BVerfG: Eltern haften bei Verschweigen verantwortlichen Kindes für illegales Filesharing

Eltern können sich als Inhaber eines Internetanschlusses der eigenen Haftung für die Verletzung von Urheberrechten durch illegales Filesharing eines ihrer (volljährigen) Kinder nicht dadurch entziehen, dass sie den Namen des verantwortlichen Kindes nicht preisgeben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.02.2019 entschieden und eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BeckRS 2017, 108569) nicht zur Entscheidung angenommen. Das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG stehe einer Offenbarungsobliegenheit im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht entgegen. Aus Art.  6 Abs. 1 GG ergebe sich zwar ein Recht, Familienmitglieder nicht zu belasten, nicht aber ein Schutz vor negativen prozessualen Folgen dieses Schweigens (Az.: 1 BvR 2556/17).

Verantwortliches Kind deckende Eltern wegen illegalen Musik-Uploads zu Schadenersatz verurteilt

Die Beschwerdeführer sind als Ehepaar gemeinsame Inhaber eines Internetanschlusses. Über den Anschluss wurde ein Musikalbum mittels einer sogenannten Filesharing-Software in einer Internettauschbörse zum Herunterladen angeboten. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens besitzt die Verwertungsrechte an den betroffenen Musiktiteln. Die Beschwerdeführer gaben auf die Abmahnung der Klägerin eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, verweigerten aber die Zahlung von Schadenersatz und Rechtsanwaltskosten. Sie selbst hätten ihren Anschluss während der maßgeblichen Zeit nicht genutzt. Sie wüssten zwar, dass eines ihrer (volljährigen) Kinder den Anschluss genutzt hätte, wollten aber nicht offenbaren, welches. Das Landgericht verurteilte sie zur Zahlung von Schadenersatz und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen Urheberrechtsverletzung. Berufung und Revision blieben in der Sache erfolglos. Mit ihrer anschließend erhobenen Verfassungsbeschwerde rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 GG.

BVerfG: Grundrecht auf Achtung des Familienlebens nicht verletzt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Gesetzesauslegung in den angegriffenen Entscheidungen verletze die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG. Zwar liege ein Eingriff in dessen Schutzbereich vor. Allerdings sei diese Beeinträchtigung gerechtfertigt. Die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen - §§ 97 Abs. 2 S. 1, 85 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 138 ZPO – durch den BGH und durch die Instanzgerichte sei nicht zu beanstanden. Das BVerfG unterstreicht, dass dem Schutz des Art. 14 GG, auf den sich die Klägerin als Rechteinhaberin berufen könne, in Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter im Streitfall ebenfalls ein erhebliches Gewicht zukomme.

Fachgerichtliche Interessenabwägung nicht zu beanstanden

Laut BVerfG sind die Fachgerichte bei Abwägung der Belange des Eigentumsschutzes mit den Belangen des Familienschutzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht geworden. Nach der Entscheidung des BGH müssten die Beschwerdeführer zur Entkräftung der Vermutung für ihre Täterschaft als Anschlussinhaber ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung mitteilen und auch aufdecken, welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen habe, sofern sie davon Kenntnis erlangt hätten. Diese Abwägung trage dem Erfordernis praktischer Konkordanz ausreichend Rechnung und halte sich jedenfalls im Rahmen des fachgerichtlichen Wertungsrahmens. Die Ausstrahlungswirkung der von den Entscheidungen berührten Grundrechte sei bei der Auslegung von § 138 ZPO hinreichend beachtet.

Familienmitglieder müssen nicht belastet werden – Negative prozessuale Folgen aber hinzunehmen

Zwar kenne das Zivilprozessrecht einen Schutz vor Selbstbezichtigungen und finde die Wahrheitspflicht einer Partei dort ihre Grenzen, wo sie gezwungen wäre, etwa eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren, so das BVerfG weiter. Entsprechendes dürfte gelten, wenn es um Belastungen von nahen Angehörigen geht. Den grundrechtlich gegen einen Zwang zur Selbstbezichtigung geschützten Prozessparteien und Verfahrensbeteiligten könne dann aber das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung auferlegt werden. Ein weitergehender Schutz sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr sei auch der gerichtlichen Durchsetzung von Grundrechtspositionen – hier dem nach Art. 14 GG geschützten Leistungsschutzrecht des Rechteinhabers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG – angemessen Rechnung zu tragen.

