Förderung parteinaher Stiftungen erfordert Parlamentsgesetz
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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass der Deutsche Bundestag durch den Erlass des Haushaltsgesetzes 2019 die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt hat, soweit der Ausreichung von Globalzuschüssen für politische Stiftungen kein gesondertes Parlamentsgesetz zugrunde liegt. Über die aktualisierte Regelung im Bundeshaushaltsgesetz 2022 muss noch gesondert verhandelt werden.

 

AfD klagt gegen Regeln zur Finanzierung parteinaher Stiftungen

Das BVerfG hat über ein Organstreitverfahren der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) entschieden. Die AfD wendete sich mit ihren Anträgen dagegen, dass der Desiderius-Erasmus-Stiftung e.V. (DES) bislang an der staatlichen Förderung politischer Stiftungen auf Bundesebene in Form von Globalzuschüssen nicht beteiligt wird. Das Organstreitverfahren richtete sich gegen den Deutschen Bundestag, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, und das Bundesministerium der Finanzen. Gegenstand des Organstreitverfahrens war die Frage, ob die AfD durch die bislang fehlende staatliche Förderung einer ihr nahestehenden Stiftung in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und/oder aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Die stellvertretende AfD-Bundessprecherin Mariana Harder-Kühnel sagte der dpa vor der Urteilsverkündung, es sei skandalös, dass den anderen sechs parteinahen Stiftungen "jährlich öffentliche Zuschüsse von mittlerweile insgesamt etwa 660 Millionen Euro gewährt werden, aber nur die Stiftung der AfD davon ausgenommen wird".

Förderkriterien bislang nicht geregelt

Die Förderkriterien sind bis heute nirgendwo gesetzlich geregelt. Als Richtschnur gilt ein Karlsruher Urteil aus dem Jahr 1986. Darin steht, dass sichergestellt sein muss, dass "alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt" werden. Für die praktische Umsetzung haben die Stiftungen 1998 selbst einen Vorschlag gemacht. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, ein geeigneter Anhaltspunkt dürfte "eine wiederholte Vertretung" der entsprechenden Partei im Bundestag sein, und zwar zumindest einmal in Fraktionsstärke. Daran hat sich die Politik seither orientiert. Die AfD war 2021 zum zweiten Mal nach 2017 in den Bundestag eingezogen. Die DES bekommt aber nach wie vor kein Geld. Denn seit 2022 steht ein neuer Passus im Haushaltsgesetz. Danach werden die Zuschüsse "nur politischen Stiftungen gewährt, die nach ihrer Satzung und ihrer gesamten Tätigkeit jederzeit die Gewähr bieten, dass sie sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen".

BVerfG bestätigt Eingriff in Chancengleichheit der Parteien

Die DES, eine der Antragstellerin nahestehende politische Stiftung, ist derzeit – anders als die politischen Stiftungen, die den übrigen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nahestehen – von der staatlichen Stiftungsfinanzierung ausgeschlossen. Ihre Versuche, für die Jahre 2018 bis 2022 staatliche Fördermittel zu erhalten, blieben erfolglos. Hierdurch sieht sich die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Die Nichtberücksichtigung der DES bei der Zuweisung von Globalzuschüssen für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit im Bundeshaushalt 2019 greift in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Für die Rechtfertigung dieses Eingriffs bedarf es eines besonderen Parlamentsgesetzes, an dem es hier fehlt. Ein auf den Erlass des Haushaltsgesetzes 2019 bezogener  Antrag hat daher Erfolg. Ein weiterer Antrag, der die Nichtberücksichtigung der DES bei der Vergabe von Globalzuschüssen im Bundeshaushaltsgesetz 2022 zum Gegenstand hat, wird vom Verfahren abgetrennt. Die übrigen Anträge sind laut BVerfG unzulässig. Gründe für den von der Antragstellerin angeregten Erlass einer Vollstreckungsanordnung liegen nicht vor.

