BVerfG: Einsatz von Lebenszeitbeamten als Verwaltungsrichter auf Zeit verfassungskonform

Beamte auf Lebenszeit dürfen in außergewöhnlichen Situationen eines vorübergehend erhöhten Personalbedarfs als Richter auf Zeit an den Verwaltungsgerichten erster Instanz eingesetzt werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.03.2018 entschieden und eine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Allerdings sei § 18 VwGO verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein Richter auf Zeit nach Ablauf seiner Amtsperiode nicht erneut bestellt werden darf (Az.: 2 BvR 780/16).

Verwaltungsrichter auf Zeit durch Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eingeführt

Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 wurden Vorschriften in die Verwaltungsgerichtsordnung aufgenommen, die die Ernennung von Beamten auf Lebenszeit mit der Befähigung zum Richteramt zu Richtern auf Zeit ermöglichen (§§ 17 Nr. 3, 18 VwGO). Die Richter auf Zeit müssen für die Dauer von mindestens zwei Jahren bestellt werden. In dieser Zeit ruht ihr Beamtenverhältnis. Nach Ablauf der Amtszeit als Richter lebt es wieder auf. Die Richter auf Zeit können nur an den Verwaltungsgerichten erster Instanz tätig werden. Gesetzliche Voraussetzung für ihre Bestellung ist ein "nur vorübergehender Personalbedarf". Damit soll vor allem die zügige Bearbeitung der stark gestiegenen Anzahl asylrechtlicher Streitigkeiten sichergestellt werden. Der Einsatz von Richtern auf Zeit ist aber nicht auf dieses Sachgebiet beschränkt. Von der Möglichkeit, an den Verwaltungsgerichten Richter auf Zeit einzusetzen, hat bislang nur das Land Mecklenburg-Vorpommern Gebrauch gemacht.

Abgelehnter Asylbewerber rügte Verletzung seines Rechts auf gesetzlichen Richter

Der Beschwerdeführer stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien, wo ihm bereits internationaler Schutz zuerkannt worden war. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Schwerin durch einen Richter auf Zeit als Einzelrichter mit unanfechtbarem Beschluss ab. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Der Beschwerdeführer sah sich durch den Einsatz eines Richters auf Zeit in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.

BVerfG: Richter müssen nicht ausnahmslos auf Lebenszeit ernannt werden

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Der auf einen nur vorübergehenden Personalbedarf beschränkte Einsatz von Beamten auf Lebenszeit als Richter auf Zeit sei grundsätzlich verfassungsgemäß. Ein Verfassungsgebot der lebenslangen Anstellung aller Berufsrichter stehe der auf außergewöhnliche Bedarfssituationen beschränkten Verwendung von Richtern auf Zeit nicht entgegen. Leitbild des Grundgesetzes und maßgebliche Grundlage für eine rechtsstaatliche, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verwirklichende Justiz sei nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG der hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellte Richter. Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit fordere aber nicht generell eine Ernennung der Richter auf Lebenszeit. Auch unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des öffentlichen Dienstrechts sei die lebenslange Anstellung von Richtern jedenfalls nicht ausnahmslos geboten. Es müsse allerdings der grundsätzliche Vorrang des Lebenszeitrichterverhältnisses gewahrt bleiben. Die gesetzliche Voraussetzung des "nur vorübergehenden Personalbedarfs" sei daher eng auszulegen und nur in einer außergewöhnlichen, nicht durch herkömmliche Instrumente der Personalbewirtschaftung handhabbaren Belastungssituation erfüllt.

Richter auf Zeit entspricht Leitbild des hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richters

Das BVerfG weist darauf hin, dass Richter auf Zeit den Richterstatus erhielten, Inhaber einer Planstelle und hauptamtlich tätig seien. Ihre Amtsdauer als Richter an einem bestimmten Gericht könne nicht vorzeitig beendet werden. Sie entsprächen insoweit dem grundgesetzlichen Leitbild des hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richters. Richter auf Zeit genössen für die Dauer ihrer Amtszeit ebenso wie Richter auf Lebenszeit die persönliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG und damit strikten Schutz vor Entlassung, Amtsenthebung oder Versetzung.

