Lebensmüder Häftling vor BVerfG erfolgreich

Ein Strafgefangener aus Nordrhein-Westfalen, der sich mit Hilfe von Medikamenten das Leben nehmen will, hat erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Eine ablehnende Entscheidung habe das Landgericht Kleve unzureichend begründet, entschied das oberste deutsche Gericht in Karlsruhe mit einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss.

BVerfG sieht Grundrechte des Inhaftierten verletzt

Der Beschluss des Gerichts von vor einem Jahr sowie ein Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm aus dem April (BeckRS 2021, 14236) verletzten den Mann in seinen Grundrechten. Das Verfassungsgericht hob die Entscheidungen auf. Das LG Kleve muss sich noch einmal mit dem Fall befassen.

Gefangener leidet unter perspektivloser Situation

Der Mann verbüßt den Angaben nach zwei lebenslange Freiheitsstrafen. Er sei seit mehr als 35 Jahren ununterbrochen in Haft und nehme die perspektivlose Situation als unerträgliches Leiden wahr, teilte das Gericht mit. Er habe beantragt, ihm "die Möglichkeit zu verschaffen, auf eigene Kosten an die (...) zum Sterben notwendigen Medikamente" zu kommen. Er verliere seine Würde, wenn ihm das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben aufgrund der Inhaftierung versagt werde, argumentierte der Mann in seiner Verfassungsbeschwerde. Die Justizvollzugsanstalt vertrat den Standpunkt, rechtlich handele es sich bei dem Begehren um einen assistierten Suizid, bei dem das Medikament zur Verfügung gestellt werde und der Sterbewillige dieses selbst einnehme. Das Gefängnis könne keine Suizidhilfe gewähren.

Keine ausreichende Sachverhaltsaufklärung

Die Entscheidung des LG Kleve lasse eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts nicht erkennen, argumentierte das BVerfG. Das Landgericht versäume es bereits, den Inhalt des ablehnenden Bescheids der Justizvollzugsanstalt und dessen Begründung im Detail wiederzugeben. Ohne diesen sei eine verantwortbare Prüfung, mit welchen Argumenten die Justizvollzugsanstalt die Ablehnung des Antrages begründete, nicht möglich. So sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Entscheidung auf einer vom Landgericht angenommenen Gewissensentscheidung beruht, worauf diese sich genau bezog und inwiefern dem Beschwerdeführer seine grundrechtlich geschützten Belange wahrende Perspektiven eröffnet wurden. Auch Unterlagen zum Behandlungsstand des Beschwerdeführers oder zu Kontaktaufnahmeversuchen zu weiteren, gegebenenfalls zur Feststellung der Ernsthaftigkeit des Suizidverlangens geeigneten Stellen außerhalb der Justizvollzugsanstalt habe das Landgericht nicht beigezogen oder Ermittlungen hierzu angestellt. Die Möglichkeit einer Hinzuziehung anstaltsfremder Ärzte sei offenbar nicht geprüft worden. 

Gewissensentscheidung der JVA?

Darüber hinaus begegne die vom LG vertretene Ansicht, wonach die von der Justizvollzugsanstalt geäußerte Ablehnung als Gewissensentscheidung gleichfalls verfassungsrechtlich geschützt, in der weiteren Folge zu beachten und insbesondere vom Beschwerdeführer hinzunehmen sei, verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn das LG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob sich die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt als grundrechtsverpflichtete Amtsträger dem Beschwerdeführer gegenüber überhaupt auf eine Gewissensentscheidung berufen können. Dies habe es vielmehr ohne nähere Begründung seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Insoweit erscheine die Entscheidung des Landgerichts zumindest unzureichend begründet.

BVerfG, Keine Angabe vom 03.11.2021 - 2 BvR 828/21

Redaktion beck-aktuell, 25. November 2021 (ergänzt durch Material der dpa).