Streit um Hessendata
Hessen ist Vorreiter und arbeitet schon seit 2017 mit der Plattform Hessendata. Beuth sagte, die Software habe einen immensen Mehrwert für die polizeiliche Analyse. Ein vollständiges Bild ergebe sich erst, wenn man alle Puzzleteile zusammenbringe. Händisch werde das bei den riesigen Datenmengen kaum gelingen. Und gerade bei der Abwehr terroristischer Gefahren sei Zeit ein entscheidender Faktor. Ein Ministeriumsmitarbeiter schilderte, wie die Methode erst kürzlich bei der großen Razzia gegen sogenannte Reichsbürger eine Festnahme ermöglicht habe: Dank Hessendata sei aufgefallen, dass eine Nummer aus einer Telefonüberwachung in Bayern einmal bei einem Verkehrsunfall angegeben wurde. So hätten Aufenthaltsort und Personalien eines Beschuldigten festgestellt werden können.
Kritiker warnen vor ausufernder Informationssammlung
Ausgewertet werden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen. Dort sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst - oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hat, sieht die Gefahr, dass auch externe Daten in die Analyse einfließen, etwa aus sozialen Netzwerken. Das System lade dazu ein, immer mehr Informationen einzuspeisen. Beuth versicherte in der Verhandlung, es gebe keine Anbindung ans Internet und auch keinen automatisierten Zugriff auf Daten aus sozialen Netzwerken. Vor Beginn hatte der Minister Journalisten gesagt, unter bestimmten Voraussetzungen könnten auch Daten von außen dazugespielt werden. Das sei aber die Ausnahme und nicht die Regel.
"Zu viele Berechtigte"
Datenschützer haben noch aus anderen Gründen Bauchschmerzen. In Hessen arbeiten mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System - auch wenn sie jeweils nur für ihren Zuständigkeitsbereich freigeschaltet sind. Das seien zu viele Berechtigte, kritisierte der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel. Sein Kollege auf Bundesebene, Ulrich Kelber, gab zu bedenken, dass die aktuelle Nutzung erst der Anfang sei. Schon in naher Zukunft würden sehr viel mehr Stellen auf sehr viel mehr Daten zugreifen können. Außer in Hessen ist das System heute schon in Nordrhein-Westfalen im Einsatz ("DAR"), jeweils mit dem Programm Gotham des US-Unternehmens Palantir. In Bayern läuft gerade die Einführung einer ähnlichen Plattform ("Verfahrensübergreifendes Recherche- und Analysesystem", VeRA). Der Vertrag ist so ausgestaltet, dass andere Länder und der Bund dieses System ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können.
GFF fordert Festlegung von Eingriffsschwellen
Bevor es dazu kommt, will die GFF erreichen, dass Karlsruhe für die Nutzung der Technik strenge Vorgaben macht. Verfahrenskoordinatorin Sarah Lincoln sagte: "Es geht uns vor allem um die Eingriffsschwellen - also wann darf die Polizei das." Momentan passiere die Analyse lange im Vorfeld einer konkreten Gefahr. Das gehe zu weit. Die beiden Verfassungsbeschwerden, die der Erste Senat nun prüft, richten sich gegen die Regelung in Hessen und einen ähnlichen Passus in Hamburg, wo es bisher nur die gesetzliche Grundlage gibt. Dabei geht es ausschließlich um die Nutzung der Software, um Straftaten vorzubeugen - also noch bevor überhaupt etwas passiert ist. Das Urteil wird erfahrungsgemäß frühestens in einigen Monaten verkündet. Als Kläger treten Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten auf. Die Hamburger Strafverteidigerin Britta Eder sagte, sie sehe in der Software eine Gefahr für ihre Mandantschaft. Wer zu ihr Kontakt aufnehme, müsse befürchten, mit Menschen aus kriminellen Milieus in Verbindung gebracht zu werden. Die GFF hatte wegen der NRW-Software im Oktober noch eine dritte Verfassungsbeschwerde eingereicht.