Gericht muss mögliche Befangenheit von Kammerpräsident selbst prüfen

Prüft ein Gericht den Einwand möglicher Befangenheit im Rahmen eines berufsrechtlichen Verfahrens nicht, kann dies gegen das Grundrecht effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit einer Ärztin teilweise Recht gegeben, die sich gegen ein Ordnungsgeld im Zusammenhang mit Corona-Schutzmaßnehmen wehrte und den Präsidenten der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz für befangen hielt.

Ärztin soll Einhaltung von Hygienemaßnahmen sicherstellen

Eine Ärztin führte eine Gemeinschaftspraxis mit einem Kollegen. Nachdem das Ordnungsamt drei Kontrollen bei ihr durchgeführt hatte, verpflichtete sie der Landkreis im Mai 2020, verschiedene Hygienemaßnahmen zu beachten. Sie beanstandeten aufgehängte Schilder mit dem Hinweis, dass in den Räumen keine Maskenpflicht gelte. Die Behörde forderte die Ärztin auf, ausreichende Abstände im Wartezimmer zu gewährleisten und das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen durch Mitarbeiter und Patienten sicherzustellen. Dieses Einschreiten verglich die Ärztin mit den "Machenschaften der Gestapo". Der Präsident der Landesärztekammer hatte der Ärztin das berufsrechtliche Verfahren zunächst in einem Gespräch angedroht, wenn sie sich nicht bei "allen Beteiligten, zu denen der Vergleich mit der Gestapo gezogen wurde", schriftlich entschuldige. Sie zeigte sich uneinsichtig und machte in ihrer Anhörung die Befangenheit des Präsidenten und Geschäftsführers geltend. Daraufhin erließ dessen Vorstand im November 2020 wegen Verstoßes gegen die Bestimmung des § 2 Abs. 5 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz einen Rüge- und Ordnungsgeldbescheid. Die Frau erhielt eine Rüge sowie ein Ordnungsgeld von 15.000 Euro unter dem Briefkopf und mit der Unterschrift des Präsidenten. Ihr Einspruch blieb erfolglos. Auch das Berufsgericht für Heilberufe beim VG Mainz (Az.: BG-H 3/21.MZ) bestätigte die Anordnung. Sie ging bis vors BVerfG und rügte eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 S. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG - mit Teilerfolg.

Mögliche "Besorgnis der Befangenheit" selbst zu prüfen

Die Verfassungsrichter verwiesen die Sache nach Mainz zurück. Die Beschwerdeführerin sei in ihrem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG durch den Beschluss des Berufsgerichts vom Juli 2021 verletzt, weil es die mögliche Besorgnis der Befangenheit des Präsidenten der Landesärztekammer nicht geprüft habe. Aus der Rechtsschutzgarantie folge grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Die hier durch den Amtsträger getroffene Behördenentscheidung, bei dem die Besorgnis der Befangenheit nach § 21 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfG Rheinland-Pfalz anzunehmen sei, stelle einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften dar und habe die formelle Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung zur Folge. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind dem BVerfG zufolge schon deshalb nicht gewahrt, weil das BerufsG Heilberufe Mainz nur durch bloße Bezugnahme von einem Letztentscheidungsrecht des Vorstands der Landesärztekammer ausgegangen ist. Auch Anhaltspunkte dafür, dass es sich nach einer eigenständigen inhaltlichen Prüfung der geltend gemachten Besorgnis der Befangenheit einer etwaigen Begründung des Vorstands der Landesärztekammer habe anschließen wollen, fehlten.

BVerfG, Beschluss vom 09.11.2022 - 1 BvR 2263/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Dezember 2022.