Patientenverfügung untersagte Neuroleptika-Behandlung
Der Beschwerdeführer war ab Oktober 2015 zunächst einstweilig und nach Abschluss des Strafverfahrens dauerhaft in einem Bezirkskrankenhaus im Maßregelvollzug untergebracht. Bereits im Januar 2015 hatte er eine Patientenverfügung getroffen, die es jedem Arzt, Pfleger (und anderen Personen) verbietet, ihm Neuroleptika in irgendeiner Form gegen seinen Willen zu verabreichen oder ihn dazu zu drängen. Im September 2016 beantragte das Bezirkskrankenhaus die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers. Er leide an einer Schizophrenie vom paranoid-halluzinatorischen Typ. Ohne unverzügliche Behandlung träten mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversible hirnorganische Gesundheitsschäden ein. In den Jahren 2017 und 2018 erteilten verschiedene Gerichte und Instanzen rechtskräftig auf Grundlage des BayMRVG a. F. die Einwilligung, den Beschwerdeführer mit einem atypischen Neuroleptikum zu behandeln. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit und seiner Menschenwürde. Mittelbar richteten sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Eingriffsgrundlage für die Zwangsbehandlung im BayMRVG a. F.
BVerfG: Ausschluss im Zustand der Einsichtsfähigkeit ist zu beachten
Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden weitgehend stattgegeben. In der medizinischen Zwangsbehandlung einer untergebrachten Person mit Neuroleptika liege ein besonders schwerer Grundrechtseingriff. Dieser könne zwar zum Schutz der im Maßregelvollzug untergebrachten Person gerechtfertigt sein. Eine solche Rechtfertigung scheide aber aus, wenn die untergebrachte Person die Zwangsbehandlung im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen hat. Dann dürfe sich der Staat nicht zum Schutz des Untergebrachten über diese Disposition hinwegsetzen. Dies sei Ausdruck der persönlichen Autonomie des Einzelnen und als solche durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt und umfasse auch die "Freiheit zur Krankheit".
Anforderungen an eine bindende Erklärung
Voraussetzung sei, dass der Betroffene seine Entscheidung mit freiem Willen und im Bewusstsein über ihre Reichweite getroffen hat. Laut BVerfG bedarf es dafür einer zweistufigen Prüfung: Die Erklärung müsse im Zustand der Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung ihres Aussagegehalts abgegeben worden sein. Anschließend sei der Inhalt der Erklärung daraufhin auszulegen, ob dieser hinreichend bestimmt und die konkrete Behandlungssituation von der Reichweite der Erklärung umfasst ist. Lägen die Voraussetzungen für eine bindende Erklärung vor, so sei diese Ausdruck des freien Willens des Erklärenden und schließe eine Zwangsbehandlung, die sich zur Rechtfertigung allein auf den Schutz des Betroffenen selbst stütze, auch im Maßregelvollzug aus. Allerdings sei fortlaufend zu überprüfen, ob die jeweiligen Umstände und Krankheitssituationen noch von der Patientenverfügung gedeckt sind. Das BVerfG führt weiter aus, dass eine Zwangsbehandlung aber auch zum Schutz anderer Personen in der Maßregelvollzugseinrichtung, die krankheitsbedingten Übergriffen ausgesetzt sein könnten, gerechtfertigt sein könne. Die autonome Willensentscheidung des Patienten könne nur so weit reichen, wie seine eigenen Rechte betroffen seien. Über Rechte anderer Personen könne er nicht disponieren. Sehe der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Schutzpflicht die Maßnahme einer Zwangsbehandlung der untergebrachten Person vor, von der die Gefährdung anderer ausgehe, so sei er dabei an den Grundsatz strikter Verhältnismäßigkeit gebunden.
Fachgerichte haben Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend Rechnung getragen
Das BVerfG moniert, dass die angegriffenen Gerichtsentscheidungen diesen Maßstäben nicht genügten. Die Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit durch die medizinischen Zwangsbehandlungen seien nicht gerechtfertigt. Die gesetzliche Grundlage im BayMRVG a. F. genüge zwar den Anforderungen, die das Grundgesetz an die Zulassung von Zwangsbehandlungen stelle. Die Fachgerichte hätten jedoch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift Bedeutung und Tragweite der Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unzureichend Rechnung getragen. Obwohl sie von einer wirksamen Patientenverfügung ausgegangen seien, hätten sie die Erklärung hinter der staatlichen Pflicht zum Schutz der Gesundheit des Beschwerdeführers und insbesondere zur Herstellung seiner Entlassungsfähigkeit zurücktreten lassen, ohne zu ermessen, inwieweit die Schutzpflicht ihre Grenzen in dessen Selbstbestimmungsrecht als Patient finde.