Gesetz gegen Kinderehen muss nachgebessert werden
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Das Bundesverfassungsgericht hat die durch das Gesetz gegen Kinderehen 2017 eingefügte Regelung, wonach eine im Ausland geschlossene Ehe automatisch in Deutschland unwirksam ist, wenn einer der Ehepartner bei der Eheschließung noch nicht 16 Jahre alt war, für unvereinbar mit der Ehefreiheit erklärt. Zwar dürfe der Gesetzgeber ein Mindestalter regeln und eine automatische Unwirksamkeit ohne Einzelfallprüfung vorsehen. Er hätte aber unter anderem auch die Folgen der Unwirksamkeit einer solchen Ehe regeln müssen. Dies muss er nun bis Ende Juni 2024 nachbessern.

Automatische Unwirksamkeit von Auslandskinderehen verfassungskonform?

Ein Syrer und eine Syrerin schlossen 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht die Ehe, er war damals 21, sie 14. Im Sommer 2015 flüchtete das Paar nach Deutschland. Das Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut, das Familiengericht ordnete in der Folge die Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund. Der Ehemann beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme und die Rückführung seiner Frau zu ihm. Er wies auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe hin. Der Bundesgerichtshof setzte das Verfahren aus und rief wegen Zweifeln an der Verfassungskonformität von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB das BVerfG an. Die 2017 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen eingefügte Vorschrift bestimmt durch unmittelbare gesetzliche Anordnung, dass unter Beteiligung nach ausländischem Recht ehemündiger Minderjähriger geschlossene Ehen nach deutschem Recht – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – unwirksam sind, wenn zumindest einer der Eheschließenden im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Der BGH hielt die angeordnete inländische Unwirksamkeit der betroffenen Auslandsehen vor allem für mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.

BVerfG: Gesetzgeber darf Mindestalter und Automatismus vorsehen

Das BVerfG hat Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Der Gesetzgeber sei zwar grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm sei es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung statusrechtlich die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Der mit der Regelung vor allem bezweckte Minderjährigenschutz sei ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel. Es sei entwicklungspsychologisch hinreichend gesichert, dass Kinder unter 16 Jahren entwicklungsbedingt regelmäßig noch nicht in der Lage seien, die mit dem Eingehen einer Ehe verbundenen Folgen einschätzen zu können. Das stelle die Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung für die Eheschließung in Frage. Auch der mit Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB bezweckte Beitrag zur internationalen Ächtung von Kinderehen sei ein legitimes Ziel. Wegen der in Art. 24 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit sei es verfassungsrechtlich legitim, jenseits des Schutzes der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unmittelbar erfassten (bei Eheschließung) Minderjährigen auch dem Schutz der weltweit von der Praxis der Kinderehe betroffenen Minderjährigen dienen zu wollen. Die Regelung sei auch geeignet und erforderlich. Eine Einzelfallprüfung stelle gegenüber der automatischen Unwirksamkeit kein milderes Mittel dar. Im Fall einer Einzelfallprüfung in einem Statusverfahren bliebe die Ehe bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung wirksam. Dies liefe dem bezweckten Minderjährigenschutz zuwider.

Regelung aber wegen versäumter Folgenregelung unverhältnismäßig

Das BVerfG moniert aber die Ausgestaltung der Regelung als unverhältnismäßig. Trotz eines erheblichen Eingriffs in die Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG fehlten Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit der Ehe. Häufig sei der minderjährige Ehegatte von dem älteren Ehepartner wirtschaftlich abhängig. Nacheheliche Ansprüche bestünden bei inländischer Unwirksamkeit der Ehe allerdings nicht. Auch wenn nacheheliche Ansprüche wegen der häufig ungünstigen wirtschaftlichen Situation beider nicht stets werthaltig sein dürften, belaste der Verzicht auf die Regelung solcher Ansprüche bei der inländischen Unwirksamkeit der Ehe gerade die zu schützenden Minderjährigen unangemessen, zumal auch keine sonstigen spezifischen Folgeregelungen vorhanden seien. Damit befänden sich die bei Heirat unter 16-Jährigen in einer ungünstigeren rechtlichen Situation als Minderjährigenehen mit 16- und 17-Jährigen, für die nacheheliche Ansprüche gölten. Unverhältnismäßig sei die Regelung zudem, weil eine Möglichkeit fehle, die wirksame Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit aufgrund eines nun selbstbestimmten Entschlusses im Inland als wirksame Ehe zu führen. Die allein eröffnete Möglichkeit, denselben Partner erneut im Inland zu heiraten, genüge nicht. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit der bei der Eheschließung noch unter 16-Jährigen greife der Minderjährigenschutz als hauptsächlicher Zweck der vorgelegten Regelung nicht mehr.

BVerfG ordnet Weitergeltung mit unterhaltsrechtlicher Übergangsregelung an

Neben der Weitergeltung der Regelung hat das BVerfG für unterhaltsrechtliche Fragen eine Übergangsregelung angeordnet. Danach sei § 1318 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass die durch die Vorschrift für anwendbar erklärten Vorschriften über die Scheidung mit der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eheleute zur Anwendung gelangen. Soweit die danach maßgeblichen Vorschriften auf die Dauer der Ehe abstellten, trete in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Trennung der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Eheleute die Dauer des Zusammenlebens. Während der Dauer des Zusammenlebens gölten übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen entsprechend.

BVerfG, Beschluss vom 01.02.2023 - 1 BvL 7/18

Redaktion beck-aktuell, 29. März 2023.