Antrag zu aktualisierter Regelung im Bundeshaushaltsgesetz 2022 wird abgetrennt

Der im Oktober 2022 nachträglich gestellte Antrag festzustellen, dass der Deutsche Bundestag durch den Beschluss des Bundeshaushaltsgesetzes 2022 die Rechte der Antragstellerin verletzt hat, weil die DES bei der Vergabe von Globalzuschüssen an politische Stiftungen nicht berücksichtigt worden ist, wird abgetrennt. Die Zulassung dieses Antrags würde laut BVerfG die verfahrensrechtliche Position der Antragsgegner unzulässig beeinträchtigen. Mit dem im Bundeshaushaltsplan 2022 erstmals enthaltenen Haushaltsvermerk, der die Ausreichung von Globalzuschüssen von der Verfassungstreue der Stiftungen abhängig macht, und angesichts des erneuten Einzugs der Antragstellerin in den Deutschen Bundestag würden verfassungsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im bisherigen Verfahren nicht oder nur unzureichend erörtert worden sind. Um einerseits über die sonstigen Anträge zeitnah zu entscheiden und andererseits die Möglichkeit einer qualifizierten Erwiderung der Verfahrensbeteiligten hinsichtlich des neuen Antrags sicherzustellen, sei die Verfahrenstrennung geboten.

Gesondertes Parlamentsgesetz zwingend erforderlich

Der Antrag festzustellen, dass der Deutsche Bundestag durch den Beschluss des Bundeshaushaltsgesetzes 2019 die Rechte der Antragstellerin verletzt hat, weil die DES bei der Vergabe von Globalzuschüssen an politische Stiftungen nicht berücksichtigt worden ist, hält das BVerfG für zulässig und begründet. Im Übrigen seien sowohl die ursprünglich gestellten als auch die nachträglich in das Verfahren eingeführten Anträge – soweit es sich nicht ohnehin um bloße Anregungen handelte – unzulässig. Einem Teil dieser Anträge fehle es bereits an einem im Organstreitverfahren tauglichen Antragsgegenstand. Die den Beschluss der Bundeshaushaltsgesetze 2020 und 2021 betreffenden Anträge seien verfristet. Durch den Erlass des Haushaltsgesetzes 2019 aber werde die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, soweit der damit in Kraft gesetzte Haushaltsplan für das Jahr 2019 die Ausreichung von Globalzuschüssen zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit für politische Stiftungen ermögliche, ohne dass dem ein gesondertes Parlamentsgesetz zur Regelung der staatlichen Förderung politischer Stiftungen zugrunde liegt.

Stiftungs- und Parteiarbeit verbunden

 

Auch wenn politische Stiftungen und Parteien rechtlich und organisatorisch unabhängige Institutionen seien und das Distanzgebot eingehalten werde, wonach Partei und ihr nahestehende Stiftung rechtliche und tatsächliche Distanz zueinander zu wahren haben, bestehe zwischen den jeweiligen Parteien und den von ihnen anerkannten politischen Stiftungen ein besonderes Näheverhältnis. Daraus ergäben sich relevante Vorteile aus der mit staatlichen Mitteln geförderten Tätigkeit der politischen Stiftungen für die ihnen jeweils nahestehende Partei im politischen Wettbewerb. Die mündliche Verhandlung habe ergeben, dass die Parteien im politischen Wettbewerb unverändert von der Arbeit der ihnen nahestehenden Stiftungen in erheblichem Umfang profitieren. Die Bildungsarbeit der politischen Stiftungen stelle sich als wichtiger Resonanzkörper für die Verbreitung politischer Vorstellungen der nahestehenden Partei dar. Hinzu komme, dass die Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien auch mit Blick auf die Erarbeitung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Stiftungen beeinflusst werde, die es den Parteien erleichterten, ihre Aufgaben wahrzunehmen und tagespolitische Folgerungen aus längerfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu ziehen. Insoweit sei davon auszugehen, dass im Vordergrund der Forschungstätigkeit der politischen Stiftungen Themen stehen, die für die politische Arbeit der nahestehenden Partei von besonderer Relevanz sind. Weitere Vorteile für die einer Stiftung jeweils nahestehende Partei ergäben sich aus der sonstigen Stiftungstätigkeit.

Eingriff in Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung an der politischen Willensbildung 

Davon ausgehend greift die Gewährung von Globalmitteln für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit an die politischen Stiftungen, die den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nahestehen, unter Außerachtlassung der DES in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Auch wenn der davon ausgehende Einfluss auf die politische Willensbildung im Einzelnen nicht messbar sei, würden durch den Einsatz der Globalzuschüsse die Reichweite der von der nahestehenden Partei vertretenen Grundüberzeugungen und Politikkonzepte jedenfalls potentiell erweitert und damit die Stellung der nahestehenden Partei im politischen Wettbewerb verbessert. Daher stelle sich die Nichtberücksichtigung der DES bei der Gewährung staatlicher Globalzuschüsse für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit als Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf gleichberechtigte Mitwirkung an der politischen Willensbildung dar.

