Gewerbesteuerpflicht für Gewinne aus Anteilsveräußerung "nicht natürlicher" Mitunternehmer eingeführt
Bei Personengesellschaften und Einzelunternehmern unterlagen Gewinne aus der Veräußerung des Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs oder von Anteilen an einer Mitunternehmerschaft bis zur Einführung des § 7 Satz 2 GewStG grundsätzlich nicht der Gewerbesteuer. Hingegen waren und sind bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich sämtliche Gewinne gewerbesteuerpflichtig. Allerdings ging die Rechtsprechung ungeachtet der gesetzlichen Fiktion des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG davon aus, dass die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Personengesellschaften auch bei Kapitalgesellschaften, die ihre Anteile daran veräußern, nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Durch die Einführung des § 7 Satz 2 GewStG beendete der Gesetzgeber diese Rechtslage für Mitunternehmerschaften und unterwarf bei ihnen auch die Gewinne aus der Veräußerung ihres Betriebs, eines Teilbetriebs oder von Anteilen eines Gesellschafters weitgehend – soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer entfällt – der Gewerbesteuer. Die Einführung von § 7 Satz 2 GewStG sollte die Gefahr von Missbrauch beseitigen, die nach damaliger Rechtslage durch einkommen- und körperschaftsteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten entstanden war.
Gewinne aus Anteilsveräußerungen vor Gesetzesänderung besteuert
Die Beschwerdeführerin ist ein weltweit agierendes Unternehmen im Braugewerbe. Sie ist eine Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin in den entscheidungserheblichen Jahren 2001 und 2002 eine Offene Handelsgesellschaft war. Gesellschafterinnen der Offenen Handelsgesellschaft waren zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Kommanditisten der Beschwerdeführerin waren neben zwei weiteren GmbHs eine Stiftung, vier Kommanditgesellschaften und natürliche Personen. Mit Ausnahme einer GmbH veräußerten alle an der Beschwerdeführerin beteiligten Kommanditisten in den Jahren 2001 und 2002 ihre Kommanditanteile. Um dies vorzubereiten, schlossen die Gesellschafter im Juli 2001 eine Gesellschaftervereinbarung. Sie beauftragten einen Lenkungsausschuss mit dem Abschluss eines Anteilsverkaufsvertrags im Namen der Gesellschafter. Im August 2001 wurde zwischen dem Lenkungsausschuss im Namen der veräußernden Kommanditisten, der Beschwerdeführerin, der Käuferin und deren Konzernmuttergesellschaft ein Kauf- und Abtretungsvertrag geschlossen. Am 1. September 2001 genehmigte eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der Beschwerdeführerin den Vertrag und stimmte der beabsichtigten Abtretung der Kommanditanteile zum Februar 2002 zu. In ihrer Gewerbesteuererklärung 2002 erklärte die Beschwerdeführerin einen laufenden Verlust für beide Rumpfwirtschaftsjahre und Veräußerungsgewinne nach § 7 Satz 2 GewStG in Höhe von circa 663 Millionen Euro. Das Finanzamt setzte den Gewerbesteuermessbetrag auf knapp 26 Millionen Euro und die Gewerbesteuer auf knapp 107 Millionen Euro fest.
Beschwerdeführerin rügte unzulässige Rückwirkung
Der Einspruch der Beschwerdeführerin hatte keinen Erfolg. Die von der Beschwerdeführerin zum Finanzgericht erhobene Klage war nur teilweise erfolgreich. Gemäß ihrem Hilfsantrag wurde der Veräußerungsgewinn nicht in voller Höhe der Besteuerung unterworfen. Dem Vortrag der Beschwerdeführerin, § 7 Satz 2 GewStG sei wegen unzulässiger Rückwirkung und Verletzung des Gleichheitssatzes verfassungswidrig und daher der Veräußerungsgewinn nicht zu besteuern, folgte das Finanzgericht hingegen nicht. Die Revision zum Bundesfinanzhof blieb erfolglos. Dagegen legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde ein.
BVerfG: Kein Verstoß gegen Leistungsfähigkeitsprinzip durch Steuerschuldnerschaft der Personengesellschaft
Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das BVerfG erachtet § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG in der Fassung vom 23.07.2002 für verfassungskonform. Die Vorschrift sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung für das Steuerrecht vereinbar. Der Gesetzgeber bewege sich mit dieser Neuregelung von 2002 im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis. Laut BVerfG durfte die Steuerschuldnerschaft auch nach Einführung des § 7 Satz 2 GewStG weiterhin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG der Personengesellschaft zugewiesen werden. Dies verstoße nicht gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dies gelte auch in den Fällen des § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG, obwohl der Gewinn aus der Veräußerung des Anteils beim veräußernden Gesellschafter verbleibe.
