Polizeigesetz Mecklenburg-Vorpommern teilweise verfassungswidrig
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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das 2020 reformierte Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Mehrere Regelungen zu heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Polizei genügten nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Die beanstandeten Regelungen gelten überwiegend nach einschränkenden Maßgaben fort, müssen vom Gesetzgeber aber bis Ende des Jahres nachgebessert werden.

Regelungen zu heimlichen (Überwachungs-)Maßnahmen angegriffen

2020 wurde das Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern (SOG MV) novelliert, es traten Neuregelungen verschiedener Ermittlungsbefugnisse in Kraft. Eine Anwältin, ein Journalist, eine Klima- und Umwelt-Aktivistin, ein Sozialarbeiter und ein in der Fan-Szene aktiver Fußballfan rügten mit ihrer Verfassungsbeschwerde verschiedene Regelungen zu heimlichen (Überwachungs-)Maßnahmen (unter anderem zur Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, TK-Überwachung und zum Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern), beanstandeten aber überwiegend nur Teile der Vorschriften.

Eingriffsschwellen erfüllen Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht

Das BVerfG hat mehrere Regelungen des reformierten SOG MV für verfassungswidrig erachtet. Was den Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung (längerfristige Observation, verdeckter Einsatz technischer Mittel, Einsatz von Vertrauenspersonen und von verdeckten Ermittlern) angehe, könne dies zur Abwehr entsprechend gewichtiger Gefahren grundsätzlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die im SOG MV vorgesehenen Eingriffsschwellen genügten aber nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Sie blieben hinter den Anforderungen an eine wenigstens konkretisierte Gefahr zurück.

Kernbereichsschutz bei Einsatz von verdeckten Ermittlern zu schwach

Auch die Regelung zum Kernbereichsschutz beim Einsatz von verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen beanstandet das BVerfG. Dabei hatte es nur die Ausnahme von der Abbruchpflicht bei Erfassen von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zu überprüfen. Laut BVerfG muss dem Kernbereichsschutz bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen auf zwei Ebenen Rechnung getragen werden. Auf der ersten Ebene der Datenerhebung seien Vorkehrungen zu treffen, die nach Möglichkeit ausschließen, dass Kernbereichsinformationen miterfasst werden. Wenn eine Maßnahme dennoch den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühre, müsse die kernbereichsrelevante Kommunikation oder Interaktion grundsätzlich abgebrochen werden. Eine Ausnahme vom Abbruchgebot könne verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sein, wenn ein Abbruch der Maßnahme den verdeckten Ermittler oder die Vertrauensperson an Leib oder Leben, ihren weiteren Einsatz oder ihre künftige Verwendung gefährden könnte. Der Gefährdungsvorbehalt im SOG MV sei aber zu unklar. Auf der zweiten Ebene der nachgelagerten Auswertung und Verwertung seien die Folgen, wenn dennoch der Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt sei, strikt zu minimieren. Auch an den gebotenen Vorkehrungen auf dieser Ebene fehle es.

Ungenügend ausgestaltete Eingriffsschwellen

Die präventive Eingriffsbefugnis zur akustischen und optischen Wohnraumüberwachung werde den Anforderungen des Art. 13 Abs. 4 GG nicht gerecht, da die vorgesehenen Eingriffsschwellen an den Voraussetzungen einer konkretisierten Gefahr orientiert seien, Art. 13 Abs. 4 GG aber eine dringende Gefahr voraussetze. Außerdem könne die konkretisierte Gefahr der Begehung einer Vorfeldtat ausreichen, was die Eingriffsschwelle in verfassungswidriger Weise weiter absenke. Auch bei der Online-Durchsuchung sowie bei TK-Überwachung und der Quellen-TK-Überwachung moniert das BVerfG die Eingriffsschwellen. Auch die Ausgestaltung der Ermächtigung zum verdeckten Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Durchführung dieser Maßnahmen genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Diese heimliche Vorbereitungshandlung könne weder auf Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 GG gestützt werden. Allerdings komme Art. 13 Abs. 7 GG als verfassungsrechtliche Grundlage in Betracht, wenn wenigstens eine konkretisierte Gefahr für ein Rechtsgut von sehr hohem Gewicht vorliege und eine richterliche Anordnung erfolgt sei. Dem genügten die Regelungen im SOG MV nicht. Bei der Regelung zur Rasterfahndung reiche die Eingriffsschwelle ebenfalls nicht aus. Anders als bei anderen heimlichen, eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen, bei denen eine konkretisierte Gefahr ausreiche, sei die Rasterfahndung nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr zu rechtfertigen, da sie gegenüber einzelnen Betroffenen anlasslos erfolgt. Ferner sei die Regelung im SOG MV nicht normenklar.

BVerfG, Beschluss vom 09.12.2022 - 1 BvR 1345/21

Redaktion beck-aktuell, 1. Februar 2023.