BGH bestätigte Mord-Urteil für Berliner Raser
Anfang 2016 hatte sich der Beschwerdeführer auf dem Berliner Kurfürstendamm mit einem anderen Autofahrer ein Wettrennen bis zur nächsten roten Ampel geliefert (sogenanntes Stechen). Es entwickelte sich eine Wettfahrt durch die Berliner Innenstadt, bei der der Beschwerdeführer mehrere rote Ampeln überfuhr und dann an einer Kreuzung bei wenigstens 160 km/h mit einem bei Grünlicht einfahrenden Geländewagen kollidierte. Der Geländewagen drehte sich um die eigene Achse, flog etwa 25 Meter weit durch die Luft, schlug mit dem Dach auf der Fahrbahn auf, rutschte auf der Seite liegend die Fahrbahn entlang und blieb 72 Meter vom Kollisionsort entfernt liegen. Der Fahrer verstarb noch an der Unfallstelle. Mit einem aufsehenerregenden Schuldspruch verurteilte das Landgericht Berlin beide Raser wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Im zweiten Rechtsgang verurteilte das LG beide Raser erneut wegen Mordes. Gegen den zweiten Raser hatte das Urteil erneut keinen Bestand, in dritter Runde verurteilte das LG ihn dann zu 13 Jahren Haft wegen versuchten Mordes, die Revision dagegen scheiterte. Das erneute Mord-Urteil für den Beschwerdeführer bestätigte der BGH hingegen. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes durch das LG sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG und des Schuldgrundsatzes durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz.
BVerfG: Kein Verstoß gegen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten mit der Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Jedenfalls bei Tötungsdelikten ließen sich bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit durch Auslegung auf Grundlage der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu abgrenzen. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Rechtsprechung mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar sei. Sie sei zwar Kritik unterworfen, diese zeige aber nur – zulässige – Randunschärfen bei der Abgrenzung auf. Damit umzugehen sei Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft und berühre die Gewährleistungen des Bestimmtheitsgebots nicht. Es sei auch bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe des BVerfG, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenderen Auslegung des einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen. Die angegriffenen Entscheidungen nähmen ausdrücklich die BGH-Rechtsprechung zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Prüfung. Sowohl das LG als auch der BGH hätten nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern auf die wesentlichen festgestellten Umstände des Einzelfalls, die Rückschlüsse auf das Wissens- und das Willenselement der inneren Tatseite zuließen. Auch die Berufung auf das Verschleifungsverbot greife nicht. Denn es führe nicht zu einer unzulässigen Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen, wenn einem tatsächlichen Umstand – wie hier der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch das Willenselement – Beweisbedeutung für unterschiedliche Tatbestandsmerkmale zugemessen werde.
Kein Verstoß gegen Schuldprinzip
Laut BVerfG verstoßen die Entscheidungen durch die Annahme eines Tötungsvorsatzes auch nicht gegen das Schuldprinzip. Die BGH-Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit begegne auch im Hinblick auf das Schuldprinzip keinen Bedenken, weil die individuelle Vorwerfbarkeit Grundlage für die Bestimmung des Schuldgehalts und des Strafrahmens sei. Laut BGH müsse das Tatgericht bei der Prüfung des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes alle objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Persönlichkeit des Täters, dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung und dessen Motivlage, in Betracht ziehen. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, das LG habe bei der Qualifizierung der Tat als Mord nicht auf die Einzelfallumstände, sondern auf das Leitbild eines rational Handelnden abgestellt, gehe fehl. Denn das LG habe bei der Beweiswürdigung nicht nur auf die konkrete Gefährlichkeit der Fahrt abgestellt, sondern die Persönlichkeit des Beschwerdeführers, seine Motivation für das maximale Beschleunigen nach der Kurvenausfahrt, seine grundsätzliche Einstellung zum Autofahren und seine Einschätzung des eigenen fahrerischen Könnens im Blick gehabt. Das Landgericht sei damit dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht geworden, den Schuldspruch auf Feststellungen zur individuellen Vorwerfbarkeit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat zu stützen. Auch der Einwand gegen die lebenslange Freiheitsstrafe mithilfe fiktiver Vergleichsfälle greife nicht. Denn die auf die individuelle Schuld eines Täters gestützte Strafe entziehe sich grundsätzlich eines Vergleichs mit gegen andere Personen oder in anderem Zusammenhang verhängten Strafen.