Leistungsfähigkeit der Gesellschaft bleibt im Grundsatz unverändert
Ein durchgreifender Konflikt mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip liegt nach Ansicht des BVerfG jedenfalls deshalb nicht vor, weil die mit dem Mitunternehmeranteil veräußerten Anteile an den Vermögensgegenständen durch den in die Gesellschaft einrückenden Erwerber in der Mitunternehmerschaft verbleiben und die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft im Grundsatz unverändert erhalten. Soweit der veräußernde Mitunternehmer einen Verkaufserlös durch Aufdeckung stiller Reserven erzielt habe, übernehme der Erwerber den entsprechend erhöhten Bilanzwert in einer Ergänzungsbilanz in der Mitunternehmerschaft. Verkaufe die Gesellschaft später diese Vermögensgegenstände, werde durch die Auflösung der Ergänzungsbilanz beim eingetretenen Gesellschafter eine Doppelbesteuerung der stillen Reserven vermieden.
Gesellschaftsvertragliche Vereinbarung von Freistellungspflichten möglich
Im Übrigen habe der Gesetzgeber davon ausgehen dürfen, dass die Begründung der Gewerbesteuerschuld bei der Personengesellschaft durch § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG auch in den Fällen des § 7 Satz 2 GewStG zu keinen unüberwindbaren Schwierigkeiten bei einer interessengerechten Verteilung der Gewerbesteuer innerhalb der Mitunternehmerschaft führt, so das BVerfG weiter. Es sei Sache der Gesellschaft, die interne Gewinn- und Verlustverteilung auch unter Berücksichtigung anfallender Steuerpflichten zu regeln. Durch Gesellschaftsvertrag könnten etwaige Freistellungspflichten des die Gesellschaft verlassenden Gesellschafters im Hinblick auf Steuern vereinbart werden, die dadurch bei der Gesellschaft anfielen.
Ausnahme von Gewinnen aus Anteilsveräußerungen natürlicher Personen gerechtfertigt
Laut BVerfG wird Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht dadurch verletzt, dass § 7 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 GewStG den Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebsanteils eines Mitunternehmers der Gewerbesteuer unterwerfe, davon aber den Veräußerungsgewinn ausnehme, der auf natürliche Personen entfalle, die unmittelbar an der Mitunternehmerschaft beteiligt seien. Diese Regelung benachteilige zwar Mitunternehmerschaften, soweit an ihnen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften beteiligt seien, gegenüber solchen mit unmittelbar beteiligten natürlichen Personen. Der hierfür hinreichend gewichtige Rechtfertigungsgrund bestehe aber in der Verhinderung von Umgehungsgestaltungen. Der Gesetzgeber habe bei unmittelbar beteiligten natürlichen Personen ein von vornherein geringeres Umgehungspotential als bei Kapital- und Personengesellschaften annehmen dürfen. Daneben stützten auch Erwägungen der Vereinfachung des Verwaltungsvollzugs die Besserstellung.
Kein Verstoß gegen Rückwirkungsverbot
Das BVerfG sieht in der Anwendung des im Juli 2002 in § 7 GewStG eingefügten Satzes 2 Nr. 2 auf den Veräußerungsgewinn der Beschwerdeführerin auch keinen Verstoß gegen das Verbot rückwirkend belastender Gesetze aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Es liege ein Fall unechter Rückwirkung vor, da die Norm mit Wirkung zum 27.07.2002 in das Gewerbesteuergesetz eingefügt wurde und erstmals für den Erhebungszeitraum 2002 anzuwenden war. Die Norm wirke auf den 01.01.2002 zurück, weil die Gewerbesteuer erst mit Ablauf des Erhebungszeitraums entsteht.
Kein schützenswertes Vertrauen verletzt
Die Rückwirkung der angegriffenen Regelung auf den Erhebungszeitraum 2002 verletze kein schützenswertes Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand der alten Rechtslage, erläutert das BVerfG. Denn § 7 Satz 2 GewStG in der seit dem Gesetz vom 27.07.2002 und auch noch heute geltenden Fassung sei durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz mit Wirkung zum 25.12.2001 schon einmal in das Gewerbesteuergesetz eingefügt worden und sollte erstmals für den Erhebungszeitraum 2002 Anwendung finden. Durch das Solidarpaktfortführungsgesetz sei die Norm jedoch schon zum 01.01.2002 versehentlich wieder außer Kraft gesetzt worden und habe somit zunächst keine steuerrechtliche Wirkung entfalten können.
Vertrauen durch Zuleitung des ersten Gesetzentwurfs zum Bundesrat zerstört
Nach Auffassung des BVerfG war das Vertrauen der Beschwerdeführerin in den Bestand des zuvor geltenden Gewerbesteuerrechts bereits mit der Zuleitung des Entwurfs des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes zum Bundesrat nicht mehr schutzwürdig. Die ursprünglich geplante und schließlich erst durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen umgesetzte Neuregelung des § 7 Satz 2 GewStG betreffe dasselbe Gesetzgebungsziel mit demselben Inhalt durch denselben Gesetzgeber. Beide Gesetzgebungsverfahren seien als Einheit zu werten. Daher könne nicht nur die Einbringung eines Gesetzesvorhabens in den Bundestag, sondern bereits dessen Zuleitung zum Bundesrat vertrauenszerstörende Wirkung haben.
