Kanzlei betrieb im Auftrag von VW Sachaufklärung
Anlässlich eines in den USA geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Abgasmanipulationen an Dieselfahrzeugen beauftragte Volkswagen die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day im September 2015 mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung und der Vertretung gegenüber den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden. Zum Zweck der Sachaufklärung sichteten die Rechtsanwälte von Jones Day innerhalb des VW-Konzerns eine Vielzahl von Dokumenten und führten konzernintern über 700 Befragungen von Mitarbeitern durch. Mit dem Mandat waren auch Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro der Kanzlei Jones Day befasst.
VW, Kanzlei und Kanzleimitarbeiter wollen Auswertung der Unterlagen verhindern
Die Staatsanwaltschaft München II führt wegen der Vorgänge im Zusammenhang mit den 3,0-Liter-Dieselmotoren der Audi AG ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und strafbarer Werbung, das sich bislang gegen Unbekannt richtet. Auf ihren Antrag ordnete das AG München die Durchsuchung der Münchener Geschäftsräume der Kanzlei Jones Day an. Im Rahmen der Durchsuchung am 15.03.2017 wurden zahlreiche Aktenordner sowie ein umfangreicher Bestand an elektronischen Daten mit den Ergebnissen der internen Ermittlungen sichergestellt. Die Beschwerden der Volkswagen AG, der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day sowie der sachbearbeitenden Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro gegen die Durchsuchungsanordnung und die Bestätigung der Sicherstellung waren erfolglos. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer vornehmlich die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 13 Abs. 1 GG, 12 Abs. 1 GG und 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und begehren mit den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Daten bis zu einer Entscheidung über die eingelegten Verfassungsbeschwerden einstweilen auszusetzen.
BVerfG: Auswertung hätte zahlreiche Beeinträchtigungen zur Folge
Nach Auffassung des BVerfG sind die Verfassungsbeschwerden weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Im Rahmen der somit erforderlichen Folgenabwägung überwögen die Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnungen. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte die Staatsanwaltschaft in der Zwischenzeit eine Auswertung des sichergestellten Materials vornehmen. Dieser Zugriff der Strafverfolgungsbehörden könnte nicht nur zu einer – möglicherweise irreparablen – Beeinträchtigung des rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen VW einerseits und der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day und damit auch den sachbearbeitenden Rechtsanwälten führen. Auch andere Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, könnten im Fall einer Auswertung – zumal angesichts der medialen Aufmerksamkeit, die dem Fall zukommt – ihre Geschäftsgeheimnisse und persönlichen Daten bei der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day in Unsicherheit wähnen und deshalb ihre Aufträge zurückziehen. Dies hätte unmittelbare Folgen auch für die berufliche Tätigkeit der sachbearbeitenden Rechtsanwälte. Darüber hinaus könnte die Staatsanwaltschaft durch die Auswertung Kenntnis von Informationen erlangen, die allesamt aufgrund des von Volkswagen erteilten Mandats in die Sphäre der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day gelangt sind und über deren Preisgabe sie als Auftraggeberin bisher selbst entscheiden konnte. Zudem könnten durch die Auswertung auch persönliche Daten unbeteiligter Dritter, insbesondere von Mitarbeitern von Volkswagen oder ihrer Tochtergesellschaften wie etwa der Audi AG, zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen.
(Vorübergehende) Beschränkung der staatlichen Strafverfolgung hinnehmbar
Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, würden sich die Verfassungsbeschwerden später jedoch als unbegründet erweisen, würde damit lediglich eine Verzögerung der staatsanwaltlichen Ermittlungen für eine begrenzte Zeitspanne einhergehen. Ein Beweisverlust hinsichtlich der Informationen aus dem sichergestellten Material wäre nicht zu befürchten. Bei Abwägung der jeweiligen Folgen wiegen die möglichen Nachteile für die Beschwerdeführer nach Ansicht des BVerfG schwerer als die durch den Erlass der einstweiligen Anordnung eintretende vorübergehende Beschränkung der staatlichen Strafverfolgung.