Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde nach 50 Jahren Haft

Ein wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft Verurteilter, dem nach 50 Jahren Haft die begehrte Freilassung auf Bewährung versagt worden war, ist mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gewesen. Der Mann sei in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt, so das BVerfG. Die Fachgerichte hätten die Fortdauer der Haft nicht ausreichend begründet.

Doppelmörder nach 50 Jahren Haft Freilassung auf Bewährung versagt

Der heute knapp 80-Jährige war 1970 nachts in ein Haus eingestiegen, weil er mit einer dort wohnenden jungen Frau geschlechtlich verkehren wollte. Als deren Mutter aufwachte, tötete er sie mit einem Messer. Als die Tochter ihn abwies und um Hilfe schrie, tötete er auch sie. Nach zwei Jahren in Untersuchungshaft wurde er 1972 wegen zweifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte die Taten zunächst eingeräumt, widerrief in der Folgezeit aber sein Geständnis. Von 1991 an war der Mann im offenen Vollzug, wurde aber mehrfach in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt, weil man bei ihm zahlreiche Pornohefte und -videos, Damenunterwäsche, Klebeband, Kabelbinder und aus Zeitschriften ausgeschnittene Frauenköpfe gefunden hatte. 1997 stellte das LG Koblenz fest, dass die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht mehr gebiete. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung lehnte es dennoch ab, da eine günstige Gefahrenprognose nicht gestellt werden könne. 2019 und 2021 blieben weitere Anträge des Mannes auf Aussetzung des Strafrests zur Bewährung vor LG und OLG ohne Erfolg. Sie konstatierten zwar, dass der Mann sich in letzter Zeit im offenen Vollzug bewährt habe. Allerdings bestehe mangels Aufarbeitung der Taten die Besorgnis einer Rückfälligkeit. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Mann gegen die gerichtlichen Beschlüsse aus 2019 und 2021. Er rügte insbesondere eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts.

BVerfG: Fortdauer der Freiheitsentziehung unzureichend begründet

Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden stattgegeben. Die fachgerichtlichen Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Begründung der Fortdauer der Freiheitsentziehung genüge nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung stiegen. Insbesondere wenn die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr gebiete, bedürfe die Aussetzungsentscheidung einer eingehenden Begründung, die auf einer möglichst breiten Tatsachenbasis fuße. Die Fachgerichte hätten bereits das Alter des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen. Es könne angesichts seines Alters nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die sexuelle Dranghaftigkeit in einem Maße fortbestehe, dass die Begehung von den Anlasstaten vergleichbaren Straftaten wahrscheinlich sei. Die Gefahr künftiger (Sexual-)Straftaten von nur geringem oder mittlerem Gewicht dürfte hingegen angesichts der außerordentlichen Länge der Vollzugsdauer einer Aussetzung des Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung nicht mehr entgegenstehen, so das BVerfG.

Bewährungsauflagen zur Reduzierung des Restrisikos nicht geprüft

Die Fachgerichte hätten außerdem eine Reststrafenaussetzung unter das Rückfallrisiko reduzierenden Auflagen prüfen müssen. Sie hätten außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen kein impulsiv handelnder Straftäter sei. Als geeignete Maßnahmen seien eine regelmäßige sozialarbeiterische Betreuung mit kontrollierenden Funktionen, die Untersagung des Besitzes von Gegenständen, die für voyeuristische Zwecke eingesetzt werden können, und eine dahingehende regelmäßige Kontrolle der Wohnung in Betracht zu ziehen. Es erscheine nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Möglichkeit bestehe, durch Bewährungsauflagen eine begleitende und kontrollierende Struktur zu schaffen, die die Rückfallgefahr auf das unvermeidbare Mindestmaß beschränkt. Das BVerfG unterstreicht, dass der grundsätzliche Freiheitsanspruch des Verurteilten bei langer Haftzeit großes Gewicht habe.

BVerfG, Beschluss vom 24.02.2023 - 2 BvR 117/20

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2023.

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