Körperschaftsteuer: Regelung zu vororganschaftlichen Mehrabführungen teilweise nichtig

Das Bundesverfassungsgericht hat die rückwirkende Einführung der körperschaftsteuerrechtlichen Regelung zu vororganschaftlichen Mehrabführungen in § 34 Abs. 9 Nr. 4 i. V. m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG i. d. F. des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (EURLUmsG) vom 09.12.2004 teilweise für verfassungswidrig und nichtig erklärt. In drei Fallgruppen verstoße die unechte Rückwirkung der Regelung gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.

Streit um höhere Körperschaftsteuer durch vororganschaftliche Mehrabführungen

Die Klägerinnen der beiden Ausgangsverfahren, zwei ehemals gemeinnützige und bis Ende 1990 steuerbefreite Wohnungsbauunternehmen, waren in den Streitjahren 2004 bis 2006 Organgesellschaften einer Organschaft. In einem Fall bestand die Organschaft bereits seit 1991, im anderen Fall wurde der maßgebliche Gewinnabführungsvertrag erst im Oktober 2002 geschlossen. In beiden Fällen fielen vororganschaftliche Mehrabführungen an, die das Finanzamt als Gewinnausschüttungen behandelte, woraus eine höhere Festsetzung von Körperschaftsteuer resultierte. Nach erstinstanzlicher Abweisung der dagegen gerichteten Klagen setzte der Bundesfinanzhof das in beiden Verfahren angestrengte Revisionsverfahren aus und legte dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 9 Nr. 4 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG in der Fassung des im Dezember 2004 in Kraft getreten EURLUmsG zur Entscheidung vor. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG a. F. galten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger. Das EURLUmsG hatte damit die Auffassung der damaligen Finanzverwaltung fixiert, nachdem der BFH entschieden hatte, dass es sich um steuerneutrale Gewinnabführungen handele. Gewinnausschüttungen konnten sowohl unter dem bis Ende des Jahres 2000 geltenden körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahren als auch unter dem Übergangsrecht zum Halbeinkünfteverfahren bis zum Veranlagungsjahr 2006 zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen. Gemäß § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG a. F. war der potentiell körperschaftsteuererhöhende § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG a. F. erstmals für vororganschaftliche Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.2003 endete.

BVerfG: Teilweise verfassungswidrige unechte Rückwirkung – Drei Fallgruppen

Laut BVerfG verstößt § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG in der Fassung des EURLUmsG teilweise gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes und ist insoweit nichtig. Die Regelung habe belastende Wirkung gehabt, die mit einer unechten Rückwirkung einhergegangen sei. In drei Fallgruppen sei die unechte Rückwirkung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar. Die erste betreffe Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger, die vor dem 01.01.2007 aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags erfolgt seien, der in der Zeit zwischen der Veröffentlichung des BFH-Urteils am 05.03.2003 und dem 13.08.2004 geschlossen worden sei. In diesem Zeitraum hätten die Vertragspartner aufgrund des BFH-Urteils darauf vertrauen dürfen, dass vororganschaftliche Mehrabführungen steuerneutrale Gewinnabführungen im Sinne der §§ 14 ff. KStG darstellten. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in diese Rechtslage sei erst durch die Einbringung der Neuregelung in den Bundesrat am 13.08.2004 gemindert worden. Soweit der Ergebnisabführungsvertrag vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden sei, verdiene das Vertrauen wegen der gesetzlich bestimmten fünfjährigen Mindestdauer einer Organschaft Schutz über den bei Vertragsschluss laufenden Veranlagungszeitraum hinaus bis zum Ablauf des Jahres 2006. Überwiegende Interessen der Allgemeinheit, die die Enttäuschung dieses Vertrauens rechtfertigen könnten bestünden nicht.

Steuerrelevante Disposition durch Nichtausübung eines Kündigungsrechts

Die zweite Fallgruppe betreffe Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger, die aufgrund eines vor dem 05.03.2003 geschlossenen Ergebnisabführungsvertrags auf den Schluss eines im Laufe des Jahres 2004 endenden Wirtschaftsjahres erfolgt seien, wenn der Vertrag nach dem 05.03.2003 eine ordentliche Kündigung spätestens zum 31.12.2003 zugelassen hätte, oder auf den Schluss des ersten im Jahr 2005 endenden Wirtschaftsjahres, wenn der Vertrag eine ordentliche Kündigung spätestens zum 31.12.2004 zugelassen hätte. Hier bestehe ein schutzwürdiges Vertrauen, wenn im Jahr 2003 beziehungsweise 2004 eine dann gegebene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene BFH-Rechtsprechung nicht genutzt worden sei. Darin liege eine neue steuerrelevante Disposition, bei der die Steuerpflichtigen wegen der Tragweite der – nicht ohne Zustimmung des Vertragspartners rückgängig zu machenden – Entscheidung über die Beendigung eines Ergebnisabführungsvertrags bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss durch den Bundestag auf das geltende Recht hätten vertrauen dürfen. Auch in diesen Fällen seien hinreichend gewichtige Gründe, die die rückwirkende Neuregelung für die Steuerpflichtigen bei Abwägung mit ihrem dadurch enttäuschten Vertrauen zumutbar erscheinen ließen, nicht erkennbar.

Erfüllung des materiellen steuerrelevanten Tatbestands unter altem Recht

In allen übrigen Fällen, also bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags vor dem 05.03.2003, der danach weder zum 31.12.2003 noch zum 31.12.2004 habe gekündigt werden können, sowie bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags nach dem 13.08.2004, bestehe schutzwürdiges Vertrauen allein unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung. Diese greife für Mehrabführungen ein, die sich auf den Schluss eines nach dem 31.12.2003, aber spätestens am 15.12.2004 (Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung) endenden Wirtschaftsjahres ergeben. Im Übrigen überwiege bei einer Gesamtabwägung das berechtigte Änderungsinteresse des Gesetzgebers.

BVerfG, Beschluss vom 14.12.2022 - 2 BvL 7/13

Redaktion beck-aktuell, 17. März 2023.