BVerfG konkretisiert Zitiergebot bei subdelegierten Verordnungen

Das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG gilt auch im Fall der Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.06.2019 klargestellt. Es reiche allerdings aus, dass die subdelegierte Verordnung ihre unmittelbare Ermächtigungsgrundlage angibt, während in der subdelegierenden Verordnung die gesetzliche Verordnungsermächtigung und die gesetzliche Ermächtigung zur Subdelegation zu nennen seien. Der Senat hat im entschiedenen Fall weiter festgestellt, dass der Beschluss, mit dem das Oberverwaltungsgericht die Berufung nicht zugelassen hatte, das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt, da das Gericht durch seine Handhabung der Zulassungsanforderungen den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise erschwert habe (Az.: 1 BvR 587/17 – Subdelegierte Verordnung).

Streit um Anordnung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen

Der Beschwerdeführer, ein Unternehmer, wandte sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolglos gegen eine Anordnung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die ihm die vollständige Meldung der von seinem Unternehmen getätigten Aufnahmen und Abgaben von Wirtschaftsdüngern aufgab. Die Landwirtschaftskammer stützte ihre Anordnung auf § 13 des Düngegesetzes vom 09.01.2009 (DüngG) in Verbindung mit § 1 der Niedersächsischen Verordnung über Meldepflichten in Bezug auf Wirtschaftsdünger vom 01.06.2012 (im Folgenden: Landesverordnung).

Regelung ist subdelegierte Verordnung

Die Landesverordnung ist eine sogenannte subdelegierte Verordnung, das heißt, sie beruht auf einer nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG vom Bundesverordnunggeber auf den Landesverordnunggeber weiter übertragenen Verordnungsermächtigung. Die Landesverordnung gibt als Rechtsgrundlage die Bundesverordnung an, nennt aber nicht die gesetzliche Ermächtigung zur Subdelegation, die sich in § 15 Abs. 6 DüngG findet. § 4 DüngG enthält eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen über Aufzeichnungs-, Melde-, Mitteilungs- oder Aufbewahrungspflichten. Diese Ermächtigung kann nach § 15 Abs. 6 DüngG ganz oder teilweise auf die Landesregierungen übertragen werden. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat von der Subdelegationsermächtigung durch § 6 WDüngV Gebrauch gemacht. Die Landesregierung Niedersachsen hat von der ihr durch § 6 WDüngV weiter übertragenen Verordnungsermächtigung durch Erlass der Niedersächsischen Verordnung über Meldepflichten in Bezug auf Wirtschaftsdünger Gebrauch gemacht.

Kläger in Vorinstanzen erfolglos

Das Verwaltungsgericht wies die Anfechtungsklage des Beschwerdeführers gegen die Anordnung der Landwirtschaftskammer ab. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung ab; die Rüge der Verletzung des Zitiergebots begründe keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des VG und keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

BVerfG: Zitiergebot gilt auch im Fall der Subdelegation

Nach Auffassung des BVerfG verletzt das Urteil des VG den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. Die Verordnung sei mit Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG vereinbar. Das Zitiergebot gelte auch im Fall der Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG. Die subdelegierte Verordnung müsse danach ihre unmittelbare Ermächtigungsgrundlage angeben, die sie in der subdelegierenden Verordnung findet. Die subdelegierende Verordnung müsse die gesetzliche Verordnungsermächtigung und die gesetzliche Ermächtigung zur Subdelegation nennen, denn der Verordnunggeber sei nicht frei, von mehreren Ermächtigungsgrundlagen, auf denen die Verordnung beruht, nur eine zu benennen. Ohne Angabe der weiteren Ermächtigungsgrundlagen weise der Verordnunggeber seine Rechtsetzungsbefugnis nicht vollständig nach. Hingegen sei nicht verfassungsrechtlich geboten, dass auch die subdelegierte Verordnung neben ihrer unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage zusätzlich die gesetzliche Verordnungs- und Subdelegationsermächtigung angibt. Das folge aus den Zwecken des Zitiergebots.

