Kostenübernahme für experimentelle Therapie? – Verfassungsbeschwerde gescheitert

Ein Kind wollte beim BVerfG erreichen, dass die Kosten für eine experimentelle Therapie zur Behandlung seiner seltenen, lebensverkürzenden Krankheit von der Krankenkasse übernommen werden. Die Beschwerde scheiterte: Eine mög­li­che Rechts­ver­let­zung sei nicht hin­rei­chend dar­ge­legt wor­den. 

Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für die off-label-Therapie der seltenen, dramatisch die Lebenserwartung verkürzenden Stoffwechselerkrankung (Morbus Tay-Sachs) des Kindes ab, weil es keine Studien gebe, die einen positiven Effekt belegten. Seit Mai 2023 erhält das Kind aufgrund einer zwischenzeitlich wieder vom Landessozialgericht aufgehobenen Eilentscheidung des Sozialgerichts das begehrte Medikament. Unter der Therapie damit hat sich laut Beschwerde eine signifikante Verbesserung gezeigt.

Die Verfassungsbeschwerde gegen die LSG-Entscheidung blieb beim BVerfG ohne Erfolg (Beschluss vom 25.09.2023 - 1 BvR 1790/23). Zwar könne sich bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein Anspruch auf eine experimentelle Therapie ergeben. Dabei müsse diese Therapie allerdings "eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" versprechen. 

LSG durfte Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage fordern

Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage zu den Erfolgsaussichten des Therapieansatzes fordert. Dieses Kriterium erscheine grundsätzlich geeignet, die verfassungsrechtlich gebotene Abgrenzung von rein experimentellen Behandlungen vorzunehmen, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt seien. 

Die Behandlung von Erkrankungen, für die aufgrund ihrer Seltenheit keine Studiendaten vorlägen, werde dadurch nicht von vornherein von einem Leistungsanspruch ausgeschlossen. Denn ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage könne sich auch aus anderen Erkenntnisquellen als Studien ergeben.

Hier seien nach der Anwendung des Medikaments zwar Entwicklungsfortschritte beobachtet worden. Auch die privatärztliche Empfehlung eines Experten habe vorgelegen. Zudem gebe es eine Datenlage, die der Annahme einer Wirksamkeit nicht entgegenstehe. Dennoch sei die Annahme des LSG, die tatsächlichen Grundlagen seien für die Annahme einer nicht ganz fernliegenden Aussicht auf eine maßgebliche Wirksamkeit unzureichend, nicht unvertretbar. 

So habe seien bereits unter dem vorher verwendeten Medikament Effekte berichtet worden. Die Beschwerde hätte daher darlegen müssen, warum die beobachtete Stabilisierung des Krankheitsverlaufs gerade auf die Therapie mit dem begehrten Medikament zurückzuführen sei.

BVerfG, Beschluss vom 25.09.2023 - 1 BvR 1790/23

Redaktion beck-aktuell, ew, 4. Oktober 2023.