BVerfG: Niedersächsische Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter verfassungswidrig

Die Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter darf sich nicht lediglich an der freiwilligen Teilzeitbeschäftigung orientieren, sondern muss an der Vollzeitbesoldung ausgerichtet werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.11.2018 entschieden und niedersächsische Besoldungsregelungen für verfassungswidrig erklärt. Der Landesgesetzgeber muss nun mit Wirkung spätestens zum 01.01.2020 eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen (Az.: 2 BvL 3/15).

Teilzeitbesoldung für begrenzt dienstfähige niedersächsische Beamte maßgeblich

Nach den verfahrensgegenständlichen Besoldungsvorschriften des Landes Niedersachsen erhalten begrenzt dienstfähige Beamtinnen, Beamte, Richterinnen und Richter, die in vollem zeitlichen Umfang ihrer Dienstfähigkeit Dienst leisten, Dienstbezüge wie bei einer freiwilligen Teilzeitbeschäftigung, mindestens jedoch in Höhe des Ruhegehalts, das ihnen bei Versetzung in den Ruhestand zustünde. Hinzu kommt ein Zuschlag, der sich grundsätzlich auf 5% der Vollzeitbezüge beläuft. Dieser Zuschlag konnte bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 2015 unter bestimmten Umständen vollständig aufgezehrt werden, seither beträgt er monatlich mindestens 150 Euro.

Begrenzt dienstfähige Lehrerin beanstandete Besoldung

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens steht seit 1993 als Lehrerin (Besoldungsgruppe A 13) im Dienst des Landes Niedersachsen. 2003 wurde sie wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Auf ihren Antrag hin wurde sie 2007 erneut in das Beamtenverhältnis berufen, wobei die von ihr zu unterrichtende Wochenstundenzahl entsprechend der festgestellten begrenzten Dienstfähigkeit um 50% ermäßigt wurde. Sie erhielt Bezüge entsprechend denen einer Teilzeitbeschäftigten (50% der Vollzeitbezüge). Diese waren höher als ihr bis dahin erdientes Ruhegehalt. Ein Zuschlag wurde ihr zunächst unter Hinweis auf die Aufzehrungsregelung verwehrt. Nach der Gesetzesänderung im Jahr 2015 wurde der Klägerin rückwirkend der Mindestzuschlag ausgezahlt. Die Klägerin erachtete die ihr als begrenzt dienstfähige Beamtin gewährte Besoldung für verfassungswidrig zu niedrig bemessen.

BVerwG rief BVerfG an

Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren mit Beschluss vom 18.06.2015 aus und legte dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 24 Abs. 1 NBesG 2014 und § 24 Abs. 1 NBesG 2015 mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sind.

BVerfG: Vollzeitbesoldung für Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter maßgeblich

Das BVerfG hat die niedersächsischen Regelungen zur Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter (§ 24 Abs. 1 NBesG 2014, § 24 Abs. 1 NBesG 2015 und § 12 Abs. 1 bis 3 NBesG 2017) für unvereinbar mit Art. 33 Abs. 5 GG erklärt. Die Regelungen verstießen gegen das Alimentationsprinzip, da sich die Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter nicht an der Teilzeitbesoldung orientieren dürfe, sondern an der Vollzeitbesoldung ausrichten müsse. Zwar dürfe der Gesetzgeber die durch die begrenzte Dienstfähigkeit eingetretene Störung des wechselseitigen Pflichtengefüges besoldungsmindernd berücksichtigen und auch Fehlanreizen für eine verfrühte Pensionierung entgegenwirken. Denn die Herabsetzung der Arbeitszeit bei begrenzt dienstfähigen Beamten sei bei funktionaler Betrachtung mit einer teilweisen Zurruhesetzung vergleichbar. Anders als bei einer Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit blieben begrenzt dienstfähige Beamte aber aktive Beamte, die weiterhin zur vollen Hingabe ihrer Arbeitskraft und zur loyalen Ausübung ihres Amtes verpflichtet seien. Daher müsse sich ihre Besoldung an der Vollzeitbesoldung orientieren, wenn sie dieser Verpflichtung im Umfang ihrer verbliebenen Arbeitskraft nachkommen. Die Besoldung dürfe sich daher nicht allzu weit von dem Niveau entfernen, das der Gesetzgeber selbst als dem jeweiligen Amt angemessen erachtet habe.

