Verlegerin zu Abdruck einer Gegendarstellung verurteilt
Die Beschwerdeführerin verlegt die Zeitschrift "Woche der Frau". 2012 publizierte sie auf der Titelseite der Zeitschrift die auf einen Fernsehmoderator bezogene Frage: "Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?" Der zugehörige Artikel stellte dar, dass ein ehemaliger Klassenkamerad des Moderators 1982 einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwischen beiden bereits seit längerem kein Kontakt mehr bestanden, was der Beschwerdeführerin bekannt war. Sie wurde letztinstanzlich durch das OLG Zweibrücken zum Abdruck einer Gegendarstellung des Moderators verurteilt.
Erste Verfassungsbeschwerde erfolgreich
Auf eine erste Verfassungsbeschwerde hin hob das BVerfG die Entscheidungen auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück, da die Fachgerichte sich nicht in einer den Anforderungen des Grundgesetzes genügenden Weise mit der Einordnung des Fragesatzes auf der Titelseite auseinandergesetzt hätten, insbesondere damit, ob er eine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung enthalte.
OLG erlegte Verlegerin nach Abdruck der Gegendarstellung Kosten auf
Da die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich die Gegendarstellung abgedruckt hatte, erklärte der Verfügungskläger das Ausgangsverfahren für erledigt. Das OLG erkannte letztinstanzlich auf Feststellung der Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens und erlegte der Beschwerdeführerin die Kosten auf, weil die Beschwerdeführerin zu Recht zur Gegendarstellung verpflichtet worden sei (BeckRS 2015, 02070). Dagegen wendete sich diese mit ihrer erneuten Verfassungsbeschwerde.
BVerfG: Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die Sache an das OLG Zweibrücken zurückverwiesen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Beschwerdeführerin beeinträchtige diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukomme, sei eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen.
Pressefreiheit bei Auslegung des Gegendarstellungsanspruchs nicht ausreichend beachtet
Das BVerfG erachtet den Eingriff auch nicht für gerechtfertigt. Das OLG habe bei der Auslegung der Grundrechtsschranke des § 11 Landesmediengesetz (LMG) Rheinland-Pfalz die Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet. Gegendarstellungsfähig seien nach dieser Vorschrift nur Tatsachen, die die Presse zuvor behauptet habe. Wenn demgegenüber eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsse, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung vorangegangen sei, sei die Pressefreiheit verletzt. Ebenso liege ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, obwohl es sich bei der ursprünglichen Veröffentlichung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt.
Gegendarstellungsrecht begrenztes Instrument gegen Tatsachenbehauptungen
Wie das BVerfG erläutert, ist das Gegendarstellungsrecht vom Gesetzgeber als ein begrenztes Instrument ausgestaltet. Es solle Betroffenen ermöglichen, Tatsachenbehauptungen, die über sie verbreitet würden, unmittelbar inhaltlich entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu ziehen. Dabei handele es sich um ein Schutzinstrument, das bewusst unabhängig von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen und damit grundsätzlich unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der Äußerung gewährt werde. Der Betroffene solle so die Möglichkeit bekommen, die Frage der Wahrheit vorläufig in die Schwebe zu bringen. Die Frage, welche Darstellung letztlich wahr sei und wie weit ein Betroffener erzwingen könne, dass der Äußernde von seiner Äußerung inhaltlich abrücken oder sie zukünftig unterlassen muss, sei dann erforderlichenfalls in anderen Verfahren, etwa im Rahmen einer Unterlassungs- oder Widerrufsklage, zu klären.
Streitiger Frage fehlt hinreichender tatsächlicher Gehalt
Laut BVerfG kann der ermittelte Sinngehalt der streitigen Titelseitenüberschrift danach keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Es habe sich um eine Frage ohne einen hinreichenden tatsächlichen Gehalt gehandelt. Die Struktur des Gegendarstellungsrechts werde verlassen, wenn das OLG in eine offene Aufmacherfrage die verdeckte Tatsachenbehauptung interpretiert, dass für das Aufwerfen der Frage hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden.
