Genehmigung für Windenergieanlagen wegen Kollisionsrisiken für Rotmilane versagt
Die Beschwerdeführerinnen begehrten die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen. Eine Genehmigung wurde in beiden Fällen wegen Unvereinbarkeit der Vorhaben mit § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG versagt. Dieser verbietet, wild lebende Tiere besonders geschützter Arten zu töten. Das Tötungsverbot steht der Genehmigung entgegen, wenn sich durch das Vorhaben das Tötungsrisiko für die geschützten Tiere signifikant erhöht. Die Genehmigungsbehörden nahmen in beiden Fällen an, das Risiko der Kollision mit den geplanten Windenergieanlagen sei für Rotmilane signifikant erhöht. Die Klagen gegen die Versagung der Genehmigungen blieben bis in die Revisionsinstanz erfolglos.
Instanzgerichte räumten Behörde "naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative" ein
Die Verwaltungsgerichte gestanden der Genehmigungsbehörde dabei eine gerichtlich eingeschränkt überprüfbare "naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative" hinsichtlich der Erfassung des Bestandes und der Bewertung der von dem Vorhaben ausgehenden Risiken zu, weil die behördliche Beurteilung sich auf außerrechtliche Fragestellungen richte, für die allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden zur Beurteilung des von Windenergieanlagen ausgehenden Risikos für Rotmilane fehlten.
Beschwerdeführerinnen: Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle verletzt Recht auf effektiven Rechtsschutz
Mit der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen vor allem eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die Einräumung einer behördlichen Einschätzungsprärogative.
BVerfG: Verfassungsbeschwerden verstoßen gegen Subsidiaritätsgrundsatz
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Subsidiarität. Die Beschwerdeführerinnen machten mit ihren Verfassungsbeschwerden geltend, dass für die aufgeworfenen außerrechtlichen Fragestellungen zum Tötungsrisiko für Rotmilane die nötigen naturschutzfachlichen Erkenntnisse bereits existieren. Dies hätten sie wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde im fachgerichtlichen Verfahren rechtzeitig substantiiert vortragen müssen. Es sei nicht auszuschließen, dass sie damit die in ihren Augen verfassungswidrige Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle hätten abwenden können, weil die Gerichte daraufhin, ihrem eigenen Ansatz folgend, möglicherweise die Voraussetzungen einer solchen Kontrollbegrenzung verneint hätten.
Kontrollansatz der Verwaltungsgerichte mit Rechtsschutzgarantie vereinbar
Laut BVerfG steht der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch nicht entgegen, dass der Kontrollansatz der Verwaltungsgerichte zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG von vornherein mit der Verfassung unvereinbar wäre. Denn der Kontrollansatz sei im Wesentlichen mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar. Grundsätzlich könne es zu einer mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbaren Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle führen, wenn die Anwendung eines Gesetzes tatsächliche naturschutzfachliche Feststellungen verlangt, zu denen weder eine untergesetzliche Normierung erfolgt ist noch in Fachkreisen und Wissenschaft allgemein anerkannte Maßstäbe und Methoden existieren.
Fachwissenschaftliche Erkenntnislücken begrenzen gerichtliche Kontrolle
Soweit es zur Beantwortung einer sich nach außerrechtlichen naturschutzfachlichen Kriterien richtenden Rechtsfrage an normativen Konkretisierungen fehle und in Fachkreisen und Wissenschaft bislang keine allgemeine Meinung über die fachlichen Zusammenhänge und die im Einzelfall anzuwendenden Ermittlungsmethoden bestehe, stoße die verwaltungsgerichtliche Kontrolle an Grenzen, erläutert das BVerfG. Dem Verwaltungsgericht sei es dann objektiv unmöglich, den Sachverhalt vollständig aufzuklären und eine abschließende Überzeugung davon zu gewinnen, ob das Ergebnis der Entscheidung der Behörde richtig oder falsch ist. Die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle beträfen insoweit nicht die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und ergäben sich hier nicht daraus, dass der Verwaltung eine Einschätzungsprärogative eingeräumt wäre, sondern rührten schlicht daher, dass sich die naturschutzfachliche Richtigkeit des Ergebnisses der Verwaltungsentscheidung objektiv nicht abschließend beurteilen lässt.
Gerichte dürfen dann plausibler behördlicher Einschätzung folgen - Keine gesetzliche Ermächtigung erforderlich
Laut BVerfG muss das Gericht, wenn die gerichtliche Kontrolle nach weitestmöglicher Aufklärung an die Grenze des Erkenntnisstandes der ökologischen Wissenschaft und Praxis stoße, nicht weiter ermitteln, sondern kann seiner Entscheidung insoweit die Einschätzung der Behörde zu der fachlichen Frage zugrunde legen, sofern die von der Behörde verwendeten fachlichen Maßstäbe und Methoden vertretbar sind und die Behörde insofern im Ergebnis zu einer plausiblen Einschätzung der fachlichen Tatbestandsmerkmale einer Norm gelangt ist. Die Einschränkung der Kontrolle folge nicht aus einer der Verwaltung eingeräumten Einschätzungsprärogative und bedürfe nicht eigens - wie bei der Einräumung administrativer Letztentscheidungsrechte bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe - der gesetzlichen Ermächtigung. Nach allgemeinen Grundsätzen bleibe aber auch dann noch verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterworfen, ob der Behörde bei der Ermittlung und der Anwendung der von ihr aus dem Spektrum des Vertretbaren gewählten fachlichen Methode Verfahrensfehler unterlaufen sind, ob sie anzuwendendes Recht verkannt hat, von einem im Übrigen unrichtigen oder nicht hinreichend tiefgehend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.
Gesetzgeber muss bei längerfristigem "Erkenntnisvakuum" für untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen
Verfassungsrechtliche Grenzen zieht das BVerfG für den Gesetzgeber - ohne dass es in den vorliegenden Verfahren darauf angekommen sei - mit Blick auf die materiellen Grundrechte und den aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Wesentlichkeitsgrundsatz. Der Gesetzgeber dürfe in grundrechtsrelevanten Bereichen der Rechtsanwendung nicht ohne weitere Maßgaben auf Dauer Entscheidungen in einem fachwissenschaftlichen "Erkenntnisvakuum" übertragen, das weder Verwaltung noch Gerichte selbst ausfüllen könnten. Er würde sich so seiner inhaltlichen Entscheidungsverantwortung entziehen. Jedenfalls auf längere Sicht müsse er daher zumindest für eine untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen.