Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Unterbringung in Jugendpsychiatrie

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines Jugendlichen, der in der Psychiatrie untergebracht war, stattgegeben. Das Oberlandesgericht habe bei der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung das Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, indem es schlicht unterstellte, der Jugendliche habe durch Rücknahme einer Beschwerde gegen einen Verlängerungsbeschluss die gesamte Unterbringung akzeptiert. Dabei habe es unter anderem Anhaltspunkte für eine Drucksituation nicht berücksichtigt, so das BVerfG.

Jugendlicher wurde in Psychiatrie untergebracht

Wegen gewaltsamer Konflikte veranlassten die Eltern des Jugendlichen mehrmals dessen Unterbringung in einem Bezirkskrankenhaus. Im Mai 2020 wandte sich der Vater des Beschwerdeführers an die Polizei und gab an, sein Sohn verhalte sich aggressiv und habe gedroht, sich das Leben zu nehmen. Dieser wurde anschließend mit Genehmigung des Familiengerichts einstweilig bis längstens zum 23.06.2020 in einem Bezirkskrankenhaus untergebracht. Diese Unterbringungsgenehmigung verlängerte das FamG dann bis längstens zum 04.08.2020. Gegen beide Unterbringungsbeschlüsse legte der Jugendliche Beschwerde ein.

Beschwerde gegen Verlängerung teilweise zurückgenommen

Gegenüber seinen Ärzten äußerte er mehrfach den Wunsch, sich in einer anderen Klinik behandeln zu lassen. Nach seinen Angaben hatten ihm die Ärzte zu verstehen gegeben, eine Verlegung nur zu veranlassen, wenn er seine Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss zurücknehme oder sie auf die Änderung des Klinikortes beschränke. Der Jugendliche schrieb daraufhin unter (alleiniger) Nennung der Aktenzeichen der Verfahren zum zweiten Unterbringungsbeschluss an das Oberlandesgericht: Da eine Verlegung nach Auskunft der Ärzte nur am morgigen Tag möglich sei und er diese für äußerst wichtig halte, nehme er seine Beschwerde unter der "Kondition" zurück, dass der Beschluss auf eine geschlossene jugendpsychiatrische Einrichtung geändert werde. Das OLG änderte den zweiten Unterbringungsbeschluss entsprechend ab.

Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des ersten Beschlusses scheiterte

Später wollte der Jugendliche beim OLG die Rechtswidrigkeit des ersten Unterbringungsbeschlusses nachträglich festgestellt wissen. Dies blieb ohne Erfolg. Das OLG führte aus, der Beschwerdeführer habe im hiesigen Verfahren "vor der abschließenden Entscheidung des Senats" keinen Feststellungsantrag gestellt. Sein Antrag sei nunmehr jedoch als Gegenvorstellung auszulegen. Diese sei allerdings mangels Feststellungsinteresse unbegründet. Indem der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss zurückgenommen habe, habe er "letztendlich die Unterbringung akzeptiert". Vor dem BVerfG rügte der Jugendliche eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

BVerfG: Verkürzte Würdigung des Feststellungsinteresses durch OLG

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das OLG muss die Sache nun neu prüfen. Das BVerfG hat bereits Zweifel, ob die Auslegung des Feststellungsantrags als Gegenvorstellung dem Gebot effektiven Rechtsschutzes genügt, da auch in Betracht gekommen wäre, den Antrag als isolierten Feststellungsantrag zuzulassen. Jedenfalls aber verkürze die Würdigung des OLG den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das OLG habe festgestellt, die Gegenvorstellung sei wegen fehlenden Feststellungsinteresses "jedenfalls unbegründet". Indem der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss zurückgenommen habe, habe er "letztendlich die Unterbringung akzeptiert", sodass nicht ersichtlich sei, inwieweit er nach Erledigung der ersten Unterbringung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit haben könne. Laut BVerfG hat das OLG dem Beschwerdeführer damit ohne nähere Begründung schlicht unterstellt, die (gesamte) Unterbringung durch die Beschwerderücknahme "letztendlich akzeptiert" zu haben, was im Ergebnis einem Rechtsmittelverzicht gleichkomme.

Rücknahme erfasste nach Wortlaut nur Beschwerde gegen Verlängerung

Denn es deuteten mehrere Umstände darauf hin, dass der Beschwerdeführer mit seiner Rücknahmeerklärung gerade nicht auch zur ersten Unterbringung oder zur Unterbringung insgesamt Stellung nehmen und deren "Akzeptanz" erklären wollte, so das BVerfG weiter. Schon ihrem Wortlaut nach habe sich die Rücknahmeerklärung allein auf das (Beschwerde-)Verfahren zum zweiten Unterbringungsbeschluss bezogen. Der Beschwerdeführer nenne in seiner Erklärung ausschließlich die Aktenzeichen des zweiten Unterbringungsbeschlusses, nicht jedoch die des ersten. Die Unterbringung sei darüber hinaus aufgrund des ersten Unterbringungsbeschlusses in der Klinik erfolgt, aus der der Beschwerdeführer letztlich verlegt zu werden begehrt habe. Es spreche daher vieles dafür, dass er mit der dortigen Behandlung (auch) während des ersten Unterbringungszeitraums gerade nicht einverstanden war. Angesichts dessen leuchte nicht ein, warum der Beschwerdeführer diese Unterbringung letztlich doch hätte "akzeptieren" wollen.

Anhaltspunkte für Drucksituation

Schließlich bestünden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beschwerdeführer in einer Drucksituation wähnte, als er die Rücknahmeerklärung abgegeben habe. Offenbar habe er den Gesprächen mit seinen Ärzten entnommen, dass eine Verlegung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt und ausschließlich dann durchgeführt werden könne, wenn er sein Beschwerdeverfahren nicht fortführe. Es erscheine naheliegend, dass der Beschwerdeführer sich einem infolgedessen empfundenen Druck gebeugt und die Rücknahme der Beschwerde gegen den zweiten Unterbringungsbeschluss allein mit dem Ziel erklärt habe, wenigstens seine Verlegung in eine andere Klinik zu erreichen. Dass er unter diesen Umständen darüber hinaus auch die vorangegangene Unterbringung vor Augen gehabt habe und eine Erklärung habe abgeben wollen, die der Sache nach einen Rechtsmittelverzicht auch für diese vorangegangene Unterbringung beinhaltet habe, liege jedenfalls nicht auf der Hand.

BVerfG, Beschluss vom 08.08.2021 - 2 BvR 2000/20

Redaktion beck-aktuell, 8. September 2021.