Niedersächsische Regelung an Teilzeitbesoldung orientiert

Laut BVerfG entfernt sich die Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter nach den genannten Regelungen zu weit von der für amtsangemessen erachteten Vollzeitbesoldung. Zu § 24 Abs. 1 NBesG 2015 führt das Gericht aus, dass bei einer auf 50% begrenzten Dienstfähigkeit die Besoldung der betroffen Beamten und Richter der Besoldungsgruppen A 11, A 13 und R 1 auch nach einer Dienstzeit von 25 Jahren bei nur rund 60% der Vollzeitbezüge liege. Selbst im 35. Dienstjahr würden nur rund zwei Drittel der Vollzeitbezüge erreicht. Der Gesetzgeber habe sich folglich nicht nur gesetzestechnisch, sondern auch vom erreichten Besoldungsniveau her an der Teilzeit- und nicht an der Vollzeitbesoldung orientiert.

Risiko verfrühter (Teil-)Dienstunfähigkeit auf Beamten abgewälzt

Er habe die bestehende Konfliktlage einseitig zu Lasten der Beamten aufgelöst, moniert das BVerfG. Ihnen bürde er das jedem Beamtenverhältnis immanente wirtschaftliche Risiko der verfrühten (Teil-)Dienstunfähigkeit im Wesentlichen alleine auf. Denn sie hätten selbst dann eine Gehaltseinbuße von rund zwei Dritteln der Differenz zwischen Vollzeit- und Teilzeitbesoldung hinzunehmen, wenn sie zuvor ihre gesamte Arbeitskraft über 35 Jahre hinweg dem Dienstherrn zur Verfügung gestellt haben. Der Zuschlag des Dienstherrn belaufe sich in diesen Fällen auf nur rund 16% beziehungsweise 17% der Vollzeitbezüge. Trete die begrenzte Dienstfähigkeit nach 25 oder 15 Dienstjahren ein, erlitten die Beamten sogar einen Einkommensausfall im Umfang von bis zu 80% beziehungsweise 90% der Differenz zwischen Teilzeit- und Vollzeitbezügen.

BVerfG verweist auf Lastenteilung in anderen Bundesländern

Das BVerfG weist demgegenüber auf andere Bundesländer hin, in denen sich Dienstherr und begrenzt dienstfähige Beamte die Differenz zwischen den der verbliebenen Dienstfähigkeit entsprechenden Teilzeitbezügen und den Vollzeitbezügen hälftig teilten: Die Beamten müssten bei einer verbliebenen Dienstfähigkeit von 50% auf ein Viertel der Vollzeitbezüge verzichten, während ihr Dienstherr ein Viertel der Vollzeitbezüge als Zuschlag zahle. Auch die Gesetzgebungsmaterialien, die Aufschluss über die für die Beurteilung der besoldungsrechtlichen Regelung bedeutsame Absicht des Gesetzgebers geben könnten, ließen nicht erkennen, dass § 24 Abs. 1 NBesG 2015 das Ergebnis einer auf die Herstellung praktischer Konkordanz zielenden Abwägungsentscheidung gewesen ist.