Rechtsprechung zur Vertrauenszerstörung durch Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Bundestag übertragbar
Das BVerfG weist darauf hin, dass es in jüngerer Zeit bereits mehrfach entschieden habe, dass die Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag das Vertrauen der Betroffenen zerstören könne und eine Neuregelung unechte Rückwirkung entfalten dürfe. Ab diesem Zeitpunkt seien mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen absehbar. Dann könnten Steuerpflichtige nicht mehr darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde unverändert fortbestehen. Es sei ihnen auch möglich, ihre wirtschaftlichen Dispositionen auf zukünftige Änderungen einzustellen. Diese Erwägungen gelten dem BVerfG zufolge in gleicher Weise für die Zuleitung eines Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung an den Bundesrat. Die Zuleitung einer ausformulierten Gesetzesvorlage an den Bundesrat zerstöre Vertrauen ebenso. Mit ihrer Veröffentlichung erhielten Betroffene ebenfalls die Möglichkeit, sich auf die etwaige Gesetzesänderung einzustellen.
Beschwerdeführerin musste nach Zuleitung des ersten Gesetzentwurfs zum Bundesrat mit Gewerbebesteuerung rechnen
Das BVerfG kommt daher zu dem Ergebnis, dass sich die Beschwerdeführerin jedenfalls für das Erhebungsjahr 2002 auf eine nachteilige Änderung der Gewerbebesteuerung von Anteilsveräußerungen durch ihre Mitunternehmer habe einstellen müssen. Nach Zuleitung des Entwurfs eines Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes am 17.08.2001 durch die Bundesregierung an den Bundesrat hätten Mitunternehmerschaften nicht mehr darauf vertrauen können, dass eine Anteilsveräußerung durch ihre Gesellschafter auch künftig noch gewerbesteuerfrei sein würde.
Verbindliche Entscheidungen über Anteilsveräußerungen ergingen erst später
Wie das BVerfG weiter darlegt, fielen die verbindlichen Entscheidungen über die Anteilsveräußerungen zeitlich nach der Zuleitung des Entwurfs an den Bundesrat. Der Entwurf zu einem Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz sei am 17.08.2001 dem Bundesrat zugeleitet worden. Die Gesellschafter der Beschwerdeführerin hätten erst am 01.09.2001 dem Kauf- und Abtretungsvertrag zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Gesetzentwurf in einer Bundesratsdrucksache bereits veröffentlicht gewesen.
Vertrauenszerstörung umfasst auch Abweichung von ursprünglichem Gesetzentwurf
Die vertrauenszerstörende Wirkung der Zuleitung des Entwurfs eines Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes beschränke sich nicht streng auf den durch den Wortlaut des Entwurfs von § 7 Satz 2 GewStG betroffenen Kreis von Mitunternehmern, so das BVerfG weiter. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf sollte künftig der Gewinn aus der Veräußerung des Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen sei, der Gewerbesteuer unterfallen, "soweit er nicht auf eine natürliche Person als Mitunternehmer entfällt". Gesetz sei dann jedoch eine Formulierung geworden, die lediglich den auf "eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer" entfallenden Gewinn gewerbesteuerfrei gelassen habe. Angesichts der Zielsetzung des Gesetzgebers, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen einer Mitunternehmerschaft der Gewerbesteuer zu unterwerfen, um Umgehungsgestaltungen zu vermeiden, hätten sich Mitunternehmer auch schon nach Bekanntwerden der ursprünglichen Entwurfsfassung nicht darauf verlassen dürfen, dass Veräußerungsgewinne von mittelbar beteiligten Personen verschont bleiben würden.
Zufluss der Veräußerungsgewinne vor Gesetzesverkündung irrelevant
Das rückwirkende Inkraftsetzen des § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG zum Beginn des Erhebungszeitraums 2002 ist dem BVerfG zufolge mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes auch insoweit vereinbar, als er Veräußerungsgewinne erfasse, die zwar vor Verkündung des Gesetzes im Juli 2002 den Verkäufern zugeflossen seien, aber auf Dispositionen beruhten, die erst nach der Zuleitung des Gesetzes an den Bundesrat verbindlich getroffen worden seien. Eine besonders verfestigte Vermögensposition, die einem unecht rückwirkenden Zugriff des Steuergesetzgebers entzogen wäre, bestehe nicht. Gewinne aus Dispositionen, die erst vorgenommen würden, nachdem ein ordnungsgemäß in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachter Gesetzentwurf etwaiges Vertrauen zerstört habe, hinderten den Gesetzgeber nicht an einer unecht rückwirkenden Steuerbelastung, selbst wenn die Erträge vor der Verkündung des Gesetzes zugeflossen seien.
Verfahrensrügen gegen BFH-Urteil nicht hinreichend begründet
Auch die gegen das BFH-Urteil und den BFH-Beschluss über die Anhörungsrüge erhobenen Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg. Die Beschwerdeführerin sei nicht in ihren prozessualen grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin genüge insgesamt nicht den sich aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ergebenden Begründungsanforderungen. Im Übrigen liege es im Spielraum des Gesetzgebers, aus Gründen der Praktikabilität die Anhörungsrüge so auszugestalten, dass der darüber befindende Spruchkörper nicht personenidentisch mit dem sein muss, der die Entscheidung in der Hauptsache getroffen habe.