Anlasslose Massenüberwachung des BND im Ausland verfassungswidrig
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Die gegenwärtige Ausgestaltung der Überwachung der Telekommunikation von Ausländern im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (BND) verstößt gegen Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab am 19.05.2020 einer Verfassungsbeschwerde gegen das Ende 2016 reformierte BND-Gesetz statt, stellte die Auslandsüberwachung aber nicht grundsätzlich in Frage. Das Gesetz muss nun bis spätestens Ende 2021 überarbeitet werden.

Stärkung der Bürgerrechte und der Pressefreiheit

Der Rauch nach der explosiven Entscheidung des BVerfG zu den EZB-Anleihekäufen hat sich noch nicht verzogen, da fällt Karlsruhe schon das nächste politisch brisante Urteil: Darin erklärt der Erste Senat die sogenannte Ausland-Ausland-Überwachung für verfassungswidrig. Er stärkt damit die Bürgerrechte und die Pressefreiheit in der digitalen Welt, schränkt gleichzeitig aber die Leistungsfähigkeit des Auslandsgeheimdienstes empfindlich ein. Das Urteil erging auf die Verfassungsbeschwerde der Organisation Reporter ohne Grenzen sowie mehrerer Journalisten und Aktivisten, darunter auch ein deutscher Anwalt. Sie alle befürchteten, bei ihrer Arbeit in das Visier des BND zu geraten. Sie wurden bei ihren Verfassungsbeschwerden von einem Bündnis aus Journalistenverbänden und Nichtregierungsorganisationen unterstützt, das die Gesellschaft für Freiheitsrechte koordinierte.

Umfassende Befugnis zur Ausland-Ausland-Überwachung

Konkret richtete sich die Beschwerde gegen Regelungen im seit 2017 geltenden BND-Gesetz, das dem Geheimdienst eine anlassunabhängige Überwachung der gesamten Internetkommunikation von im Ausland lebenden Ausländern erlaubt. Dazu kann sich der BND per Anordnung massenhaft Daten von den Providern zuleiten lassen. Ein Filtersystem soll sicherstellen, dass am Ende nur Informationen gespeichert werden, die der Dienst laut Gesetz sammeln darf. Das heißt: Kommunikation von Deutschen muss grundsätzlich aussortiert werden. Auch solche, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betrifft oder die von besonders geschützten Berufsgruppen, wie etwa Journalisten oder Anwälten, darf nicht erfasst werden. Kritiker halten das bei den Datenmengen für technisch unmöglich. Der BND räumte selbst ein, dass dies nicht hundertprozentig zuverlässig gelingt, hielt seine Fehlerfassungen im Hinblick auf die großen Datenmengen aber für sehr gering.

Grundrechtsschutz nicht auf Deutschland beschränkt

Mit der Entscheidung stellt das BVerfG erstmals klar, dass sich der Grundrechtsschutz nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt. Dies entspreche dem Anspruch eines umfassenden, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundrechtsschutzes und der Einbindung der Bundesrepublik in die internationale Staatengemeinschaft, so das Gericht. Gleichzeitig betont der Senat, dass sich der Schutz der einzelnen Grundrechte im Inland und Ausland unterscheiden kann. Art. 10 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gelten als Abwehrrechte gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung aber jedenfalls auch für Ausländer im Ausland – unabhängig davon, von wo die Überwachung erfolgt.

Befugnisse in aktueller Ausgestaltung verfassungswidirg

Vor diesem Hintergrund hält das BVerfG die Befugnisse des BND zur Ausland-Ausland-Überwachung für formell und materiell verfassungswidrig. Der Senat erkennt einen Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, weil der Gesetzgeber die Grundrechte fälschlicherweise nicht für anwendbar hält. Damit fehle es ihm am Bewusstsein, zu Grundrechtseingriffen zu ermächtigen, und zugleich am Willen, sich über deren Auswirkungen Rechenschaft abzulegen.

Besondere Eingriffsintensität

Inhaltlich kritisiert der Senat, dass die derzeitige Ausgestaltung der besonderen Eingriffsintensität der Telekommunikationsüberwachung nicht gerecht wird. Ansonsten sei das Instrument der strategischen Fernmeldeaufklärung grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar. Sie müsse aber in verhältnismäßiger Weise begrenzt sein. Dem genügten die aktuellen Vorschriften im BND-Gesetz nicht.

Senat formuliert genaue Anforderungen

Der Senat legt ausführlich dar, welche Anforderungen künftig erfüllt werden müssen. Er erwartet unter anderem klarere gesetzliche Vorgaben dazu, dass und wie die Inlandskommunikation auszufiltern ist. Außerdem müssten die Überwachungszwecke präzise festgelegt werden. Verfahrensregelungen sollen aus Sicht des Senats die Überwachung besser strukturieren und damit kontrollierbar machen. Besonders zu schützen seien der Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie die Kommunikation von Berufsgruppen, die besonderer Vertraulichkeit unterliegen, wie es etwa bei Anwälten und Journalisten der Fall ist. Zu den Verhältnismäßigkeitsanforderungen gehörten schließlich eine Speicherdauer von maximal sechs Monaten sowie die Vorgabe von Löschpflichten.

Begrenzung auch bei Datenübermittlung und Kooperation

Eine stärkere Begrenzung fordert der Senat auch für die Übermittlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse der Auslandsüberwachung an andere Stellen. Soweit Daten an ausländische Empfänger übermittelt werden, müsse der Gesetzgeber eine Vergewisserung darüber vorschreiben, dass dort ein rechtsstaatlicher Umgang mit den Informationen stattfinde. Dies betreffe sowohl die Wahrung datenschutzrechtlicher Anforderungen als auch die Einhaltung elementarer menschenrechtlicher Grundsätze. Dies gelte entsprechend auch im Rahmen von Kooperationen mit ausländischen Diensten. Darüber hinaus stellt der Senat noch spezifische Anforderungen für die Nutzung von diesen benannter Suchbegriffe auf. Sie müssen künftig plausibilisiert werden.

Mehr Kontrolle

Schließlich reicht dem BVerfG die bisherige Kontrolle des BND nicht aus. Unter besonderer Berücksichtigung der wirksamen Aufgabenwahrnehmung durch Geheimdienste sei eine kontinuierliche Rechtskontrolle erforderlich, die einen umfassenden Zugriff ermögliche. Das BVerfG stellt sich das einerseits als eine mit abschließenden Entscheidungsbefugnissen verbundene gerichtsähnliche Kontrolle vor, der die wesentlichen Verfahrensschritte der strategischen Überwachung unterliegen, sowie anderseits als eine administrative Aufsicht, die eigeninitiativ stichprobenmäßig den gesamten Prozess der Überwachung auf seine Rechtmäßigkeit prüfen kann.

Neuregelung muss bis Ende 2021 stehen

Da die Befugnisse für die Sicherung der politischen Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erhebliche Bedeutung haben und aus Sicht des Gerichts so ausgestaltet werden können, dass sie mit den Grundrechten vereinbar sind, ordnet das BVerfG eine Fortgeltung der beanstandeten Vorschriften bis zur einer Reform des BND-Gesetzes an, längstens jedoch bis zum 31.12.2021.

BVerfG, Urteil vom 19.05.2020 - 1 BvR 2835/17

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2020.