Klimaschutzgesetz ist teilweise verfassungswidrig
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Das Klimaschutzgesetz des Bundes greift aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu kurz. Die Regelungen über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen seien insofern mit Grundrechten unvereinbar, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlten. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende 2022 hierzu Regelungen zu treffen.

 

Vorgaben bis 2030 verstoßen nicht gegen Klimaschutzgebot

Das Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55% gegenüber 1990 zu mindern und legt durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest (§ 3 Abs. 1 KSG und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2). Zwar könne nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten, die Beschwerdeführenden vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, oder gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verstoßen hat. 

Jetzt schon Verletzung von Freiheitsrechten nach 2030 absehbar

Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt, so die Verfassungsrichter weiter. Denn die Vorschriften verschöben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folge aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG sei durch das "Paris-Ziel" dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssten die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. 

Fortschreibung der Reduktionspfade für Zeit nach 2030 muss schon jetzt erfolgen

Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten sei praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht seien. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichen die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31.12.2022 näher zu regeln. 

Es fehlt an vorausschauender grundrechtsschonender Verteilung der Belastungen

Als intertemporale Freiheitssicherung schützten die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft, so die Richter weiter. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen. An denen fehle es bislang, denn § 3 Abs. 1 Satz 2 KSG und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 genügten nicht dem aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgenden Erfordernis, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.

"Fridays for Future" sieht Urteil als "großen Tag für viele"

Mit den natürlichen Lebensgrundlagen müsse sorgsam umgegangen werden, mahnten die Richter abschließend. Und sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinterlassen werden, "dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten". Knapp ein Dutzend Klimaaktivisten von Fridays for Future demonstrierten am Donnerstagmorgen vor dem Gericht. Sie hatten Plakate dabei, auf denen unter anderem zu lesen war: "Hört auf die Wissenschaft! Klimaschutz jetzt!" Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte am Donnerstag: "Es ist ein unfassbar großer Tag für viele". Klimaschutz sei ein Grundrecht. Neubauer gehörte zu den Klägerinnen. Felix Ekardt als rechtlicher Vertreter sagte, dass das Gericht der Bundesregierung eine schallende Ohrfeige verpasst habe. Der Rechtsanwalt Remo Klinger sprach von einem Meilenstein. Die Klimaziele bis 2030 müssten deutlich verschärft werden. Die Klägerin Sophie Backsen sagte: "Wir sind superglücklich und erleichtert." Wirksamer Klimaschutz müsse nun umgesetzt werden und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät sei.

Reaktionen aus der Politik

Wirtschaftsminister Peter Altmaier misst dem Urteil große Bedeutung zu. "Es ist epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen", schrieb der CDU-Politiker am Donnerstag auf Twitter. Zugleich sorge das Urteil für Planungssicherheit für die Wirtschaft. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßte das Urteil ebenfalls. "Für den Klimaschutz ist das erstmal ein Ausrufezeichen", sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag kurz nach Bekanntwerden des Urteils. "Jetzt gibt uns das Bundesverfassungsgericht ja im Kern auf, dass wir den Weg zur Klimaneutralität auch nach 2030 nicht nur in einer Strategie beschreiben" Die FDP hält nun einen "Neustart beim Klimaschutz" für nötig. Die Entscheidung des Gerichts sei ein "Plädoyer für Langfristigkeit und Generationengerechtigkeit in der Politik", schrieb Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag, am Donnerstag auf Twitter. Zu einem Neustart gehöre ein klarer CO2-Deckel und Zertifikatehandel. "Das wirkt effektiv, langfristig und generationengerecht", schrieb er. Die Deutsche Umwelthilfe sprach vom bedeutendsten Umweltschutz-Urteil in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts.

BUND: Großer Durchbruch

"Das Urteil ist ein Durchbruch", sagten auch Felix Ekardt und die Anwältin Franziska Heß, die die Klage für den BUND vertreten haben. Erstmals habe eine Umweltklage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die Politik werde nun massiv nachbessern und deutlich ambitioniertere Ziele und Instrumente festsetzen müssen. "Unsere Klage hat aufgezeigt, dass grundrechtlich Nullemissionen dramatisch früher nötig sind als bisher anvisiert und das Paris-Ziel grundrechtlich verbindlich ist." Zwar habe die Politik demokratische Entscheidungsspielräume. Diese erlaubten es verfassungsrechtlich jedoch nicht, die physischen Grundlagen menschlicher Existenz aufs Spiel zu setzen und damit auch die Demokratie zu untergraben. "Für das Klima ist das Urteil allerdings trotz aller Erfreulichkeit noch zu wenig, weil nicht mit der gebotenen Klarheit zeitnahe Nullemissionen eingefordert werden." Ekardt und Heß wollen daher prüfen, ob sie zusätzlich eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen werden.

BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18

Redaktion beck-aktuell, 29. April 2021 (dpa).