BVerfG hebt Rundfunkbeitrag bis zu einer Neuregelung auf 18,36 Euro an
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Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Land Sachsen-Anhalt durch das Unterlassen seiner Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat. Die Bestimmungen mit der darin vorgesehenen Anpassung des Rundfunkbeitrags gelten bis zu einer Neuregelung vorläufig mit Wirkung vom 20.07.2021.

KEF schlug Erhöhung um 86 Cent vor

Der Rundfunkbeitrag ist die Haupteinnahmequelle für öffentlich-rechtliche Sender und wird seit 2013 je Wohnung erhoben. Er beträgt 17,50 Euro pro Monat und hatte zum Jahreswechsel um 86 Cent auf 18,36 Euro steigen sollen. Es wäre die erste Erhöhung seit 2009 gewesen. Der Rundfunkbeitrag wird in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Zunächst melden die Rundfunkanstalten auf der Grundlage ihrer Programmentscheidungen ihren Finanzbedarf an. Auf der zweiten Stufe prüft die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Auf der dritten Stufe setzen die Länder den Beitrag fest. Für die Beitragsperiode 2021 bis 2024 hat die KEF vorgeschlagen, den Beitrag zum 01.01.2021 um 86 Cent von 17,50 Euro auf 18,36 Euro zu erhöhen. Außerdem empfahl sie eine Reihe von Anpassungen in der Verteilung der Gelder. So sollte eine Finanzlücke von 1,5 Milliarden Euro zwischen 2021 und 2024 ausgeglichen werden. 

Nur Sachsen-Anhalt stimmte Staatsvertrag nicht zu

Dieser Vorschlag der KEF ist im Ersten Medienänderungsstaatsvertrag aufgenommen worden, der im Juni 2020 von allen Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder - mit einer Protokollnotiz des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt - unterzeichnet worden ist. In 15 Ländern ist zur Umsetzung in das Landesrecht im Jahre 2020 die Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften beschlossen worden. Lediglich das Land Sachsen-Anhalt hat nicht zugestimmt, infolge dessen der Staatsvertrag nicht in Kraft treten konnte. Der Ministerpräsident des Landes, Reiner Haseloff von der CDU, hatte den Gesetzentwurf am 08.12.2020 vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen, weil sich abzeichnete, dass seine Partei - anders als die Koalitionspartner SPD und Grüne - die Erhöhung nicht mittragen würde. Und mit der AfD, die als Kritikerin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekannt ist, wollte der Regierungschef keine gemeinsame Sache machen.

Sachsen-Anhalt hat Rundfunkfreiheit verletzt

Die Beschwerdeführer rügen Verletzungen ihrer Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil durch das Unterlassen der Zustimmung ihr grundrechtlicher Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung nicht erfüllt werde. Das BVerfG hat nun entschieden, dass die Verfassungsbeschwerden begründet sind. Das Unterlassen des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ersten Medienänderungsstaatsvertrag zuzustimmen, verletze die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Ablehnung durch ein Land darf angemessenen Beitrag nicht gefährden

Der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf funktionsgerechte Finanzierung sowie die Einhaltung der dazu notwendigen prozeduralen Sicherungen obliege den Ländern als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land Mitverantwortungsträger sei. Erfülle ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und werde dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, liege bereits darin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit. Denn ohne die Zustimmung aller Länder könne die länderübergreifende Finanzierung des Rundfunks derzeit nicht gewährleistet werden. Auch für eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung einer Nichterfüllung des grundrechtlichen Anspruchs sei danach auf alle Länder abzustellen. Jedenfalls genüge es im gegenwärtigen von den Ländern vereinbarten System nicht, wenn ein einzelnes Land eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags - überdies ohne tragfähige Begründung - ablehne.

Keine Rechtfertigung für unterlassene Zustimmung

Eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für das Unterlassen der Zustimmung des Landes zum Staatsvertrag und damit die ausgebliebene entsprechende Finanzierung des Rundfunks sieht das BVerfG hier nicht. Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung sei eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF nur durch alle Länder einvernehmlich möglich. Halte ein Land eine Abweichung für erforderlich, sei es Sache dieses Landes, das Einvernehmen aller Länder über die Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen. Das sei Sachsen-Anhalt nicht gelungen. Es fehle zudem an einer nachprüfbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung, um von der Feststellung der KEF abweichen zu können. Der Vortrag des Landes Sachsen-Anhalt, dass es sich seit Jahren unter den Ländern vergeblich um eine Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht habe, rechtfertige die Abweichung von der Feststellung des Finanzbedarfs nicht. Soweit das Land auf weitere möglicherweise beitragsrelevante Rahmenbedingungen in der Folge der Pandemie abstellen wollte, habe es Tatsachenannahmen, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, weder hinreichend benannt noch seine daran anknüpfende Bewertung offengelegt.

