Ent­schä­di­gung für Atom­aus­stieg muss neu ge­re­gelt wer­den
akw_atomkraft_CR  Christian Schwier adobe
© Christian Schwier / stock.adobe.com
akw_atomkraft_CR Christian Schwier adobe

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hält die 2018 be­schlos­se­ne Ent­schä­di­gungs­re­ge­lung für Strom­kon­zer­ne wegen des Atom­aus­stiegs für un­zu­rei­chend. Damit war eine Ver­fas­sungs­be­schwer­de des En­er­gie­ver­sor­gers Vat­ten­fall er­folg­reich.

Atom­aus­stieg nach Fu­ku­shi­ma-Ka­ta­stro­phe

Die Fol­gen des Atom­aus­stiegs müs­sen er­neut vom Bun­des­tag be­han­delt wer­den: Das schwe­di­sche Un­ter­neh­men Vat­ten­fall ist vor dem BVerfG mit einer Be­schwer­de gegen die 16. No­vel­le zum Atom­ge­setz vom 10.07.2018 durch­ge­drun­gen. Nach dem Re­ak­tor­un­fall in Fu­ku­shi­ma 2011 hatte der Bund ent­schie­den, dass der Aus­stieg aus der Kern­ener­gie be­schleu­nigt wer­den soll. Durch die 13. No­vel­le zum Atom­ge­setz wur­den zuvor ver­ein­bar­te Ver­län­ge­run­gen der Rest­lauf­zei­ten für deut­sche AKW ver­kürzt. Für be­stimm­te Be­trei­ber wie Vat­ten­fall führ­te dies zum Ver­lust von zu­ge­sag­ten Rest­strom­men­gen. 

Ers­tes BVerfG-Ur­teil nicht um­ge­setzt

Dies bil­lig­te das BVerfG mit Ur­teil vom 06.12.2016, gab den in­so­weit schlech­ter ge­stell­ten En­er­gie­un­ter­neh­men aber in einem we­sent­li­chen Punkt Recht: Der Bund wurde ver­pflich­tet, bis zum 30.06.2018 einen Aus­gleich hier­für zu fin­den. Die Form der Ent­schä­di­gung – zum Bei­spiel Lauf­zeit­ver­län­ge­rung, Über­tra­gung an an­de­re Be­trei­ber oder staat­li­cher Er­satz des Scha­dens – soll­te dabei dem Ge­setz­ge­ber über­las­sen blei­ben.

Nun rügte Vat­ten­fall vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, dass das Ge­setz weder in Kraft ge­tre­ten sei noch in­halt­lich einen nach­voll­zieh­ba­ren Aus­gleich biete. Viel­mehr müss­ten die Ein­nah­men aus den Rest­strom­men­gen ge­teilt wer­den, und es be­stehe die Ge­fahr, dass sie unter Markt­wert an­ge­bo­ten wer­den müss­ten.

Neu­re­ge­lung er­for­der­lich

Der Erste Senat folg­te die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on im We­sent­li­chen. Das Ge­setz sei nicht in Kraft ge­tre­ten, denn die darin ge­nann­ten Be­din­gun­gen – bei­hil­fe­recht­li­che Ge­neh­mi­gung der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on oder ver­bind­li­che Er­klä­rung der Ge­neh­mi­gungs­frei­heit durch sie – seien beide nicht er­füllt. Ein Schrei­ben der Ge­ne­ral­di­rek­ti­on Wett­be­werb der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on vom Juli 2018 biete nur eine un­ver­bind­li­che "Ein­schät­zung". Die Ver­fas­sungs­rich­ter wie­sen deut­lich dar­auf hin, dass es auch nicht aus­rei­chen würde, das Än­de­rungs­ge­setz "un­ver­än­dert in Kraft zu set­zen". Der Ge­setz­ge­ber habe sich für eine un­ge­eig­ne­te Kom­bi­na­ti­on von Ab­ga­be an an­de­re Strom­an­bie­ter und staat­li­cher Ent­schä­di­gung ent­schie­den. Diese sei "nicht hin­rei­chend klar und ope­ra­tio­na­bel" und im Ge­setz le­dig­lich "ru­di­men­tär" an­ge­legt. Die jet­zi­ge Re­ge­lung "bil­det daher kei­nen an­ge­mes­se­nen Aus­gleich im Sinne des Ur­teils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, son­dern per­petu­iert in­so­weit die im Ur­teil vom 6. De­zem­ber 2016 fest­ge­stell­te Un­ver­hält­nis­mä­ßig­keit des Ei­gen­tums­ein­griffs“, so die Karls­ru­her Rich­ter.

Schul­ze sagt ra­sche Neu­re­ge­lung zu

Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rin Sven­ja Schul­ze sagte nach dem Ur­teil zu, rasch für eine neue Re­ge­lung zu sor­gen. "Wir wer­den das Ur­teil gründ­lich ana­ly­sie­ren und zügig eine Ge­set­zes­re­ge­lung auf den Weg brin­gen, die den An­for­de­run­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes ge­recht wird", sagte die SPD-Po­li­ti­ke­rin am Don­ners­tag. "Die Bun­des­re­gie­rung re­spek­tiert selbst­ver­ständ­lich die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts", sagte Schul­ze. Klar sei, dass das Ur­teil nicht den Atom­aus­stieg bis 2022 an sich be­tref­fe. "Es geht um einen Rand­be­reich: Re­ge­lun­gen für ge­wis­se et­wai­ge Aus­gleichs­an­sprü­che der AKW-Be­trei­ber."

BVerfG, Beschluss vom 29.09.2020 - 1 BvR 1550/19

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW- und beck-aktuell-Redaktion, 12. November 2020 (ergänzt durch Material der dpa).

Mehr zum Thema