Kein effektiver Rechtsschutz bei falscher Auslegung des Antrags

Legt ein Gericht einen ausdrücklichen Antrag auf Haftaufhebung als unzulässige Beschwerde aus, verletzt es den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass auch eine Ankündigung des Antragstellers, die "Beschwerde" nach Akteneinsicht zu begründen, diese Verfahrensweise nicht rechtfertigen kann.

Keine Beschwerde

Mit Beschluss vom 14.09.2016 war der Betroffene auf Anordnung des Amtsgerichts Frankfurt am Main zur Sicherung seiner Ausreise in der Asylbewerberunterkunft auf dem Flughafen untergebracht worden. Sein Bevollmächtigter beantragte am 10.10.2016, den Betroffenen sofort in Freiheit zu setzen und festzustellen, dass der angefochtene Beschluss ihn seit Stellung des Haftaufhebungsantrags in seinen Rechten verletze. Er kündigte außerdem an, dass nach Akteneinsicht "die Beschwerde begründet" werde. Das AG half der "Beschwerde" wegen Verfristung nicht ab, was vom Landgericht Frankfurt am Main unter Hinweis auf diese Formulierung bestätigt wurde. In seiner Rechtsbehelfsbelehrung verwies das LG auf die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde. Gegenüber beiden Frankfurter Gerichten hatte der Anwalt zuvor darauf hingewiesen, dass er keine verfristete Beschwerde habe erheben wollen, sondern einen Antrag auf Haftaufhebung gestellt habe. Der BGH wies die nicht statthafte Rechtsbeschwerde zurück, machte aber schon auf die verfehlte Auslegung aufmerksam.

Rechtsschutzziel "verschleiert"

Die 2. Kammer des Zweiten Senats gab der Verfassungsbeschwerde bezüglich der in Frankfurt getroffenen Entscheidungen statt. Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt. Die 2. Kammer bejahte eine Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Frist: Dass der Betroffene zunächst noch den Weg zum BGH genommen habe, sei unschädlich, da das LG Frankfurt a. M. ihn mit seiner Rechtsbehelfsbelehrung auf ein falsches Gleis geführt habe. Scharf rügten die Karlsruher Richter, dass die Instanzgerichte nicht den Inhalt des Antrags berücksichtigt hätten, obwohl sie noch im Verfahren auf die Intention hingewiesen worden seien. Nicht nachvollziehbar sei, sich unter Ausblendung des Sachverhalts allein auf die Formulierung "Beschwerde" zurückzuziehen – "einen marginalen und offensichtlich als solchen erkennbaren Formulierungsfehler". Die Entscheidung des LG sei außerdem so formuliert, dass das wirkliche Ziel "verschleiert" werde.

BVerfG, Beschluss vom 22.09.2021 - 2 BvR 955/17

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW- und beck-aktuell-Redaktion, 21. Oktober 2021.