Seit 2008 sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Verwaltungsakt anzuordnen
Im Disziplinarrecht des Bundes und der meisten Länder ist die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis einer bei den Verwaltungsgerichten angesiedelten Disziplinargerichtsbarkeit zugewiesen. Während der Dienstherr die Verfahrenseinstellung und den Erlass einfacher und mittlerer Disziplinarmaßnahmen selbst verfügen kann, muss er zur Verhängung einer solchen schweren, statusrelevanten Maßnahme Disziplinarklage zum VG erheben. Seit 2008 sieht § 38 Abs. 1 des Landesdisziplinargesetzes Baden-Württemberg (LDG BW) demgegenüber vor, dass sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Verwaltungsakt angeordnet werden. Gegen die ergangene Disziplinarverfügung steht den Beamten ohne Vorverfahren der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Der Rechtsweg umfasst grundsätzlich drei Instanzen, wobei die Berufung zulassungsabhängig ausgestaltet ist. Die nachträgliche gerichtliche Kontrolle ist dabei besonderen Disziplinarkammern beziehungsweise -senaten zugewiesen.
Polizeiobermeister wurde aus Beamtenverhältnis entfernt
Der Beschwerdeführer übte seinen Dienst zuletzt als Polizeiobermeister bei einem Polizeirevier aus. Parallel hierzu war er als Geschäftsführer zweier Bauunternehmen tätig. In diesem Zusammenhang wurde er drei Mal insbesondere wegen Betrugs- und Urkundendelikten rechtskräftig verurteilt, zuletzt zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Im Dezember 2011entfernte ihn das zuständige Polizeipräsidium aus dem Beamtenverhältnis. Seine hiergegen gerichtete Klage blieb in allen Instanzen bis hin zur Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglos.
Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums zu beachten
Das BVerfG weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass nach Art. 33 Abs. 5 GG das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortentwickeln ist. Diese umfassten den Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden seien.
Entfernung aus Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch kein Bestandteil der Grundsätze
Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen darf, bestehe nicht. Die rechtshistorische Analyse ergebe, dass sich bis zum Ende der Weimarer Republik keine solche Regel herausbildete. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts würden sich zwar in einigen Teilstaaten Regelungen mit Richtervorbehalt finden. In Preußen sowie auf Reichsebene habe sich eine richterliche Disziplinargewalt im maßgeblichen Zeitraum jedoch nicht etabliert, weshalb eine jedenfalls überwiegende Geltung des in Rede stehenden Grundsatzes nicht angenommen werden kann.
Entfernungsentscheidung nicht allein Gremium vorzubehalten
Auch ein hergebrachter Grundsatz, wonach die Entfernungsentscheidung der unmittelbaren alleinigen Diziplinargewalt des Dienstvorgesetzten entzogen und immer einem Gremium zu überantworten ist, bestehe nicht. Neben der Übertragung der Disziplinarbefugnis auf Gerichte fänden sich im traditionsbildenden Zeitraum verschiedenste Elemente exekutiver Selbst- und judikativer Fremdkontrolle, die ihrerseits unterschiedlich kombiniert wurden. Hierbei sei es jedoch nicht primär darum gegangen, gerade dem Dienstvorgesetzten die Disziplinarbefugnis zu entziehen, sondern darum, den Beamten vor einer willkürlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu schützen und deshalb zu verhindern, dass die alleinige und letztverbindliche Gestaltung in der Hand eines Einzelnen liegt. Hierfür seien aber auch weitere Instrumente, insbesondere eine nachträgliche gerichtliche Vollkontrolle, denkbar. Daraus folge im Umkehrschluss, dass die Entziehung der alleinigen Disziplinarbefugnis des Dienstvorgesetzten nicht derart prägend für das Beamtentum ist, dass ihr der Rang eines Strukturprinzips zuzusprechen wäre.
Kein Richtervorbehalt für Entfernungen aus Beamtenverhältnis erforderlich
Das zum Kernbestand der Strukturprinzipien gehörende Lebenszeitprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG erfordere keinen Richtervorbehalt für Entfernungen aus dem Beamtenverhältnis, da effektiver nachgelagerter Rechtsschutz sichergestellt sei. Es beinhalte neben dem Grundsatz der lebenszeitigen Anstellung auch die grundsätzliche Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes. Erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit biete die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann. Dazu gehöre auch und vor allem, dass Beamte nicht willkürlich oder nach freiem Ermessen politischer Gremien aus ihrem Amt entfernt werden können. Die Beendigung des Beamtenverhältnisses sei nur unter genau gesetzlich geregelten Voraussetzungen und Formen zulässig. Das Bewusstsein ihrer gesicherten Stellung solle die Bereitschaft der Beamten zu einer an Gesetz und Recht orientierten Amtsführung fördern. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist, könne realistischerweise erwartet werden, dass Beamte auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharren, wenn sie politisch unerwünscht sein sollte. Das Berufsbeamtentum werde so zu einem tragenden Element des Rechtsstaates.
