Sitzungspolizeiliche Beschränkung der Presseberichterstattung im Schlecker-Strafverfahren gerügt
Die 11. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart verhandelt seit dem 06.03.2017 in einem Strafverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker. Der Vorsitzende erließ eine sitzungspolizeiliche Anordnung, mit der unter anderem die Zulässigkeit der Anfertigung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen am Rande der Hauptverhandlung geregelt wurde. Die Anordnung enthält eine Beschränkung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal auf jeweils 10 Minuten vor Beginn der Verhandlung am ersten Sitzungstag und vor Beginn der Urteilsverkündung. An anderen Sitzungstagen kann auf Antrag die Anfertigung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen gestattet werden. Dementsprechend genehmigte der Vorsitzende für den Verhandlungstag am 18.05.2017 die Anfertigung von Bildaufnahmen. Anträge auf Gestattung der Anfertigung von Bildaufnahmen an drei weiteren Tagen wurden demgegenüber abgelehnt. Nach erfolgloser Beschwerde legte die Beschwerdeführerin gegen das Film- und Fotoverbot Verfassungsbeschwerde ein und stellte zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie rügte insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
BVerfG: Nachteile für Pressefreiheit reichen für Eilanordnung nicht aus
Das BVerfG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Vornahme einer Folgenabwägung abgelehnt. Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wären Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten im Umkreis des Strafverfahrens gefertigt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführerin noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten. Erginge die einstweilige Anordnung dagegen nicht, erwiese sich aber die Verfassungsbeschwerde als begründet, so wäre die Pressebildberichterstattung über das Strafverfahren nur in begrenzterem Umfang möglich gewesen als von der Pressefreiheit verbürgt. Die daraus nach dem bisherigen Sachstand zu erwartenden Nachteile für die Pressefreiheit wiegen laut BVerfG indes nicht so schwer, dass schon im Verfahren des Eilrechtsschutzes weitergehende Möglichkeiten der Bildberichterstattung angeordnet werden müssten.
Verbot weitergehender Bildberichterstattung nur vorläufig
Das BVerfG erläutert, dass Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten durch die angegriffene Anordnung nicht vollständig verboten würden. Zunächst seien zu Beginn der Hauptverhandlung und am Tag der Urteilsverkündung - Termine mit regelmäßig besonderer öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit - Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal gestattet. Darüber hinaus sehe die angegriffene Anordnung auch vor, dass Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor anderen Verhandlungstagen oder in Sitzungspausen auf Antrag vom Vorsitzenden genehmigt werden können. Von dieser Möglichkeit habe der Vorsitzende bereits auch einmal Gebrauch gemacht und weitere Bildaufnahmen zugelassen. Die vorläufige Versagung weitergehender Bildberichterstattung beruhe auf der Planung des Verhandlungsverlaufs und deren zunächst im Vordergrund stehenden Fokus, aussageverweigerungsberechtigte Zeugen zu einer Aussage zu bewegen, und habe somit nur vorläufigen Charakter. Sie solle es ermöglichen, in Abhängigkeit des weiteren Verlaufs der Verhandlung eine Abwägung der widerstreitenden Interessen tagesgenau vorzunehmen.
Begründungsanforderungen an sitzungspolizeiliches Fotoverbot
Von daher ist laut BVerfG zu erwarten, dass der Vorsitzende über entsprechende Anträge auf Zulassung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen auch zukünftig so zeitnah entscheidet, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Pressefreiheit nicht leerläuft, und die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit im Einzelfall erforderlich machen, konkret darlegt und sie damit rechtlich überprüfbar macht. Er müsse dabei seine Entscheidung jeweils konkret auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung zum Schutz der Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung stützen können. Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk als solche und damit notwendig verbundene untergeordnete Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigten demgegenüber das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen ebenso wenig wie nicht weiter konkretisierte Auswirkungen eines Medienrummels oder das Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten an einer stressfreien Teilnahme an den Verhandlungsterminen.