Bedürfnis für eine Zwischenregelung

Bis zu einer staatsvertraglichen Neuregelung durch die Länder bestehe ein Bedürfnis nach einer Zwischenregelung durch das BVerfG auf Grundlage des § 35 BVerfGG, um weitere erhebliche Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit zu vermeiden. Es liege nahe, hierfür übergangsweise eine dem Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags entsprechende Anpassung des Rundfunkbeitrags vorzusehen. Daher gölten die Bestimmungen des Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags vorläufig mit Wirkung vom 20.07.2021 bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung. Von einer Anordnung der rückwirkenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 01.01.2021 sah das Gericht ab.

Senderchefs begrüßen Entscheidung

Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hat die Entscheidung begrüßt. "Die Entscheidung versetzt uns in die Lage, in den kommenden Jahren weiter das bestmögliche Programm für die Menschen zu machen", sagte Buhrow am Donnerstag. "Wir danken dem Gericht für die zügige Beratung und begrüßen die eindeutige Entscheidung zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit. Der Beschluss steht in Kontinuität mit der bewährten Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte." Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags müsse frei von politischen Interessen erfolgen. Buhrow, der auch Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR) ist, betonte zugleich, dass man weiter die laufende Diskussion um die Reform des öffentlich-rechtlichen Auftrags konstruktiv begleiten und mitgestalten werde. "Der klare Beschluss der Karlsruher Richter bestätigt und stärkt die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", erklärte auch ZDF-Intendant Thomas Bellut. "Damit kann das ZDF für die kommenden Jahre verlässlich planen und dem Publikum weiter ein hochwertiges Programm bieten." Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue hat die Entscheidung als "bedeutende Entscheidung für die Rundfunkfreiheit in unserem Land" bezeichnet. "Das Bundesverfassungsgericht hat in beeindruckender Deutlichkeit den Wert eines staatsfern organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont". Zukunftsweisend sei der Karlsruher Beschluss mit Blick auf das künftige Beitragsverfahren, sagte Raue weiter: "Erstmals wird in dieser Deutlichkeit die föderale Verantwortungsgemeinschaft angesprochen, in der jedes Land Mitverantwortungsträger ist." Ein Alleingang wie in Sachsen-Anhalt sei nicht zulässig. Für das Deutschlandradio bedeute der Gerichtsbeschluss "endlich Planungssicherheit".

Haseloff hätte sich neues Verfahren für Festlegung der Beitragshöhe gewünscht

Der amtierende Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) verteidigte sein Vorgehen in der Sache. Allein die Debatte um die Erhöhung habe bei den Sendern schon positive Veränderungen gebracht, sagte er am Donnerstag in Magdeburg. So hätten die Anstalten etwa sowohl bei der Verteilung von Gemeinschaftseinrichtungen als auch in der Programmplanung Ostdeutschland zuletzt deutlich mehr Raum gegeben. Kritiker der Beitragserhöhung hatten unter anderem bemängelt, dass der Osten vor allem bei ARD und ZDF zu selten vorkomme. "Es hat sich sehr sehr viel in Bewegung gesetzt und ist auf dem richtigen Wege", meinte Haseloff. Er respektiere die Entscheidung des Gerichts, sagte der Regierungschef und betonte die hohe Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Haseloff bedauerte allerdings, dass die Karlsruher Richter kein neues Verfahren für die Festlegung der Beitragshöhe vorgegeben hätten. So bleibe unklar, was passiert, wenn die KEF einen bestimmten Finanzbedarf ermittelt, den die Landtage dann nicht akzeptieren würden. Die Parlamente seien immerhin frei in ihrer Entscheidung. "Das ist ein Demokratieproblem, was wir hier haben, das nicht aufgelöst ist."

BVerfG, Beschluss vom 20.07.2021 - 1 BvR 2756/20

Redaktion beck-aktuell, 5. August 2021 (ergänzt durch Material der dpa).