Keine Rechtfertigung ohne gesetzliche Grundlage

Davon ausgehend stehe einer möglichen Rechtfertigung des Eingriffs in das Recht der Antragstellerin bereits entgegen, dass es an einer hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt. Der Ausschluss der DES beruhe ausschließlich auf der Nichterwähnung in der Liste der begünstigten Stiftungen, die Teil der Erläuterungen zu Einzelplan 06 Kapitel 0601 Titel 685 12 "Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit" des Haushaltsplans 2019 sei. Dies trage den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht Rechnung. Angesichts des Volumens der staatlichen Zuwendungen und der erheblichen Auswirkungen der Stiftungstätigkeit auf den Prozess der politischen Willensbildung und damit auf die Verwirklichung des Demokratieprinzips im Sinne des Grundgesetzes sei der Gesetzgeber verpflichtet, in abstrakt-genereller Weise die Kriterien für den Kreis der Empfänger staatlicher Stiftungsförderung und für die Höhe der jeweiligen Zuwendung zu regeln. Die "Gemeinsame Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen" vom 06.11.1998, eine darauf gestützte parlamentarische Praxis oder die in der Vergangenheit im Vorfeld der Haushaltsverabschiedung regelmäßig geführten sogenannten "Stiftungsgespräche" seien nicht ausreichend.

Vorgaben für mögliche Neuregelung

Halte der Gesetzgeber an seiner Grundentscheidung für eine staatliche Förderung parteinaher Stiftungen fest, steht ihm laut BVerfG bei der Schaffung der erforderlichen gesetzlichen Grundlage ein Gestaltungsspielraum zu. Er habe jedoch die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, die sich mit Blick auf die politischen Stiftungen aus Art. 3 Abs. 1 GG und mit Blick auf die diesen nahestehenden Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben. Dabei sei es wegen des Fehlens einer Veränderung der bestehenden politischen Wettbewerbslage verfassungsrechtlich unbedenklich, die staatliche Stiftungsförderung auf parteinahe Stiftungen zu beschränken, die eine "dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung" repräsentieren, und insoweit auf die Wahlbeteiligung und die Wahlergebnisse der ihnen nahestehenden Parteien abzustellen. Besondere Bedeutung dürfte hier aber dem Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG bei der Bestimmung der Art und der Höhe der Wahlergebnisse zukommen, die von den nahestehenden Parteien erzielt werden müssen, um den Bestand einer dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmung annehmen zu können. Nehme der Gesetzgeber die bestehende Wettbewerbslage verändernde Eingriffe in die Chancengleichheit der politischen Parteien vor, bedürfe es dazu besonderer gesetzlicher Regelungen, die zum Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter geeignet und erforderlich sind. Dabei komme als gleichwertiges Verfassungsgut insbesondere der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Betracht. Welche Anforderungen und Konsequenzen sich daraus für die staatliche Stiftungsförderung ergeben, sei vorliegend noch nicht zu entscheiden gewesen.

Millionensummen im Spiel

Die AfD hatte das Verfahren schon 2019 angestrengt und ihre Anträge später mehrfach auf neue Haushaltsjahre erweitert - zuletzt ganz knapp vor der Verhandlung. Sie ist der Ansicht, dass der DES für 2022 fast acht Millionen Euro und für 2023 fast zwölf Millionen Euro zustehen. Perspektivisch sei mit jährlichen Fördermitteln von 80 Millionen Euro zu rechnen. In der Verhandlung im Oktober hatte die DES-Vorsitzende Erika Steinbach gesagt, ohne Zuschüsse seien derzeit maximal 50 Veranstaltungen im Jahr möglich, es könnten keine Stipendien vergeben und kein Parteiarchiv aufgebaut werden. Dabei vermittle die Stiftung "garantiert auf gar keinen Fall" verfassungsfeindliches, antisemitisches und menschenverachtendes Gedankengut oder Rassismus. Die Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Finanzierung der Stiftungen rechtlich besser abzusichern. Bisher ist das aber nicht passiert. Organisationen wie die Bürgerbewegung Campact und die Bildungsstätte Anne Frank werfen der Politik vor, das Thema verschleppt zu haben. Dabei gehe von der Desiderius-Erasmus-Stiftung gleich eine dreifache Gefahr aus: "Mit ihr werden Diskurse und politische Einstellungen weiter nach rechts verschoben, rechtes Geschwurbel wird wissenschaftlich verpackt und die Rechte in ganz Deutschland kann ihre Organisationsstrukturen und Netzwerke massiv ausbauen. Und das alles mit unserem Steuergeld."

BVerfG, Urteil vom 22.02.2023 - 2 BvE 3/19

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2023 (ergänzt durch Material der dpa).