BVerfG: Keine Strafbarkeitslücke für Straftaten nach dem WpHG durch Verweisung auf noch nicht anwendbare EU-Verordnung

Es besteht keine Straflosigkeit für Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), die vor der Anwendbarkeit der EU-Marktmissbrauchsverordnung am 03.07.2016 begangen wurden und noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG, nach der es am 02.07.2016 zu keiner "Ahndungslücke" für Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz gekommen sei, verstoße nicht gegen das Analogieverbot, entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 03.05.2018 (Az.: 2 BvR 463/17, BeckRS 2018, 9553).

Beschwerdeführerin stützte Revision gegen Verfallanordnung auf zwischenzeitliche WpHG-Änderung

Der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin wurde durch das Landgericht wegen Insiderhandels auf Grundlage des Gesetzes über den Wertpapierhandel in der bis zum 01.07.2016 gültigen Fassung verwarnt. Gegen die Beschwerdeführerin wurde der Verfall von Wertersatz in Höhe von 390.000 Euro angeordnet. Die Beschwerdeführerin legte gegen das Urteil Revision ein. Die Revision begründete die Beschwerdeführerin unter anderem mit einer zeitlich nach dem Urteil des Landgerichts erfolgten Änderung des Wertpapierhandelsgesetzes.

Straflosigkeit wegen Verweisung auf noch nicht anwendbare EU-Regelung geltend gemacht

Durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz vom 30.06.2016 sei die vorherige Vorschrift über das Verbot des Insiderhandels durch § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG ersetzt worden. Danach werde bestraft, wer gegen die Marktmissbrauchsverordnung (MAR) verstoße, indem er entgegen deren Art. 14 ein Insidergeschäft tätige. Diese Regelung sei am 02.07.2016 in Kraft getreten. Art. 14 MAR, auf den in dieser Vorschrift Bezug genommen werde, sei zwar bereits im Juni 2014 in Kraft getreten, aber erst ab dem 03.07.2016 anwendbar gewesen. § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG verweise somit für den 02.07.2016 auf eine Verordnung, die insoweit noch keine Geltung habe. Diese Leerverweisung habe die Straflosigkeit zur Folge, da gegen eine noch nicht anwendbare Verordnung nicht verstoßen werden könne und gemäß § 2 Abs. 3 StGB im Fall einer Gesetzesänderung stets das mildeste Gesetz anzuwenden sei. Diese zeitlich nach der Entscheidung des Landgerichts eingetretene Straflosigkeit habe der Bundesgerichtshof auch dann zu berücksichtigen, wenn es sich um einen bloßen gesetzgeberischen Irrtum handele. Das aus dem Insiderhandel Erlangte könne dann ebenfalls nicht mehr abgeschöpft werden.

BGH: Art. 14 MAR durch Bezugnahme ab dem 02.07.2016 für anwendbar erklärt

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision als unbegründet, da es sich bei § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche statische Verweisung auf die Marktmissbrauchsverordnung handle. Durch die Bezugnahme sei Art. 14 MAR ab dem 02.07.2016 für (mit)anwendbar erklärt worden, da der nationale Gesetzgeber stets eine lückenlose Ahndung des Insiderhandels habe erreichen wollen.

Beschwerdeführerin rügte Verletzung des Analogieverbots und ihres Eigentumsrechts

Die Beschwerdeführerin machte mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Analogieverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG und, aufgrund der Anordnung des Verfalls, eine Verletzung ihres Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG geltend.

BVerfG: Auslegung durch BGH kein Verstoß gegen Analogieverbot

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auslegung des § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG in der ab dem 02.07.2016 geltenden Fassung durch den BGH verstoße nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Das Analogieverbot gewährleiste, dass eine Tat nur bestraft werden darf, wenn ihre Strafbarkeit vor der Begehung der Tat gesetzlich bestimmt war. Über die Strafbarkeit eines Handelns entscheide allein der Gesetzgeber. Den Richtern verbleibe die Anwendung und Interpretation der Vorschriften innerhalb der Grenze des Wortlauts. Der BGH werde in dem angegriffenen Beschluss diesen Anforderungen gerecht.

Verweisungsnorm bestimmt unabhängig von der Bezugsnorm die Rechtsfolge

Laut BVerfG ist die Verweisung in § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG auf Art. 14 MAR als bloßer Verzicht zu werten, deren Wortlaut wiederzugeben. Die Verweisungsnorm bestimme unabhängig von der Bezugsnorm die Rechtsfolge. Es sei nicht entscheidend, ob die Bezugsnorm selbst eine Rechtsfolge enthalte und ob diese bereits anwendbar sei. Voraussetzung sei lediglich, dass die Bezugsnorm durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung bekannt gemacht worden ist. Dies wäre im Hinblick auf die Marktmissbrauchsverordnung, die bereits im Jahr 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sei, der Fall. Die Strafbarkeit sei daher genauso vorhersehbar gewesen, als wäre der Wortlaut des Art. 14 MAR in die Vorschrift des § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG aufgenommen worden.

Wortlaut der WpHG-Norm setzt keine Anwendbarkeit der Marktmissbrauchsverordnung voraus

Auch der Wortlaut des § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG setze nicht voraus, dass die Marktmissbrauchsverordnung auf europäischer Ebene bereits anwendbar gewesen sei. Aus dem Begriff "verstößt" ergebe sich nicht, dass die Verhaltensregel, gegen die verstoßen werde, bereits unabhängig von einer Bezugnahme anwendbar sein und bestimmte Rechtsfolgen auslösen müsse. Die vom BGH vorgenommene Auslegung des § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG sei im Übrigen weder objektiv willkürlich, noch verkenne sie europäisches Recht.

BVerfG, Beschluss vom 03.05.2018 - 2 BvR 463/17

Redaktion beck-aktuell, 29. Mai 2018.

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