Verfassungsschutz bei Staatsschutzdelikten zur Übermittlung personenbezogener Daten verpflichtet
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG übermittelt das Bundesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten und Informationen an Polizeien und Staatsanwaltschaften, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG definiert die Staatsschutzdelikte unter anderem als die in §§ 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, die gegen die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b oder c GG genannten Schutzgüter gerichtet sind. § 21 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG erstreckt die Übermittlungspflichten des § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG entsprechend auf die Verfassungsschutzbehörden der Länder. Auf diese Übermittlungsregelungen verweist das Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G), das Regelungen über eine Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, die in ihrem Kern der Informationsanbahnung dient, enthält. Dazu werden in ihr spezifische personenbezogene Daten gespeichert, wenn ihre Kenntnis für die Aufklärung oder Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus erforderlich ist.
BVerfG bejaht Verstoß gegen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
Der Beschwerdeführer, der im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund rechtskräftig verurteilt wurde, beanstandete die Übermittlungstatbestände, soweit mit nachrichtendienstlichen Mitteln heimlich erhobene personenbezogene Daten übermittelt werden. Er rügte eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das BVerfG hat die Übermittlungsvorschriften in § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 und § 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG für verfassungswidrig erklärt. Sie verstießen gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit sie zur Übermittlung personenbezogener Daten verpflichteten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben worden seien. Die angegriffenen Vorschriften seien zwar in formeller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar. Insbesondere stehe dem Bund hier die Gesetzgebungskompetenz zu. Denn die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG erstrecke sich nicht nur auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, sondern auch auf die der Länder untereinander. Sie umfasst hingegen nicht die Regelung der Zusammenarbeit zwischen Behörden desselben Landes.
Anforderungen an Normenklarheit nicht durchgehend erfüllt
Die angegriffenen Übermittlungsbefugnisse genügten jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Normenklarheit und die Verhältnismäßigkeit und enthielten keine ausreichenden Vorgaben für eine Protokollierung der Datenübermittlung. Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit folge hier allerdings nicht ohne weiteres aus der Verwendung mitunter mehrgliedriger Verweisungsketten. Die Normenklarheit setze der Verwendung gesetzlicher Verweisungsketten Grenzen, stehe dieser aber nicht grundsätzlich entgegen. Maßgeblich bleibe die inhaltliche Verständlichkeit der Regelung für den Normbetroffenen. Laut BVerfG sind zwar einige der selbst vielgliedrigen Verweisungsketten des § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG normenklar, dies sei aber nicht durchgehend der Fall. Verweisungen dürften nicht durch die Inbezugnahme von Normen, die andersartige Spannungslagen bewältigten, ihre Klarheit verlieren und in der Praxis nicht zu übermäßigen Schwierigkeiten bei der Anwendung führen. Dies drohe vorliegend dadurch, dass zur Bestimmung der Straftaten, die eine Übermittlungspflicht auslösten, ohne weitere Einschränkung auf § 120 Abs. 2 GVG verwiesen werde. Nach dieser Vorschrift werde die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für bestimmte Straftaten nur begründet, wenn der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Verfolgung übernimmt. Ob und inwieweit dieses Tatbestandmerkmal auch im Rahmen der - insbesondere gefahrenabwehrrechtlichen - Übermittlungspflicht zu berücksichtigen sei, lasse § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG in Verbindung mit § 120 Abs. 2 GVG nicht mit hinreichender Klarheit erkennen.
Übermittlungsbefugnisse unverhältnismäßig
Das BVerfG moniert die in § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfSchG geregelten Übermittlungsbefugnisse zudem als unverhältnismäßig. Für die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen von Verfassungsschutzbehörden an Sicherheitsbehörden mit operativen Anschlussbefugnissen gelte grundsätzlich ein informationelles Trennungsprinzip. Aufgrund der weitreichenden Überwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden unterlägen derartige Übermittlungen gesteigerten Rechtfertigungsvoraussetzungen. Jedenfalls wenn personenbezogene Daten und Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben worden seien, beurteilten sich diese nach dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung. Danach komme es darauf an, ob der empfangenden Behörde zu dem jeweiligen Übermittlungszweck eine eigene Datenerhebung und Informationsgewinnung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln wie der vorangegangenen Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörde erlaubt werden dürfte.
Wegen Trennungsprinzips strenge Anforderungen für Übermittlung
Die Übermittlung an eine Gefahrenabwehrbehörde setze daher voraus, dass sie dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient, für das wenigstens eine hinreichend konkretisierte Gefahr bestehe. Laut BVerfG genügen die angegriffenen Vorschriften den geltenden Anforderungen nicht. § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG benenne bei der Regelung der Übermittlung nachrichtendienstlich erhobener Daten zur Gefahrenabwehr nicht unmittelbar das zu schützende Rechtsgut, sondern knüpfe - grundsätzlich zulässig - ebenso wie bei der Übermittlung zur Strafverfolgung an die in § 20 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG aufgeführten Straftaten an. Allerdings könnten nicht alle in den §§ 74a, 120 GVG genannten und durch die Vorschrift pauschal in Bezug genommenen Straftaten als besonders schwere Straftaten qualifiziert werden. Gleiches gelte für den offenen Übermittlungstatbestand, der beliebige sonstige Straftaten alleine aufgrund ihrer Zielsetzung oder des Motivs des Täters mit einbeziehe. Insoweit helfe es auch nicht, dass § 23 Nr. 1 BVerfSchG ein allgemeines Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen enthält. Dieser Pauschalvorbehalt strukturiere den Abwägungsprozess trotz der inzwischen erfolgten verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Anforderungen jedenfalls wegen der in § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG normierten Pflicht zur Übermittlung nicht in einer Weise, dass eine Beschränkung der Übermittlung auf Fälle gesichert wäre, in denen die notwendigen Voraussetzungen vorliegen.
Übermittlungsschwelle in § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG unzureichend
Darüber hinaus fehle es an der verfassungsrechtlich gebotenen Übermittlungsschwelle. Die angegriffenen Vorschriften erlaubten eine Übermittlung bereits dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich sei. Sie ermöglichten damit die Übermittlung von Informationen, die unabhängig von einer konkretisierten Gefahrenlage oder von bestimmten, den Verdacht begründenden Tatsachen als erforderlich angesehen werden könnten. Schließlich genügten die Übermittlungsvorschriften den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine spezifisch normierte Pflicht zur Protokollierung der Übermittlung sowie zur Nennung der für die Übermittlung in Anspruch genommenen Rechtsgrundlage nicht. Bis zur Neuregelung spätestens bis Ende 2023 sollen die erfolgreich angegriffenen Vorschriften aber weitergelten.