BVerfG: Organklage der Linken gegen Anti-IS-Einsatz unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat den Organstreitantrag der Linksfraktion im Bundestag gegen den Einsatz der Bundeswehr zur Bekämpfung der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) als unzulässig verworfen. Die von der Fraktion behauptete Verletzung von Rechten des Bundestags sei von vornherein ausgeschlossen, so das BVerfG. Die Linken hatten gerügt, dass der Einsatz nicht im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolge (Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 2 BvE 2/16).

Frankreich berief sich nach Anschlägen in Paris auf Beistandsklausel

Nach den terroristischen Anschlägen in Paris am 13.11.2015 berief sich Frankreich auf den Beistandsfall in Art. 42 Abs. 7 EUV. Die EU-Staaten versicherten ihre Solidarität. Am 20.11.2015 verurteilte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2249 (2015) die Anschläge und ordnete den IS als "weltweite und beispiellose Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" ein. Er forderte die Mitgliedstaaten auf, unter Einhaltung des Völkerrechts in dem unter der Kontrolle des IS stehenden Gebiet in Syrien und im Irak alle notwendigen Maßnahmen zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen zu ergreifen und den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den der IS dort in erheblichen Teilen geschaffen habe.

Regierung beschloss Anti-IS-Einsatz - Bundestag stimmte zu

Am 01.12.2015 beschloss die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte zur Teilnahme an der Anti-IS-Koalition und berief sich auf Art. 24 Abs. 2 GG, auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta, die Sicherheitsratsresolution 2249 (2015) vom 20.11.2015 und die in Art. 42 Abs. 7 EUV verankerte Beistandsklausel sowie die Einwilligung des Irak. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Einsatz mit Beschluss vom 04.12.2015 zu. Der Einsatz umfasst unter anderem die Bereitstellung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen, von Tankflugzeugen und von Personal in Stäben und Hauptquartieren sowie an Bord von AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeugen der NATO. Das Mandat für den Einsatz wurde zuletzt durch Bundestagsbeschluss vom 18.10.2018 verlängert und gilt bis zum 31.10.2019 fort.

Linksfraktion erhob Organklage gegen Bundeswehreinsatz

Die Bundestagsfraktion Die Linke begehrte im Weg des Organstreitverfahrens die Feststellung, dass Bundesregierung und Bundestag die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Beschlussfassung über den Einsatz der Bundeswehr verletzt hätten.

BVerfG: Organstreitantrag unzulässig

Das BVerfG hat den Antrag mangels Antragsbefugnis als unzulässig verworfen. Die Antragstellerin habe die Möglichkeit, dass der Deutsche Bundestag durch den Anti-IS-Einsatz in ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt sein könnte (§ 64 Abs. 1 BVerfGG), nicht substantiiert dargelegt. Die von ihr behauptete Verletzung von Gesetzgebungsrechten des Bundestages aus Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erscheine von vornherein ausgeschlossen.

Keine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit im Organstreitverfahren

Ihre Rüge, Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sei verletzt, weil der Anti-IS-Einsatz nicht innerhalb eines anerkannten Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolge und zur Begründung eines demnach erforderlichen Systems der Bundestag beteiligt werden müsse, genüge nicht zur Darlegung einer Verletzung der Rechte des Bundestages. Denn damit rüge sie in der Sache, dass entgegen der Annahme von Bundesregierung und Bundestag ein System nach Art. 24 Abs. 2 GG für den Anti-IS-Einsatz nicht besteht, aber erforderlich ist, so das BVerfG. Damit versuche sie, die Betroffenheit organschaftlicher Rechte des Bundestages aus der bloßen Stellung des Parlaments als (Vertrags)Gesetzgeber - unabhängig von dem Abschluss oder Vollzug eines Vertrages durch die Bundesregierung - abzuleiten. Diese Stellung räume dem Bundestag aber für sich genommen kein eigenes Recht im Sinn des § 64 Abs. 1 BVerfGG ein, weil andernfalls im Weg des Organstreitverfahrens eine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens der Exekutive ermöglicht würde.

Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten Sache des Gesetzgebers

Laut BVerfG kann auch das von der Antragstellerin in den Raum gestellte Bedürfnis nach einer extensiveren Konzeption des Organstreits, weil die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen von Einsätzen der Streitkräfte sonst schutzlos der Exekutive überantwortet würde, ihre Antragsbefugnis nicht begründen. Die Entscheidung über Auslandseinsätze sei über die Grundsätze des verfassungsrechtlich verankerten Parlamentsvorbehalts nicht der Exekutive, sondern dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut. Zudem rechtfertige die verfassungsrechtliche Bedeutung einer Maßnahme nicht die Bildung weiterer oder die Ausweitung bestehender verfassungsgerichtlicher Verfahrensarten entgegen dem im Grundgesetz verankerten Enumerationsprinzip. Es sei Aufgabe des Verfassungsgesetzgebers und nicht des BVerfG, neue Verfahrensarten zu schaffen, um Wertungswidersprüche, wie sie die Antragstellerin behauptet, entgegenzuwirken.

Völkerrechtliche Einschätzung der Regierung nur auf Vertretbarkeit überprüfbar

Das BVerfG kann auch nicht erkennen, dass der Anti-IS-Einsatz die Integrationsgrenzen des Vertragsgesetzes zur UN-Charta überschreitet. Dabei komme es nicht darauf an, ob das BVerfG die dem gerügten Handeln zugrundeliegende völkerrechtliche Einschätzung der Antragsgegner teilt. Die Prüfung beschränke sich vielmehr grundsätzlich darauf, ob die Annahmen außerhalb des Vertretbaren liegen. Die vertretbare Interpretation von Rechten und Pflichten in einem System nach Art. 24 Abs. 2 GG und das Handeln in einem solchen System auch in Reaktion auf neue Sicherheitsherausforderungen sei Aufgabe der Bundesregierung und bewege sich regelmäßig innerhalb des vertragsgesetzlichen Ermächtigungsrahmens.

Anwendung des UN-Selbstverteidigungsrechts auf Anti-IS-Einsatz vertretbar

Soweit die Antragstellerin rüge, dass die Grenzen des Vertragsgesetzes zur UN-Charta dadurch überschritten würden, dass Art. 51 UN-Charta von den Antragsgegnern unvertretbar weit ausgelegt worden sei, ist eine solche unvertretbare Auslegung für das BVerfG nicht ersichtlich. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck des Art. 51 UN-Charta sperrten sich gegen die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe territorial verfestigter nichtstaatlicher Akteure auf dem Gebiet eines Drittstaats. Auch die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs, die eine faktische Orientierungswirkung über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus habe, als völkerrechtliche Rechtserkenntnisquelle nach Art. 38 Abs. 1 Buchstabe d IGH-Statut diene und unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes von deutschen Gerichten zu berücksichtigen sei, stehe dem nicht entgegen.

Einordnung der EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit vertretbar

Eine Überschreitung der Integrationsgrenzen des Gesetzes zum Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 ist dem BVerfG zufolge ebenfalls ausgeschlossen. Die BVerfG-Rechtsprechung sei, anders als die Antragstellerin meine, nicht dahingehend zu verstehen, dass die Europäische Union grundsätzlich nicht als System im Sinn von Art. 24 Abs. 2 GG eingeordnet werden kann. Vielmehr sei es zumindest vertretbar, die Europäische Union als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzusehen.

Anwendung der Beistandsklausel bei terroristischem Angriff gegen Mitgliedstaat vertretbar

Ein Streitkräfteeinsatz auf der Grundlage der Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV sei verfassungsrechtlich dem Grunde nach jedenfalls nicht ausgeschlossen, so das BVerfG weiter. Diese verweise auf das in der UN-Charta angelegte Selbstverteidigungsrecht, so dass die Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 42 Abs. 7 EUV auch insoweit vertretbar erscheint. Zur Zeit der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag über die Europäische Union im Jahr 2007, als das Bedrohungspotenzial, das von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen könne, der internationalen Gemeinschaft infolge der Anschläge am 11.09.2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits sehr bewusst gewesen sei, sei vorhersehbar gewesen, dass zukünftig, wie im vorliegenden Fall, ein terroristischer Angriff gegen einen Mitgliedstaat tatbestandlich unter die Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV gefasst werden könnte. Auch auf der Rechtsfolgenseite sei nicht ersichtlich, dass der Anti-IS-Einsatz angesichts der dem Wortlaut des Art. 42 Abs. 7 EUV zu entnehmenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem angegriffenen Mitglied alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung zu leisten, die Grenzen dessen überschreite, was im Rahmen eines Beistandsfalls gemäß Art. 42 Abs. 7 EUV zu erwarten gewesen sei.

BVerfG, Beschluss vom 17.09.2019 - 2 BvE 2/16

Redaktion beck-aktuell, 10. Oktober 2019.

Mehr zum Thema