Mutter obsiegt mit Beschwerde gegen Entlassung als Betreuerin ihres Kindes
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Eine ihr Kind betreuende Mutter hat vor dem Bundesverfassungsgericht einen Erfolg erzielt. Sie war gegen ihre Entlassung als Betreuerin vorgegangen. Die Richter entschieden, die Entscheidung verletze die Mutter in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Bedeutung und Tragweite der persönlichen Beziehung und familiären Bindung und der Wunsch der Tochter, von ihrer Mutter betreut zu werden, seien verkannt worden.

Mutter betreut Tochter bis Gerichtsbeschluss

Die 1992 geborene Tochter der Beschwerdeführerin leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Für sie wurde 2014 eine Betreuung eingerichtet und ihre Mutter als Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge einschließlich hiermit verbundener Aufenthaltsbestimmung bestellt. 2018 und 2019 wurde die Betroffene mehrmals auf Antrag der Beschwerdeführerin jeweils kurzzeitig in der geschlossenen Abteilung des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Ein vom Amtsgericht eingeholtes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine weitere Unterbringung zur Heilbehandlung und zur Abwendung einer akuten Eigengefährdung dringend erforderlich sei. Der Gutachter empfahl eine geschlossene Unterbringung für mindestens sechs Monate, ein Orts- und Betreuerwechsel solle der Betroffenen möglichst nicht zugemutet werden. Dagegen empfahlen die Betreuungsbehörde und die behandelnden Ärzte einen Betreuerwechsel hin zu einem unvorbelasteten, familienfremden Berufsbetreuer. Das Amtsgericht entließ daraufhin gegen den ausdrücklichen Wunsch der Tochter die Mutter als Betreuerin und bestellte eine Berufsbetreuerin.

BVerfG zur Bedeutung des Art. 6 GG

Auf Antrag der Berufsbetreuerin genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sowie nachfolgend in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Heimes. Aufgrund dieses Beschlusses befand sich die Betroffene von September 2019 bis April 2020 in einer von dem Wohnort der Beschwerdeführerin circa 120 km entfernten psychiatrischen Einrichtung. Die gegen ihre Entlassung als Betreuerin gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Landgericht zurück. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Schutz des Familiengrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG erfasst laut BVerfG auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. Zwar würden mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurücktreten. Unabhängig hiervon seien familiäre Bindungen im Selbstverständnis des Individuums jedoch regelmäßig von hoher Bedeutung und hätten im Lebensalltag der Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz.

Schutzgedanke auch bei Betreuerbestellung zu berücksichtigen

Dem Schutz der Familie, so das BVerfG weiter, sei auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete eine bevorzugte Berücksichtigung der (nahen) Familienangehörigen jedenfalls dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung bestehe. Ausgehend davon verletze der angegriffene Beschluss des Landgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Aus ihm gehe nicht hervor, dass das Landgericht diesem hohen Schutzgut hinreichend Rechnung getragen habe. Die Entlassung der Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter sei mit fehlender Eignung und dem entgegenstehenden Wohl der Betroffenen begründet worden. Eine fördernde krankheitsgerechte Behandlung der Betroffenen sei in der Vergangenheit nicht erkennbar gewesen. Den Grund hierfür habe das Landgericht in erster Linie in dem Rollenkonflikt gesehen, in dem sich die Beschwerdeführerin befinde.

Mutter-Tochter-Beziehung zu einseitig beurteilt

Die Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung sei dabei jedoch einseitig im Hinblick auf den bisherigen Verlauf der Behandlung der Betroffenen erfolgt, monierten die Verfassungsrichter. Es werde nicht deutlich, dass dem Wert der familiären Beziehungen, dem innerfamiliären Zusammenhalt und der Familie als Schutzraum der Betroffenen darüber hinaus Bedeutung beigemessen wurde. Das LG habe insbesondere das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht unberücksichtigt lassen dürfen, der sich ausdrücklich gegen einen Betreuer- und Ortswechsel ausgesprochen habe. Darüber hinaus habe das LG dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass die Betroffene mehrfach ausdrücklich den Wunsch geäußert hatte, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten. Der Vorrang des Willens der Betreuten bei der Auswahl der Betreuerin sei Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbstbestimmungsrechts betreuungsbedürftiger Personen.

Fehlende Eignung kann Wunschbetreuer entgegenlaufen

Dem Wunsch der Betreuten ist laut BVerfG aber dann nicht zu folgen, wenn die von ihr gewünschte Person als Betreuerin nicht geeignet ist im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB. Die mangelnde Eignung dürfe jedoch nicht vorschnell angenommen werden. Insbesondere, wenn die Gründe für die fehlende Eignung in der familiären und möglicherweise über einen langen Zeitraum gewachsenen Beziehung der Betreuten zu der als Betreuerin gewünschten Person wurzeln, sei unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG eine sorgfältige Abwägung erforderlich. Daher müsse die fehlende Eignung anhand der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf den konkret in Rede stehenden Aufgabenkreis dargelegt und mit dem Wunsch der Betreuten abgewogen werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, inwieweit die Zweifel an der Eignung durch andere Maßnahmen wie ein konkretes Hilfsangebot für die von der Betreuten gewünschte Person abgemildert und dem Wunsch der Betreuten dadurch zur Umsetzung verholfen werden könne.

Berücksichtigung bei erneuter Entscheidung

Die Bestellung einer anderen als der von der Betreuten gewünschten Person sei jedoch geboten, wenn die fehlende Eignung im konkreten Einzelfall dazu führe, dass eine Befolgung des Wunsches eine erhebliche Gefahr für die Betreute mit sich brächte und sie diese Gefahr aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln könne. Bei der erneuten Entscheidung über die Entlassung der Beschwerdeführerin als Betreuerin ihrer Tochter ist laut BVerfG daher einerseits der Wunsch der Betroffenen, ihre Mutter als Betreuerin zu behalten, ebenso zu beachten wie das enge Familienverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrer Tochter. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass ein jüngeres Gutachten eine professionelle Betreuung − wenn auch in Kooperation mit dem familiären Umfeld der Betroffenen − für vorteilhaft erachte.

BVerfG, Beschluss vom 31.03.2021 - 1 BvR 413/20

Redaktion beck-aktuell, 12. Mai 2021.