Keine Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach Wechsel des Aufgabenträgers bei hypothetischer Verjährung
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Die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach einem Wechsel des Aufgabenträgers verstößt gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenn hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und zwei Verfassungsbeschwerden stattgegeben. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter zurückliegenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen.

Vertrauensschutz wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung geltend gemacht

Die beiden Beschwerdeführerinnen wandten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen ihre Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach erfolgtem Wechsel des Aufgabenträgers. Sie sahen insbesondere den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt. Der verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensschutz verbiete die Erhebung von Anschlussbeiträgen durch einen neuen Aufgabenträger, wenn unter dem alten Aufgabenträger hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

BVerfG: Verstoß gegen Bindungswirkung früherer Kammerentscheidung

Laut BVerfG verstoßen die angegriffenen Entscheidungen bereits gegen die Bindungswirkung eines Beschlusses der Kammer von 2015 (Az.: BeckRS 2015, 56182). Danach verletze die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. nicht mehr erhoben werden könnten, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes). Diese Entscheidung sei für die Verwaltungsgerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend gewesen. Dies gelte auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu einem Wechsel des Aufgabenträgers gekommen ist. Im Fall der erfolgten Eingemeindung habe die Kammer ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als gegeben angesehen, sei also davon ausgegangen, dass der Wechsel eines Aufgabenträgers der Berufung auf die hypothetische Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht. Bei einem Beitritt einer Gemeinde zu einem Zweckverband oder der Gründung eines Zweckverbands durch mehrere Gemeinden gelte nichts anderes.

Verstoß gegen Vertrauensschutzgrundsatz

Auch die hier betroffenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ließen sich nicht mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbaren, so das BVerfG weiter. Der Gesetzgeber in Brandenburg habe zwar für Kommunalabgaben Verjährungsregelungen und eine (verfassungsgemäße) Regelung zur zeitlichen Höchstfrist (§ 19 Abs. 1 KAG Bbg) getroffen. Die Auslegungspraxis der Verwaltungsgerichte führe jedoch dazu, dass das durch den Eintritt der hypothetischen Verjährung begründete Vertrauen der Beschwerdeführerinnen, dass die erlangten tatsächlichen Vorteile nicht mehr durch Beiträge ausgeglichen werden müssen, für unbeachtlich erklärt wird, ohne dass Gründe ersichtlich wären, die es rechtfertigen könnten, nachträglich in die verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition einzugreifen. Je weiter der Eintritt der abzugeltenden Vorteilslage zurückliege, desto mehr verflüchtige sich die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für diese Vorteilslage. Sie sei ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Kein neuer Fristlauf nach Wechsel des Aufgabenträgers

Daran könnten auch die Änderung der Größe einer kommunalen Anlage und der Wechsel des Aufgabenträgers nichts ändern. Die Leistung der (früheren) Kommune, hier der Anschluss an die Wasser- und Abwasseranlage, habe sich durch das Aufgehen in ein größeres Verbandsgebiet nicht verändert. Damit beginne auch die Frist für das Vertrauen nicht wieder neu zu laufen. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Das wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht zu vereinbaren.

BVerfG, Beschluss vom 12.04.2022 - 1 BvR 798/19

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2022.