Grundrechtsschutz grundsätzlich durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle hinreichend gewährleistet
Der Schutz vor Staatswillkür und Machtmissbrauch zur Freiheitssicherung werde im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes vornehmlich durch die Gewaltenteilung gewährleistet, betont das BVerfG. Dies bedeute jedoch nicht, dass bereits die disziplinare Erstentscheidung von einem Gericht getroffen werden muss. Vielmehr könne angesichts des ausdifferenzierten Rechtsschutzsystems ein hinreichender Grundrechtsschutz grundsätzlich durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle gewährleistet werden. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise im Sinne eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren eine originäre gerichtliche Primärentscheidung geboten sein könne. Dieses könne insbesondere dann erforderlich sein, wenn nachträglicher Rechtsschutz nur unzureichenden Schutz biete. Derartige strukturelle Rechtsschutzdefizite ließen sich hier aber nicht feststellen. Zwar greife die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in essentieller Weise in das Lebenszeitprinzip ein. Allerdings könne ein etwaiger unberechtigter Eingriff durch nachträgliche gerichtliche Überprüfung hinreichend effektiv korrigiert werden. Auch sofern mit einem Disziplinarverfahren finanzielle oder statusbezogene Nachteile etwa im Hinblick auf mögliche Beförderungen verbunden seien, könne dem unter Eilbedürftigkeitsgesichtspunkten durch einstweiligen Rechtsschutz wirksam begegnet werden.
Gebundene, gerichtlich voll kontrollierbare Entscheidung
Jedenfalls im Fall eines nachgelagerten effektiven Rechtsschutzes in Gestalt einer gerichtlichen Vollkontrolle sei dem Lebenszeitprinzip Genüge getan. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach dem LDG BW, wie es vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim ausgelegt und angewandt wird, sei als gebundene, gerichtlich voll kontrollierbare Entscheidung ausgestaltet. Nach dem LDG BW werde ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis entfernt, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren hat. Dabei sei das Persönlichkeitsbild des Beamten zu berücksichtigen. Bei der Feststellung eines schweren Dienstvergehens seien in be- wie entlastender Weise die objektive Handlung, subjektive Handlungsmerkmale sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte zu berücksichtigen. Hinsichtlich des endgültigen Vertrauensverlustes sei zu prüfen, ob aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen, oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen.
Weder auf Tatbestands- noch auf Rechtsfolgenseite Beurteilungs- oder Ermessenspielräume eröffnet
Hierbei seien weder auf Tatbestands- noch auf Rechtsfolgenseite Beurteilungs- oder Ermessenspielräume eröffnet. Insbesondere bestehe bezogen auf die Feststellung des endgültigen Vertrauensverlustes kein Beurteilungsspielraum. Dieser werde nach der hier maßgeblichen ständigen Rechtsprechung vielmehr nach objektiven Kriterien bestimmt. Kontrollfreie Räume verblieben auch im Hinblick auf ein etwaiges Entschließungsermessen der Behörden angesichts der Besonderheiten der tatbestandlichen Regelungsstruktur nicht. Denn durch die genannten Merkmale seien die denkbaren ermessensrelevanten Aspekte auf die Tatbestandsseite verlagert, sodass bei vernünftiger Betrachtung keine Elemente vorhanden seien, die noch ein Entschließungsermessen eröffnen könnten. In einem derartigen System der gerichtlichen Vollkontrolle bedürfe es keiner zumindest partiellen originären gerichtlichen Disziplinargewalt. Beamte seien durch die nachträgliche Kontrolle der Gerichte hinreichend geschützt, da eine rechtswidrige endgültige Entscheidung abgewendet werden könne.
Verzögerungen in Einzelfällen kein zwingender Grund für originäre Disziplinargewalt der Gerichte
Damit sei die Frage einer zumindest partiellen originären Disziplinargewalt von Gerichten bei Entfernungsentscheidungen letztlich nur unter Beschleunigungsgesichtspunkten relevant. Denn ein rein kassatorisches Urteil könne das Disziplinarverfahren erheblich verlängern, wenn die Dienstvorgesetzten erneut eine Disziplinarmaßnahme verhängen, welche ihrerseits wiederum zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werde. Angesichts dieser Verzögerungsrisiken bestehe zwar die Möglichkeit von Spannungen zu dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden Gebot der zügigen Durchführung eines Disziplinarverfahrens. Die mit dem nachgelagerten gerichtlichen Rechtsschutz möglicherweise in Einzelfällen einhergehenden Verzögerungen wögen jedoch nicht so schwer, dass eine originäre Disziplinargewalt der Gerichte zwingend erforderlich wäre.
Keine weiteren faktischen Hindernisse für Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes
Durch den Wegfall der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Richterspruch würden sich auch keine weiteren faktischen Hindernisse für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ergeben, welche unter dem Gesichtspunkt des Lebenszeitprinzips besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens stellten. Insbesondere seien für den Betroffenen im Fall einer nachgelagerten Kontrolle die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen sowie die mit der Klägerstellung einhergehende Kostenbelastung verfassungsrechtlich unbedenklich, zumal auch im System der Disziplinarklage der Öffentlichkeitsgrundsatz gelte und ein Kostenrisiko vorhanden sei.