Zugang zu Instanzen darf nicht unzumutbar erschwert werden

Das OVG habe allerdings durch seine Handhabung der Zulassungsanforderungen den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise erschwert und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Aus diesem ergäben sich Anforderungen an die gerichtliche Handhabung des Rechtsmittelrechts. Zwar gewährleiste es keinen Anspruch auf die Errichtung eines Instanzenzuges. Habe der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, dürfe der Zugang zu ihnen nicht unzumutbar erschwert werden. Das Gleiche gelte, wenn das Prozessrecht den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, wie hier in den §§ 124, 124a VwGO: Deren Auslegung und Anwendung seien mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen seien, sich damit als objektiv willkürlich erwiesen und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwerten. Dies gelte sowohl für die gerichtliche Handhabung der Anforderungen an die Darlegung der gesetzlich vorgesehenen Zulassungsgründe als auch für die Handhabung der Anforderungen an das Vorliegen von Zulassungsgründen.

Weg zum BVerwG könnte versperrt sein

Die Anforderungen an das Vorliegen eines Zulassungsgrundes selbst würden insbesondere dann in verfassungswidriger Weise überspannt, wenn das Gericht zur Ablehnung der Zulassung in einer sachlichen Tiefe argumentiert oder argumentieren müsste, die dem eigentlichen Rechtsmittelverfahren vorbehalten ist. Dies werde dem Charakter des Zulassungsverfahrens nicht gerecht und versperre unzulässig den Zugang zur nächsten Instanz, in der eine vertiefte Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen stattfinden müsste. Stehe wie hier ein Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO in Rede, werde dann nicht nur die Möglichkeit des Berufungsverfahrens abgeschnitten, sondern könne zugleich der Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht als der zur abschließenden fachgerichtlichen Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen des Bundesrechts zuständigen Instanz versperrt sein.

Schlüssige Gegenargumente müssen Berücksichtigung finden

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sei verfassungsrechtlich dahingehend konkretisiert worden, dass die Berufung zuzulassen sei, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel sei demgemäß dann mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar, wenn das Gericht in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise und damit objektiv willkürlich verneine, dass schlüssige Gegenargumente gegen einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung bestehen.

Klärungsbedürftigkeit darf nicht objektiv willkürlich verneint werden

Der Berufungs- und Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache werde verfassungsrechtlich unbedenklich dahingehend ausgelegt, dass es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage – bei der Berufungszulassung auch auf eine solche Tatsachenfrage – ankommen muss, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf. Allerdings dürften die Anforderungen an das Vorliegen dieser Voraussetzungen von Verfassungs wegen nicht unzumutbar überspannt werden. Insbesondere dürfe die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise und damit objektiv willkürlich verneint werden.

Neue Argumente müssen berücksichtigt werden

So sei es zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, Rechtsfragen, die höchstrichterlich hinreichend geklärt sind, als nicht klärungsbedürftig anzusehen und einen Klärungsbedarf auch dann zu verneinen, wenn die Frage durch die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts eines anderen Gerichtszweigs geklärt ist. Habe ein Bundesgericht eine Rechtsfrage bereits geklärt, könne sich weiterer Klärungsbedarf jedoch etwa dann ergeben, wenn neue Argumente vorgebracht werden können, die das Bundesgericht zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen könnten. Mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar könne die Verneinung weiteren Klärungsbedarfs insbesondere dann sein, wenn zwischenzeitlich das BVerfG, ein anderes Bundesgericht, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder auch der Gerichtshof der Europäischen Union eine Entscheidung getroffen hat, aus der sich neue Argumente ergeben. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werde der Beschluss des OVG nach Ansicht des BVerfG nicht gerecht.

BVerfG, Beschluss vom 18.06.2019 - 1 BvR 587/17

Redaktion beck-aktuell, 26. Juli 2019.