Münchener Oberbürgermeister durfte NS-Dokumentationszentrum verteidigen

Der Münchener Oberbürgermeister hat bei seinen Äußerungen zur Verteidigung des NS-Dokumentationszentrums gegenüber dem Vorwurf einer Privatperson, die Ausstellung sei einseitig, die verfassungsrechtlichen Grenzen nicht überschritten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 08.09.2020 entschieden, die Beschwerde aber auch bereits für unzulässig erachtet.

Ausstellung wegen Nichtberücksichtigung der Veröffentlichungen des Beschwerdeführers als unausgewogen kritisiert

2016 veröffentlichte der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem weiteren Autor ein Buch, das die Darstellung der Haltung der Münchner Bevölkerung durch das NS-Dokumentationszentrum als einseitig kritisierte. In dem Buch werden diverse Zeitzeugenaussagen aufgeführt, aus denen sich aus Sicht der Autoren ergibt, dass die Münchner Bevölkerung mit den Verfolgten sympathisiert habe und den Nationalsozialismus nur als "unabänderliche Schickung" ertragen habe. Nach der Veröffentlichung des Buches wandte sich ein Bürger schriftlich an den Münchener Oberbürgermeister und kritisierte die Konzeption des NS-Dokumentationszentrums unter Hinweis auf die Veröffentlichung des Beschwerdeführers als wissenschaftlich unausgewogen.

Oberbürgermeister verweist auf scharfe Ablehnung in der Fachwelt

Dieser antwortete, dass die Ausstellung von einem wissenschaftlichen Beirat kuratiert werde, dass die wissenschaftlichen Auffassungen des Beschwerdeführers von Experten einhellig abgelehnt würden, dass dieser in den Augen eines besonders renommierten Experten durch "willkürliches Zusammenklauben von Zitaten" das Geschäft derer betreibe, die die deutsche Bevölkerung von einer Verantwortung für den Holocaust reinwaschen wollten und dass die Diskussion am NS-Dokumentationszentrum auf wissenschaftlichem Niveau stattfinde. Nachdem er vom Inhalt dieses Schreibens erfahren hatte, nahm der Beschwerdeführer die Stadt München erfolglos gerichtlich auf Entschuldigung beziehungsweise Widerruf in Anspruch.

BVerfG: Verfassungsbeschwerde unzureichend begründet

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie sei bereits unzureichend substantiiert und damit unzulässig. Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen werde nicht erkennbar, wie scharf und detailliert die in dem anlassgebenden Schreiben geäußerte Kritik am Ausstellungskonzept ausgefallen und welche Anregungen zu Änderungen gemacht worden seien. Damit fehle ein wesentlicher Bezugspunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung, deren Verhältnismäßigkeit und Sachlichkeit nur im Zusammenhang mit dem dazu Anlass bietenden Schreiben beurteilt werden könnten. Denn es spiele für die Verhältnismäßigkeit staatlicher Äußerungen eine erhebliche Rolle, in welchen Kontext sie fielen und auf genau welche Infragestellungen sie reagierten. So wäre beispielsweise für eine Äußerung in einem sozialen Medium, das auf starke Vereinfachung und Verkürzung ziele, eine pointiertere und gröbere Zuspitzung zulässig als in einem die Ausstellung begleitenden wissenschaftlich kuratierten Katalog. Das seien Fragen, die ohne Kenntnis des konkreten Inhalts des anlassgebenden Schreibens nicht beurteilt werden könnten. Die Verfassungsbeschwerde zeige auch davon abgesehen grundrechtliche Fehler der Fachgerichte nicht auf.

Äußerungsbefugnis als kommunaler Wahlbeamter nicht überschritten

Laut BVerfG liegt der Sachverhalt erheblich anders als im Verfahren 1 BvR 2585/06 (BeckRS 2010, 53160), in dem sich der Beschwerdeführer erfolgreich gegen einen ihn herabsetzenden Rundbrief der Bundeszentrale für politische Bildung an alle Abonnenten gewandt habe. Vorliegend werde nur in entschiedener Form gegenüber einem einzelnen Bürger begründet, warum man den wissenschaftlichen Beiträgen des Beschwerdeführers im Rahmen des NS-Dokumentationszentrums kein Forum habe zur Verfügung stellen wollen und weshalb man seine Thesen und Arbeiten für fragwürdig halte. Dies müsse einer Gemeinde im Rahmen ihrer Selbstverwaltung, die eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung und öffentliches Erinnern einschließe, möglich sein. Die Gemeinden seien als Keimzellen der Demokratie politische Verbände, die sich durch ihre gewählten Vertreter zu ihrer Geschichte und den daraus folgenden Lehren und Verantwortlichkeiten verhalten können müssten.

Oberbürgermeister handelte nicht im parteipolitischen Wettbewerb

Zu berücksichtigen sei schließlich, dass die besonderen Neutralitätsanforderungen, die für amtliche Äußerungen von Regierungsmitgliedern im Wettbewerb der Parteien gölten, hier nicht in Rede stünden. Denn der das Ausstellungskonzept nach außen vertretende Oberbürgermeister habe nicht im parteipolitischen Wettbewerb gehandelt, sondern habe als kommunaler Wahlbeamter eine gesellschaftliche Repräsentations- und Integrationsfunktion wahrgenommen.

BVerfG, Beschluss vom 08.09.2020 - 1 BvR 987/20

Redaktion beck-aktuell, 22. Oktober 2020.