Abstandsgebot und Gebot zur besoldungsrechtlichen Anerkennung des Beförderungserfolgs verletzt

Weiter beanstandet das BVerfG, dass das Abstandsgebot und das Gebot zur besoldungsrechtlichen Anerkennung des Beförderungserfolgs missachtet würden. Beide Gebote seien bei der Besoldung begrenzt dienstfähiger Beamter in gleicher Weise wie bei derjenigen unbegrenzt dienstfähiger Beamter zu beachten. Dass die begrenzte Dienstfähigkeit bei funktionaler Betrachtung mit einer teilweisen Zurruhesetzung vergleichbar sei, eröffne dem Gesetzgeber insofern keine zusätzlichen Spielräume. Denn beide Gebote wirkten ungeschmälert in die Zeit des Ruhestands hinüber und erforderten auch unter den Versorgungsempfängern eine Differenzierung der Höhe des Ruhegehalts nach der Wertigkeit des zuletzt erreichten Amtes. Sie wären verletzt, wenn die amts- und dienstzeitunabhängige Mindestversorgung nicht auf Ausnahmefälle begrenzt bliebe oder die Bezüge ganzer Gruppen von Versorgungsempfängern nicht in nennenswertem Maße darüber lägen. Hinzu komme, dass die Dienstleistungsverpflichtung begrenzt dienstfähiger Beamter gerade nicht durch (verfrühten) Eintritt in den Ruhestand beendet worden ist. Führte eine durch besondere Leistung des begrenzt dienstfähigen Beamten erreichte Beförderung zu keiner oder nur einer unwesentlichen Erhöhung der Bezüge, würden mit dem Abstandsgebot und dem Gebot zur besoldungsrechtlichen Anerkennung des Beförderungserfolgs tragende Säulen des Berufsbeamtentums umgestoßen, ohne dass dafür eine Rechtfertigung ersichtlich wäre.

Ämterabstand in vielen Fällen aufgehoben oder erheblich vermindert

Das BVerfG legt in Bezug auf § 24 Abs. 1 NBesG 2015 dar, dass bei Beamten, die mit 18 Jahren in den öffentlichen Dienst eingetreten und seither in Vollzeit beschäftigt gewesen seien, der Abstand zwischen den verschiedenen Ämtern im einfachen und mittleren Dienst (A 4 bis A 8) eingeebnet sei, wenn ihre Dienstfähigkeit nach einer 17-jährigen Dienstzeit  auf 50% herabgesetzt wird. Auch bei einer zehn Jahre längeren Dienstzeit treffe dieser Befund noch auf die Besoldungsgruppen A 4 bis A 6 zu. Hier wirke sich ein Beförderungserfolg während der aktiven Dienstzeit für begrenzt dienstfähige Beamte in finanzieller Hinsicht nicht aus. Bei 27-jähriger Dienstzeit werde darüber hinaus in den Besoldungsgruppen A 7 und A 8 nicht einmal die Hälfte des regulären Abstands erreicht. Der vom Besoldungsgesetzgeber selbst für amtsangemessen erachtete Abstand zwischen den Ämtern sei also in einer Vielzahl von Fällen vollständig aufgehoben oder erheblich vermindert. Das werde der Anforderung, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft seien und dass sich für den Beamten die von ihm gezeigte Leistung durch besoldungsrechtliche Anerkennung des Beförderungserfolgs auch lohne, in keiner Weise mehr gerecht. Diese Preisgabe des Abstandsgebots und des Gebots zur besoldungsrechtlichen Anerkennung des Beförderungserfolgs, die nicht auf Ausnahmefälle begrenzt bleibe, sondern sich über mehrere Laufbahngruppen hinweg erstrecke, sei allein durch den eingeschränkten Dienstleistungsumfang der begrenzt dienstfähigen Beamten nicht zu rechtfertigen.

Nachfolgeregelungen ebenfalls verfassungswidrig

Laut BVerfG ist § 24 Abs. 1 NBesG 2014 ebenfalls nicht mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar. Die Vorschrift unterscheide sich von § 24 Abs. 1 NBesG 2015 allein dadurch, dass sie sogar eine vollständige Aufzehrung des Zuschlags zulässt. Die Feststellung der Unvereinbarkeit mit Art. 33 Abs. 5 GG sei aus Gründen der Rechtsklarheit auf die mit § 24 Abs. 1 NBesG 2015 im Wesentlichen identische Nachfolgeregelung des § 12 Abs. 1 bis 3 NBesG 2017 zu erstrecken gewesen.

BVerfG, Beschluss vom 28.11.2018 - 2 BvL 3/15

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2018.

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