Nach Mordurteil: Wiederaufnahme wegen Befangenheit muss nochmals geprüft werden
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Die Anforderungen an die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens sind streng. Das OLG Frankfurt a.M. hat es aus Sicht des BVerfG aber etwas übertrieben. Eine verurteilte Mörderin kann daher verlangen, dass die mögliche Befangenheit eines Richters, der auch schon ihren Lebensgefährten verurteilt hatte, noch einmal geprüft wird.

Eine Frau wurde 2014 wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrem damaligen Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Vorsitzende Richter war drei Jahre zuvor auch an der Verurteilung ihres Lebensgefährten wegen des gleichen Mordes beteiligt. Die Frau stellte sie einen Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, welcher jedoch abgelehnt wurde. Da sie weder den Schuldspruch noch die Ablehnung ihres Antrags akzeptieren wollte, legte sie gegen ihre Verurteilung - jeweils erfolglos - Revision zum BGH und Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein.

Als letztes Mittel wandte sie sich dann mit einer Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der 2021 wegen der Mitwirkung des Vorsitzenden Richters einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) feststellte. Die Befürchtungen der Frau, dass der Richter, nachdem er schon ihren ehemaligen Lebensgefährten mitverurteilt hatte, bereits zu einer vorgefassten Meinung über ihre Schuld gelangt war, seien gerechtfertigt.

Daraufhin beantrage die Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach § 359 Nr. 6 StPO, scheiterte jedoch vor dem LG und dem OLG. Nach dieser Vorschrift ist eine Wiederaufnahme insbesondere dann zulässig, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Das OLG war allerdings der Ansicht, die Frau habe nicht bewiesen, dass sich der Konventionsverstoß auf ihre Verurteilung ausgewirkt haben könnte. Also musste erneut das BVerfG ran.

Anforderungen an Darlegungspflicht unerfüllbar

Das OLG habe mit seiner Entscheidung den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Frau aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, so die Karlsruher Richterinnen und Richter. Denn es fordere von ihr eine Darlegung dazu, dass sich im Urteil gegen sie Anhaltspunkte für eine Begründung der Besorgnis der Befangenheit finden. Damit stelle es unerfüllbare und unzumutbare Anforderungen und erschwere so den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung auf nicht zumutbare Weise (Beschluss vom 04.12.2023 - 2 BvR 1699/22).

Denn nach der EGMR-Rechtsprechung könne zwar ein Urteil sowohl Teile enthalten, die für die Unparteilichkeit eines Richters sprechen, als auch solche, die dagegen sprechen. Auch wenn dem besagten Urteil nichts entnommen werden könne, was gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters spreche, so könnten an der Unparteilichkeit des Richters gleichwohl berechtigte Zweifel bestehen, die sich etwa aus dem Urteil gegen den Lebensgefährten ergeben könnten. Von der Verurteilten zu verlangen, in gleichem Maße Argumente für als auch gegen die Unparteilichkeit aus dem Urteil gegen sie zu ziehen, sei allerdings unmöglich.

Zudem verkenne das OLG, dass der vom EGMR festgestellte Konventionsverstoß nicht darin liegt, dass ein tatsächlich voreingenommener Richter beteiligt war, sondern darin, dass an seiner Unvoreingenommenheit bei objektiver Betrachtung aus Sicht der Verurteilten gerechtfertigte Zweifel bestanden. Dieser Konventionsverstoß habe sich bereits dadurch ausgewirkt, dass der Vorsitzende Richter überhaupt auf das Verfahren gegen die Frau Einfluss genommen habe.

Anforderungen auch sachlich nicht gerechtfertigt

Laut BVerfG sind die Anforderungen, die das OLG aufstellt, auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Wegen der Bedeutung der Rechtskraft sei die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens grundsätzlich nur unter den engen Voraussetzungen des § 359 StPO möglich ist. Indem die Fachgerichte unerfüllbare Darlegungsanforderungen aufstellten, würden sie den Anwendungsbereich von § 359 Nr. 6 StPO zu sehr einschränken. Durch das Beruhenserfordernis in § 359 Nr. 6 StPO habe der Gesetzgeber eine Wiederaufnahme in den Fällen ausschließen wollen, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt habe. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass bestimmte, in der Rechtsprechung des EGMR anerkannte Konstellationen einer Verletzung der EMRK - etwa wenn der EGMR objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts allein auf Anhaltspunkte im früheren Urteil stützt - von vorneherein ausgeschlossen sind.

Andernfalls bestünde ein Wertungswiderspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die aus einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG folgen. Dieser verlange, dass Strafurteile bei fehlerhafter Besetzung des Gerichts aufgehoben werden. Dann aber könne eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Besetzung des Gerichts nicht weniger schwer wiegen. Dies sei auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen. Nun muss sich das OLG erneut mit dem Fall befassen.

BVerfG, Beschluss vom 04.12.2023 - 2 BvR 1699/22

Redaktion beck-aktuell, mm, 26. Januar 2024.