Keine Anhaltspunkte für Missbrauchsgefahr im Sinne "schikanöser Entfernungen"
An die Ausgestaltung des behördlichen Verfahrens stelle das Lebenszeitprinzip bei einer umfassenden und effektiven gerichtlichen Letztkontrolle keine besonderen Anforderungen. Die Sorge, die Verwaltung könnte wegen der Neuregelung von einer erforderlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis aus Gefälligkeit oder Scheu vor einem öffentlichen Gerichtsprozess absehen, sodass untragbare Personen im Dienst verblieben, führe im hiesigen Kontext schon deshalb nicht weiter, weil im Disziplinarklagesystem gleichermaßen das Risiko bestehe, dass von der Erhebung der Klage trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen und unter Verletzung einer Verpflichtung zum Tätigwerden abgesehen wird. Für den gleichsam umgekehrten Fall einer strukturellen Missbrauchsgefahr im Sinne "schikanöser Entfernungen" fehle es an substanziellen Anhaltspunkten. Denn wenn die Entfernungsverfügung nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, sei sie gerichtlich angreifbar und im Ergebnis aufhebbar. Erfülle sie hingegen die Voraussetzungen, so sei für die Annahme von Missbrauch kein Raum.
Abweichende Ansicht von Huber
Das überkommene Verständnis der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums mit ihrer Fixierung auf die Weimarer Zeit bedarf nach Ansicht von Richter Peter M. Huber insoweit der Modifikation, als sich auch unter der Geltung des Grundgesetzes "hergebrachte Grundsätze" entwickeln konnten und können. Dies wirke sich im vorliegenden Fall indes nicht aus, weil die Senatsmehrheit die Existenz eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums, wonach die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst nur durch Richterspruch erfolgen darf, im Ergebnis zutreffend verneint habe. Allerdings greife die praktisch ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts nach Ansicht von Huber bei der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unverhältnismäßig in Art. 33 Abs. 5 GG ein. Dieser Eingriff werde nicht durch funktional äquivalente Vorkehrungen kompensiert, wie sie etwa ein förmliches, Unparteilichkeit und Fairness sicherndes Verwaltungsverfahren darstellen würde. Die bloße Verweisung auf den nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz genüge insoweit nicht.
Entfernung aus dem Dienst als denkbar schwerster Eingriff der Disziplinargewalt
Der präventive Richtervorbehalt gewährleiste Beamten nicht nur ein Höchstmaß an effektivem Rechtsschutz. Er sichere zugleich Fairness und Waffengleichheit zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und erschwere eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Disziplinarrechts durch den Vorgesetzten. Er sei in Deutschland durch seine jahrzehntelange Geltung zu einer wesentlichen Ausformung des Lebenszeitprinzips geworden und damit Teil des effektiven Gewährleistungsbereichs von Art. 33 Abs. 5 GG, den der Gesetzgeber zu beachten hat. Es gehe dabei um die Gewährleistung der Unabhängigkeit von Beamten, ihren Schutz vor willkürlicher Entfernung aus dem Dienst und den Erhalt des Bewusstseins einer gesicherten Rechtsstellung und um eine wesentliche Absicherung des Lebenszeitprinzips im Sinne des Grundrechtsschutzes durch Verfahren. Die Entfernung aus dem Dienst sei der denkbar schwerste Eingriff der Disziplinargewalt gegenüber aktiven Beamten. Solle dieser Eingriff verhältnismäßig sein, bedarf es nach Ansicht von Huber besonderer, wirksamer verfahrensrechtlicher Vorkehrungen, damit diese den mit der Verfügungsbefugnis des Dienstherrn über ihren Status verbundenen Risiken nicht schutzlos ausgeliefert sind. Entscheidend sei, dass Beamte vor willkürlicher Entlassung und ihren Vor- und Nachwirkungen effektiv geschützt blieben.
Huber: Ersatzlose Streichung präventiven Richtervorbehalts unverhältnismäßiger Eingriff
§ 38 Abs. 1 LDG BW werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Verglichen mit dem Status quo ante berge eine Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt empfindliche Nachteile und Risiken für die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Beamten – eine Verlagerung des Prozessrisikos, die Eröffnung wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit, ein Risiko der Stigmatisierung, die Verschärfung der fehlenden Parität zwischen den Parteien, Manipulationsanfälligkeit et cetera –, die die verfassungsrechtlich gebotenen Wirkungen des Lebenszeitprinzips beeinträchtigen könnten. Die ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts erscheine daher als unverhältnismäßiger Eingriff in den relativen Normbestandsschutz von Art. 33 Abs. 5 GG, der durch die Möglichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung allein nicht verhindert werde.