78-jähriger Krebskranker will sofortige Impfung vor Chemotherapie
Der 78-jährige Antragsteller ist an Krebs erkrankt und muss sich einer Chemotherapie unterziehen. Er wollte deshalb per Eilantrag vor den Verwaltungsgerichten erreichen, dass er sofort gegen das Coronavirus SARS-CoV2 geimpft wird, obwohl er erst in der zweiten Impfgruppe (Schutzimpfung mit hoher Priorität) an der Reihe ist. Er blieb damit ohne Erfolg.
VGH München: Kein atypischer Fall - kein verfassungsrechtlicher Teilhabeanspruch
Der VGH München (BeckRS 2021, 1832) argumentierte, es liege kein atypischer Einzelfall vor, der es ausnahmsweise geböte, den Antragsteller in die Gruppe mit höchster Priorität hochzustufen und ihn innerhalb dieser Gruppe vorrangig zu impfen. Selbst wenn die Impfverordnung verfassungswidrig wäre, ergäbe sich nichts anderes, da auch der Teilhabeanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nur im Rahmen der Impfstoff-Kapazitäten bestünde, sodass die erforderliche Priorisierung ähnlichen Kriterien folgen müsste. Schließlich stellte der Mann beim BVerfG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, sofort geimpft zu werden.
BVerfG: Schwerer Nachteil durch Abwarten nicht hinreichend dargelegt
Das BVerfG hat den Antrag als unzulässig abgelehnt. Der Antragsteller habe nicht hinreichend nachvollziehbar vorgetragen, dass ihm durch ein Abwarten auf eine erste Schutzimpfung innerhalb der zweiten Gruppe ein schwerer Nachteil entstünde. Er habe bereits nicht dargetan, dass er eine erste Schutzimpfung in dieser Gruppe nicht alsbald erhalten könne. Ferner habe er nicht ausreichend vorgetragen, dass ihm eine risikoverringernde Isolation unmöglich ist.
VG Osnabrück lehnt Eilanträge in zwei ähnlichen Fällen ab
In zwei ähnlichen Fällen aus Niedersachsen lehnte das VG Osnabrück (Az.: 3 B 4/21 und 3 B 6/21) zwei Eilanträge schwer an Krebs Erkrankter (70 und 74 Jahre alt) auf eine unverzügliche Impfung ebenfalls ab. Hier erachtete das VG die Impfverordnung zwar für verfassungswidrig und nichtig, da es Sache des parlamentarischen Gesetzgebers gewesen wäre, die Verteilung der Impfstoffe zu regeln. Ein Anspruch auf eine sofortige Impfung bestehe gleichwohl nicht. Er könne nicht auf den verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch gestützt werden. Das VG argumentiert ähnlich wie der VGH mit der begrenzten Verfügbarkeit von Impfstoffen und der daher erforderlichen Priorisierung. Unabhängig von der Wirksamkeit der Impfverordnung bestünden gegen die darin getroffene Priorisierungsentscheidung aber keine rechtlichen Bedenken.
Regelung für medizinische Härtefälle
Härtefälle würden durch eine Ausweitung der zweiten und dritten Gruppe (hohe Priorität und erhöhte Priorität) erfasst, erläutert das VG. Beide Gruppen seien durch eine Regelung für nicht ausdrücklich genannte medizinische Härtefälle, bei denen ein erhöhtes, hohes oder sehr hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestehe, erweitert worden. Eine Priorisierung als Härtefall in die erste Gruppe (höchste Priorität) sehe die Verordnung zwar nicht vor. Verfassungsrechtliche Schutzpflichten würden dadurch aber auch unter Berücksichtigung der Krebserkrankungen der Antragsteller nicht verletzt, zumal sie jeweils in die Gruppe mit hoher Priorität (zweite Gruppe) fielen.
Zuordnungen zu höchster Prioritätsstufe sachlich gerechtfertigt
Die vorgenommene Einordnung bestimmter Personengruppen in die höchste Prioritätsstufe sei durch Sachgründe gerechtfertigt. Sie stehe im Einklang mit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO), die auch berücksichtige, dass für die Altersgruppe ab 65 Jahren derzeit nur zwei Impfstoffe (BioNtech/Pfizer und Moderna) empfohlen würden, die zudem nur begrenzt verfügbar seien. Es stelle auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, dass Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen unabhängig von Alter und etwaigen Vorerkrankungen in die höchste Prioritätsstufe fielen. Bei diesen gehe es nicht um deren individuellen Gesundheitsschutz, sondern vielmehr darum, die Funktionsfähigkeit des medizinischen Versorgungssystems zu erhalten und (mittelbar) die Bewohner und Patienten zu schützen. Die vorrangige Impfung von über Achtzigjährigen sei gerechtfertigt, weil nach bisherigen Erkenntnissen zu dem Verlauf einer Covid-19-Erkrankung das zunehmende Alter der entscheidende Risikofaktor für einen schweren bis tödlichen Verlauf der Erkrankung sei.