An Fragen anknüpfende Gegendarstellungen nicht stets ausgeschlossen
Zwar sei es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass ein Gegendarstellungsverlangen in Anknüpfung an verdeckte Tatsachenbehauptungen gewährt werden kann. Ergebe eine den Maßgaben der Pressefreiheit genügende Sinnermittlung der ursprünglichen Veröffentlichung, dass sich dem verständigen Empfänger aus dem Gesamtzusammenhang einer Presseberichterstattung der Eindruck bestimmter Behauptungen unabweisbar aufdrängt, könne hiergegen auch eine Eindrucksgegendarstellung zulässig sein. Voraussetzung sei allerdings, dass sich der Eindruck auf bestimmte Tatsachen bezieht. Auch Gegendarstellungen, die an Fragen anknüpften, seien danach unter Umständen verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen.
Fragen enthalten aber regelmäßig keine Tatsachenbehauptungen
Das BVerfG unterstreicht aber, dass Fragen in der Regel auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten seien. Sie seien nicht gegendarstellungsfähig, denn Tatsachen würden nicht behauptet, sondern allenfalls gesucht. Allein der Eindruck, dass für das Aufwerfen einer inhaltlich offenen Aufmacherfrage irgendein Anlass bestehen müsse, genüge danach zur Annahme einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung nicht. Jede Frage enthalte, indem sie sich auf einen bestimmten Gegenstand beziehe, ausgesprochen oder unausgesprochen Annahmen tatsächlicher oder wertender Art über ihren Gegenstand. In dem diffusen Hervorrufen einer solchen Annahme liege jedoch nicht die Verbreitung einer eigenständigen Information mit einem bestimmten Inhalt, dessen Wahrheitsgehalt im Sinne des Gegendarstellungsrechts vorläufig in die Schwebe gebracht werden könnte.
Inkongruenter Gegendarstellungstext spiegelt Wahrheitsunabhängigkeit der streitigen Frage
Solche Aufmacherfragen könnten das Problem aufwerfen, ob oder wieweit die betroffenen Personen zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden dürfen, nicht aber das Problem der Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Aussagen, so das BVerfG weiter. Das spiegele sich auch in der Schwierigkeit, einen als Gegendarstellung kongruenten Text für solche Fälle zu formulieren. Die Gegendarstellung, zu deren Abdruck die Beschwerdeführerin durch das der Kostenentscheidung zugrunde liegende Urteil verpflichtet worden sei, verfehle jedenfalls die diesbezüglichen Anforderungen. Die als Gegendarstellung formulierte Behauptung, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, seinen Freund zu retten, treffe die Aufmacherüberschrift nicht. Denn dass der Kläger eine solche Möglichkeit gehabt habe, habe die Beschwerdeführerin nie behauptet.
Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Aufmacherfragen mit Unterlassungs- und Schmerzensgeldansprüchen zu begegnen
Das BVerfG weist darauf hin, dass aber ein Schutzbedürfnis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gegenüber Aufmacherfragen bestehen. Sofern diese – wie hier – keine bestimmten Tatsachenbehauptungen enthielten, sei dem Schutzbedürfnis der Betroffenen durch andere presserechtliche Institute Rechnung zu tragen. Der unberechtigten Erörterung ehrverletzender Fragen oder privater Angelegenheiten, auch in der Einkleidung von Aufmacherfragen, könne insbesondere mit der Unterlassungsklage entgegengetreten werden. Soweit Äußerungen in Frage stünden, die allein zur Steigerung des Umsatzes bewusst falsch oder bewusst ohne jede Berechtigung auf Kosten Dritter getroffen würden, komme auch die Anerkennung einer Entschädigung in Betracht, die künftig zu einem wirksamen Schutz führe.