsinns methodengerecht ausgelegt werden. Zur Bestimmung der Parameter, nach welchen sich die "höchstmögliche Geschwindigkeit" bemesse, könnten die Gesetzesmaterialien herangezogen werden, die ausdrücklich auf die Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse verwiesen. Ferner lasse die Formulierung des Absichtsmerkmals eine Auslegung zu, nach der es nicht darauf ankomme, ob sich der Täter allein mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, fortbewege oder noch weitergehende Beweggründe - wie beispielsweise die Flucht vor der Polizei oder den Wunsch nach öffentlicher Anerkennung durch späteres Einstellen eines Videos ins Internet - verfolge.

Auslegung durch BGH nicht zu beanstanden

Soweit das Absichtsmerkmal mit Blick auf die Abgrenzung zu noch straffreiem, allerdings womöglich nicht umfassend normkonformem oder rücksichtsvollem Verhalten im Straßenverkehr verbleibende Randunschärfen enthalte, sei es einer Präzisierung durch die Rechtsprechung innerhalb des Wortsinns zugänglich, so das BVerfG weiter. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Interpretation des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sei eine mögliche und methodengerechte Auslegung der Strafnorm.Wenn der BGH davon ausgehe, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen müsse und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschöpfen dürfe, halte er sich im Rahmen der Wortlautgrenze des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und stelle methodengerecht auf die objektive Gefahrenlage ab. Er nehme Verhaltensweisen im Straßenverkehr von der Strafbarkeit aus, die nach den Vorstellungen des Täters zwar auf das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit zielen, sich aber subjektiv nur auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten unerhebliche Wegstrecke bezögen und damit im Grad der abstrakten Gefahr nicht mit einem Kraftfahrzeugrennen vergleichbar seien. Diese Auslegung stehe im Einklang mit gesetzessystematischen und teleologischen Erwägungen.

Keine unzulässige Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen

Laut BVerfG hat diese Interpretation des Straftatbestands des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auch keine Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen, die der Gesetzgeber eingrenzend verstanden habe, zur Folge. Insbesondere berücksichtige sie, dass das Absichtserfordernis nicht in der Definition der übrigen Tatbestandsmerkmale aufgehen dürfe. Dies sei für die beiden objektiven Tatbestandsmerkmale der nicht angepassten Geschwindigkeit und der groben Verkehrswidrigkeit bereits deshalb nicht der Fall, weil das Absichtserfordernis überschießend über die für diese beiden objektiven Tatbestandsmerkmale geforderte Vorsatzform des dolus eventualis hinausgehe. Das übersehe das vorlegende Gericht, das sich letztlich auf eine eigene (verschleifende) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB beschränke, die es sodann am Verbot einer solchen Verschleifung messe.

Eingriff auch verhältnismäßig

Schließlich sei der Eingriff der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG auch verhältnismäßig. Denn die Belange des Gemeinschaftsschutzes überwögen hier die Auswirkungen der Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auf die allgemeine Handlungsfreiheit. Dahinter müsse das Interesse, sich unter Verletzung der Straßenverkehrsordnung sowie der Missachtung von Rücksichtnahmepflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern mit höchstmöglicher Geschwindigkeit fortbewegen zu wollen, zurücktreten, so das BVerfG.

BVerfG, Beschluss vom 09.02.2022 - 2 BvL 1/20

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2022.