Strafgefangener klagt erfolgreich gegen Untersagung von Besuch für Presseinterview
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Ein Strafgefangener, dem Besuch von einem Journalisten für ein Interview verboten worden war, hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die Fachgerichte hätten seine Meinungsfreiheit verletzt, so das Gericht. Es könne nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Presseinterview mit einem Strafgefangenen dessen Eingliederung behindert. Vielmehr müssten hierfür konkrete Anhaltspunkte dargelegt werden. Die Sache ist an das Landgericht zurückgegangen.

JVA verbietet Interview-Besuch von Journalist

Der Beschwerdeführer verbüßt eine mehrjährige Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt. Für das Ende seiner Haft ist Sicherungsverwahrung notiert. Ein Journalist fragte wegen eines Interviews mit dem Beschwerdeführer zum Thema "Alternativen zur Strafhaft" an. Die JVA lehnte die Anfrage nach einer Stellungnahme ihres psychologischen Dienstes, wonach ein Interview aus psychologischer Sicht nicht zu empfehlen sei, gemäß § 25 Nr. 2 StVollzG NRW ab. Danach kann ein Besuch unter anderem untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass der Kontakt mit Personen, die nicht Angehörige der Gefangenen sind, die Eingliederung behindert. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim LG blieb ohne Erfolg, ebenso die die anschließende Rechtsbeschwerde beim OLG.

BVerfG: Meinungsfreiheit bei Auslegung der Besuchsverbotsregelung nicht berücksichtigt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet erachtet und die fachgerichtlichen Beschlüsse aufgehoben sowie die Sache an das LG zurückverwiesen. Der angegriffene LG-Beschluss verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das LG habe es versäumt, die Tatbestandsmerkmale des § 25 Nr. 2 StVollzG NRW im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen. Das Gericht stelle maßgeblich darauf ab, dass nach der Stellungnahme der zuständigen Psychologin das Interview nicht zu befürworten sei, weil es die narzisstische und dissoziale Persönlichkeit des Beschwerdeführers bestärken, ihn weiter vom Behandlungssetting entfernen sowie seine negative Haltung gegenüber der Behandlungs- und Motivationsabteilung verstärken würde. Die Untersagung des Besuchs zu Interviewzwecken solle demnach zum Schutz seiner Eingliederung in die Gesellschaft und damit zur Förderung seiner Resozialisierung erfolgen.

Konkrete Anhaltspunkte für Eingliederungsbehinderung erforderlich

Unter Beachtung von Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit könne aber nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Presseinterview mit einem Strafgefangenen regelmäßig dessen Eingliederung behindert. Vielmehr müssten konkrete, objektiv fassbare Anhaltspunkte für die Befürchtung einer Behinderung der Eingliederung des Strafgefangenen dargelegt werden. Das LG befasse sich nicht mit dem konkret angefragten Interview zum Thema "Alternativen zur Strafhaft", sondern stelle unter Verweis auf die Stellungnahme des psychologischen Dienstes fest, dass bereits das Interview an sich die Eingliederung des Beschwerdeführers behindere. Objektiv fassbare Anhaltspunkte für die Feststellung des Gerichts, dass das Tatbestandsmerkmal der Befürchtung einer Behinderung der Eingliederung des Beschwerdeführers erfüllt sei, ließen sich weder der psychologischen Stellungnahme noch den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt entnehmen.

Bei Vorliegen einer Eingliederungsbehinderung Abwägung erforderlich

Selbst wenn das Tatbestandsmerkmal einer Behinderung der Eingliederung gemäß § 25 Nr. 2 StVollzG NRW vorläge, hätte das Gericht auf der Rechtsfolgenseite sorgfältig überprüfen müssen, ob die Abwägung der Justizvollzugsanstalt zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und der von ihr befürchteten negativen Auswirkung auf dessen Resozialisierung ermessensfehlerhaft war. Den Ausführungen des Gerichts lasse sich nicht entnehmen, weshalb unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit deren Einschränkung durch die Untersagung des Interviews geeignet, erforderlich und angemessen gewesen sei. Eine Abwägung zwischen der Intensität des Eingriffs in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem mit der Untersagung des Interviews verfolgten Zweck, seine Eingliederung nicht zu behindern, fehle. Der Beschluss des OLG, das sich die Entscheidung des LG zu eigen gemacht habe, habe ebenfalls die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt.

BVerfG, Beschluss vom 16.06.2022 - 2 BvR 784/21

Redaktion beck-aktuell, 7. Juli 2022.