Interesse an effektiver Durchsetzung von Urheberrechten

Wie das BVerfG weiter ausführt, berücksichtigt der BGH, dass Rechteinhaber zur Durchsetzung ihrer Rechte in Filesharing-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit hätten, zu Umständen aus dem ihrem Einblick vollständig entzogenen Bereich der Internetnutzung durch den Anschlussinhaber vorzutragen oder Beweis zu führen. Zugunsten der Klägerin als Inhaberin des Art. 14 GG unterfallenden Leistungsschutzrechts berücksichtige er damit deren Interesse an einer effektiven Durchsetzung ihrer urheberrechtlichen Position gegenüber unberechtigten Verwertungshandlungen. Die Beeinträchtigung der familiären Beziehungen der Beschwerdeführer halte er dabei in Grenzen. Denn Familienangehörige müssten sich nicht gegenseitig belasten, wenn der konkret Handelnde nicht ermittelbar ist. Vielmehr trügen sie nur das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung, wenn sie die Darlegungs- und Beweisanforderungen nicht erfüllen. Die Möglichkeit, innerfamiliäre Spannungen und Verhältnisse durch Schweigen im Prozess zu verhindern oder jedenfalls nicht nach außen tragen zu müssen, führe umgekehrt nicht dazu, dass dieses Schweigen eine Haftung generell – also ohne prozessuale Folgen – ausschließen müsste.

Schutz der Familie kein taktisches Haftungsvermeidungsinstrument

Die zur Wahrung von Art. 6 GG gewährte faktische "Wahlmöglichkeit" im Zivilprozess, innerfamiliäres Wissen zu offenbaren oder aber zu schweigen, könne bei der Tatsachenwürdigung keinen Vorrang vor der Durchsetzung des Art. 14 GG unterfallenden Leistungsschutzrechts beanspruchen. Der Schutz der Familie diene nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Der bloße Umstand, mit anderen Familienmitgliedern zusammenzuleben, führe nicht automatisch zum Haftungsausschluss für den Anschlussinhaber. Soweit die Beschwerdeführer geltend machten, es gebe bessere und im Verhältnis zu der Zivilrechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen konsistentere Lösungen für den Ausgleich zwischen den Rechtspositionen der Inhaber geistiger Eigentumsrechte und deren Nutzern, falle dies verfassungsrechtlich nicht ins Gewicht. Ob es darüber hinaus gerechtfertigt wäre, dem Anschlussinhaber auch Nachforschungs- oder Nachfragepflichten aufzuerlegen, habe keiner Entscheidung bedurft.

EU-Recht steht Offenbarungsobliegenheit nicht entgegen

Dem BVerfG zufolge ergibt sich aus den europäischen Grundrechten nichts anderes. Insbesondere stehe das Recht der Europäischen Union nicht schon der Anwendbarkeit der Grundrechte des Grundgesetzes entgegen. Denn soweit das Unionsrecht nicht abschließend zwingende Vorgaben mache, blieben die Grundrechte des Grundgesetzes anwendbar. In dem Rahmen, in dem den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume belassen seien, seien die Fachgerichte folglich auch im Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie und der Durchsetzungsrichtlinie an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Dies sei für die Durchsetzung der urheberrechtlichen Ansprüche nach Maßgabe des nicht harmonisierten Zivilverfahrensrechts der Fall. Die BGH-Rechtsprechung bilde die unionsrechtlichen Anforderungen zutreffend ab.

BVerfG, Beschluss vom 18.02.2019 - 1 BvR 2556/17

Redaktion beck-aktuell, 3. April 2019.