Erhebung der Kernbrenstoffsteuer brachte Steuereinnahmen von 6,285 Milliarden Euro
Kernbrennstoff, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wurde, unterlag nach dem Kernbrennstoffsteuergesetz vom 08.12.2010 der Besteuerung. Das Kernbrennstoffsteuergesetz sollte Besteuerungsvorgänge erfassen, bei denen die sich selbsttragende Kettenreaktion vor dem 01.01.2017 ausgelöst wurde. Bei der Steuer handelte es sich nach Auffassung des Gesetzgebers um eine "Verbrauchsteuer im Sinn der Abgabenordnung". Steuerschuldner waren die Betreiber von Kernkraftwerken. Die Steuereinnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer betrugen für den Bundeshaushalt in den Jahren 2011 bis 2016 insgesamt 6,285 Milliarden Euro.
AKW-Betreiberin klagte gegen Steueranmeldung - FG Hamburg rief BverfG an
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens setzte im Jahr 2011 in den Reaktor eines von ihr betriebenen Kernkraftwerks neue Brennelemente ein, löste eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus und führte nach entsprechender Steueranmeldung einen Steuerbetrag in Höhe von rund 96 Millionen Euro ab. Daraufhin erhob sie Klage gegen die Steueranmeldung. Das Finanzgericht Hamburg setzte das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz vom 08.12.2010 mit dem Grundgesetz unvereinbar sei.
BVerfG: Bundesgesetzgeber hatte keine Gesetzgebungskompetenz
Das BVerfG hat das Kernbrennstoffsteuergesetz für unvereinbar mit Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG und für nichtig erklärt. Dem Bundesgesetzgeber habe die Gesetzgebungskompetenz zu seinem Erlass gefehlt. Die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder durch Art. 105 GG in Verbindung mit Art. 106 GG sei abschließend. Der einfache Gesetzgeber dürfe nur solche Steuern einführen, deren Ertrag durch Art. 106 GG dem Bund, den Ländern oder Bund und Ländern gemeinschaftlich zugewiesen werde. Nur innerhalb der durch Art. 105 und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe stehe es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu "erfinden" und bestehende Steuergesetze zu verändern. Ein freies Steuererfindungsrecht komme weder dem Bund noch den Ländern zu.
Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer
Laut BVerfG ist die Kernbrennstoffsteuer eine Steuer im finanzverfassungsrechtlichen Sinne, denn sie sei ohne individuelle Gegenleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erhoben worden. Sie entspreche aber nicht dem Typus der Verbrauchsteuer gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG. Die Typusbegriffe der Art. 105 und 106 GG - und damit auch der Typus der Verbrauchsteuer - seien weit zu interpretieren. Der Typus der Verbrauchsteuern umfasse danach solche Steuern, die nach ihrem Regelungskonzept den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs durch den privaten Endverbraucher belasten sollen und auf Grund eines äußerlich erkennbaren Vorgangs - regelmäßig das Verbringen des Verbrauchsgutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr - von demjenigen als Steuerschuldner erhoben werden, in dessen Sphäre sich der Vorgang verwirkliche.
Keine Besteuerung der privaten Einkommensverwendung
Die gebotene Gesamtbetrachtung führe zu dem Ergebnis, dass die Kernbrennstoffsteuer bereits das zentrale Typusmerkmal einer Besteuerung der privaten Einkommensverwendung nicht erfüllt und aufgrund der Besteuerung eines reinen Produktionsmittels typusfremd ist, so das BVerfG weiter. Die Gesetzesmaterialien über die Einführung der Kernbrennstoffsteuer würden gegen eine Zielsetzung des Gesetzgebers sprechen, für die Besteuerung an die Einkommensverwendung der privaten Verbraucher anzuknüpfen. Er gehe in der Gesetzesbegründung nicht von einer Steigerung der Stromkosten aus, da nach seiner Auffassung eine "Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird". Auch die Annahme des Gesetzgebers, die Unternehmen würden durch die Kernbrennstoffsteuer mit "bis zu 2,3 Milliarden Euro" belastet werden, weise in dieselbe Richtung. Diese Summe sei identisch mit dem damals kalkulierten Steueraufkommen. Aus den weiteren Gesetzesmaterialien ergebe sich nichts anderes, insbesondere nicht aus dem Hinweis, die vollständige Abwälzung der Steuerlast sei "[g]rundsätzlich [...] möglich". Dies werde durch die eigene Feststellung des Gesetzgebers, eine Abwälzung werde im maßgeblichen Regelfall nicht gelingen, widerlegt.
"Verbrauch" der Kernbrennstoffe genügt nicht für Annahme einer Verbrauchsteuer
Wäre eine Belastung der Verbraucher - die einzig über den Preis für den an sie abgegebenen Strom erfolgen könne - gewollt gewesen, hätte es nach Ansicht des BVerfG zudem nahegelegen, dafür an die mit den Kernbrennstoffen produzierte und an die Verbraucher abgegebene Strommenge statt an das Einsetzen der Brennelemente oder -stäbe in einen Kernreaktor und das Auslösen einer sich selbsttragenden Kettenreaktion und damit einen Vorgang weit außerhalb der Sphäre der Verbraucher anzuknüpfen. Im Falle der Besteuerung eines reinen Produktionsmittels, das sich nicht im Endverbrauchsgut körperlich wiederfindet, habe die Abgrenzung zwischen der Besteuerung der privaten Einkommensverwendung der Endverbraucher und der Besteuerung unternehmerischer Tätigkeit entscheidende Bedeutung für den Verbrauchsteuertypus. Trotz des gebotenen weiten Verständnisses bei der Bestimmung der Einzelsteuerbegriffe der Art. 105 und 106 GG komme demgegenüber den Gesichtspunkten, dass die Kernbrennstoffe bei ihrem Einsatz wirtschaftlich aufgezehrt und damit im Sinne des Verbrauchsteuerbegriffs "verbraucht" werden und dass es nicht zum Typus von Verbrauchsteuern gehört, allein Genussmittel zu besteuern, kein ausreichendes Gewicht zu, um dennoch eine Verbrauchsteuer annehmen zu können, betonte das BVerfG.
Abweichende Meinung
Die Richter Huber und Müller halten das Kernbrennstoffsteuergesetz zwar im Ergebnis ebenfalls für verfassungswidrig, aber sie teilen die Begründung der Senatsmehrheit nicht. Nach ihrer Ansicht steht dem Bund nach Art. 105 Abs. 2 GG eine konkurrierende Steuerfindungskompetenz zu. Der einfache Gesetzgeber könne bei Einführung einer neuen, nicht dem Katalog des Art. 106 GG unterfallenden Steuer auch über deren Ertragszuweisung entscheiden. Allerdings sei über den Wortlaut der Regelung in Art. 105 Abs. 3 GG hinaus die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Für die Kernbrennstoffsteuer habe der Bund danach zwar die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Mangels Zustimmung des Bundesrates sei das Kernbrennstoffsteuergesetz aber formell verfassungswidrig und nichtig.