Keine Geldentschädigung für Kohls Witwe
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© Andreas Arnold / dpa

Die Witwe und Alleinerbin des verstorbenen Ex-Bundeskanzlers Helmut Kohl ist im Streit um eine Geldentschädigung und um Unterlassung vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Das BVerfG nahm ihre Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an. Das LG hatte Kohl im Zitate-Streit kurz vor seinem Tod eine Entschädigung von einer Million Euro zugesprochen, OLG und BGH hatten einen Anspruch der Witwe aber mangels Vererblichkeit verneint.

OLG und BGH versagten vom LG zugesprochene Geldentschädigung

2014 erschien das Buch "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle", das zahlreiche Äußerungen Kohls aus aufgezeichneten Gesprächen enthält, die der Historiker und Journalist Heribert Schwan als Ghostwriter mit Kohl geführt hatte, um Kohls Memoiren zu schreiben. Kohl klagte auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen. Außerdem erstrebte er eine Geldentschädigung von mindestens fünf Millionen Euro wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts. Das LG sprach Kohl eine Million Euro zu, der Unterlassungsklage gab es voll statt. Während des Berufungsverfahrens verstarb Kohl, seine Witwe und Alleinerbin Maike Kohl-Richter führte den Rechtsstreit fort. OLG und BGH verneinten einen Geldentschädigungsanspruch, da dieser grundsätzlich nicht vererblich sei. Die vom LG dem Verlag auferlegte Unterlassungsverpflichtung schränkten OLG und noch weitergehend der BGH mit Blick auf den geringeren Schutz durch das postmortale Persönlichkeitsrecht ein. Kohls Witwe rügte mit ihren Verfassungsbeschwerden eine Verletzung Kohls in seinem postmortalen Persönlichkeitsrecht und eine Verletzung ihres Eigentumsrechts.

BVerfG: Grobe Herabwürdigung des erworbenen Geltungsanspruchs nicht dargelegt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Was die Unterlassungsklage anbetreffe, habe Kohls Witwe ihre Beschwerde bereits nicht hinreichend  begründet. Zwar könne das Unterschieben nicht getätigter Äußerungen wie auch die unrichtige, verfälschte und entstellte Wiedergabe einer Äußerung, insbesondere in Zitatform, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße berühren. Die Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das nach dem Tod nicht fortwirke, seien mit dem den über den Tod hinaus fortbestehenden Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht identisch. Um von einer die Menschenwürde in ihrem unantastbaren Kern treffenden Verletzung auszugehen, müsse eine grobe Herabwürdigung und Erniedrigung des allgemeinen Achtungsanspruchs, der dem Menschen kraft seines Personseins zustehe, oder des sittlichen, personalen und sozialen Geltungswerts, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben habe, dargelegt werden. Daran fehle es hier. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten sei nicht der innerste Kern der Persönlichkeit des Erblassers betroffen. Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs seien die angegriffenen Urteile nicht zu beanstanden. Eine Infragestellung des durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruchs genüge nicht.

Kein Anspruch auf Geldentschädigung aus Menschenwürdegarantie

Auch, was die Versagung der Geldentschädigung angehe, seien die Urteile von OLG und BGH nicht zu beanstanden. Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen müsse. BGH und OLG hätte ihre Entscheidungen damit begründet, dass der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundsatz unvererblich sei, und zwar auch dann, wenn der Anspruch im Todeszeitpunkt des Verletzten bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs, Genugtuung zu verschaffen. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht unter dem Aspekt der Menschenwürde. Laut BVerfG begegnen diese Ausführungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus der Garantie der Menschenwürde folge keine Pflicht der Zivilgerichte, das persönlichkeitsrechtliche Sanktionensystem auszuweiten, jedenfalls dann nicht, wenn die Rechtsordnung andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde bereithalte. Hier weist das BVerfG auf bestehende Unterlassungsansprüche hin.

BVerfG, Beschluss vom 24.10.2022 - 1 BvR 19/22

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2022.