Kein Verstoß gegen Gebot der Trennung von Gerichten und Verwaltungsbehörden

Laut BVerfG ist die Bestellung von Beamten auf Lebenszeit als Richter auf Zeit, deren Amt als Beamter lediglich ruhe und die nach Ablauf ihrer Amtszeit als Richter in das Amt als Beamter zurückkehrten, auch mit dem Gebot der Trennung von Gerichten und Verwaltungsbehörden vereinbar. Das auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung beruhende Verbot der personellen Verflechtung zwischen den Organen der rechtsprechenden und der vollziehenden Gewalt sei ein Verbot der gleichzeitigen Aufgabenwahrnehmung in zwei Staatsgewalten. Es werde durch die zeitliche Aufeinanderfolge von Tätigkeiten in beiden Staatsgewalten nicht verletzt. Auch dass bei den Richtern auf Zeit das künftige Wiederaufleben des Beamtenverhältnisses nach dem Ende der Amtszeit als Richter von vornherein feststehe, begründe wegen der klaren zeitlichen Abgrenzung keine grundsätzlichen Bedenken.

Richterliche Unabhängigkeit gewährleistet

Die Bestellung von Beamten auf Lebenszeit zu Richtern auf Zeit verletze auch nicht die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit, so das BVerfG weiter. Die bereits feststehende Rückkehr in die Verwaltung hindere, wenn die Amtszeit eine bestimmte Mindestdauer habe, nicht den erforderlichen Rollenwechsel vom weisungsabhängigen Beamten zum unabhängigen Richter. Etwaige Vorwirkungen der absehbaren Rückkehr in das Amt als Beamter, das nicht dieselben Garantien für die Stabilität des Amtes biete wie das Amt als Richter und beispielsweise eine Versetzung erlaube, mit der Entscheidungen des Richters nachträglich sanktioniert werden könnten, lägen aufgrund der gefestigten politischen Kultur des Respekts vor der richterlichen Unabhängigkeit in Deutschland fern. Zudem bestünden hinreichende strukturelle Sicherungen.

Garantie der richterlichen Unparteilichkeit ebenfalls nicht verletzt

Der Einsatz von Richtern auf Zeit an Verwaltungsgerichten verletzt nach Ansicht des BVerfG auch nicht die Verfassungsgarantie der richterlichen Unparteilichkeit. Allerdings sei ein "Distanzgebot" zu beachten: Der Richter auf Zeit dürfe nicht in Verfahren tätig werden, an denen seine Stammbehörde oder eine dieser vorgesetzte Behörde beteiligt sei. Dieser Anforderung müsse bereits bei der Geschäftsverteilung Rechnung getragen werden. Im Übrigen reichten die bestehenden prozessrechtlichen Vorschriften über die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit bei entsprechend strenger Handhabung als Sicherung aus.

Statusunterschiede nicht zu beanstanden

Weiter sieht das BVerfG keinen Grund, das Nebeneinander von Richtern mit unterschiedlichem Status zu beanstanden. Dies begründe keine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit. Der Gesetzgeber habe die Auswahl zwischen den verschiedenen Statusformen des Richteramtes nicht dem Belieben der Exekutive überlassen, sondern das Regelmodell des Richters auf Lebenszeit vorgesehen und die Bestellung von Richtern auf Zeit auf Ausnahmesituationen eines nur vorübergehenden Personalbedarfs beschränkt.

Zusätzliche Gestaltungsmacht der Exekutive verfassungsgemäß

Auch dass der Exekutive in gewissem Umfang die anlassbezogene Schaffung und befristete Besetzung von Richterstellen ermöglicht werde, verletze nicht die richterliche Unabhängigkeit. Die dadurch der Exekutive eröffnete zusätzliche Gestaltungsmacht halte sich noch im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen, weil der Einsatz der Richter auf Zeit nicht auf das Sachgebiet beschränkt sei, das den Anlass der Ernennung bilde, und die konkrete Geschäftsverteilung durch das Präsidium des Gerichts beschlossen werde.

Regelungen zur Amtsdauer verfassungskonform

Die gesetzlichen Regelungen zur Amtsdauer der Richter auf Zeit sind nach Auffassung des BVerfG im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden. Mit der Festlegung einer Mindestamtsdauer und der Bindung der Amtsdauer an die prognostizierte Dauer des Ausnahmebedarfs sei eine hinreichend konkrete Regelung getroffen worden. Der abschließenden Festlegung der Amtsdauer durch den Gesetzgeber habe es nicht bedurft. Die vorgesehene Mindestamtsdauer von zwei Jahren liege allerdings an der unteren Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen.

Wiederholte Ernennung zum Richter auf Zeit unzulässig

Verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre allerdings die Möglichkeit der wiederholten Ernennung eines Beamten zum Richter auf Zeit, betont das BVerfG. Könnte nach Ablauf der Amtszeit über die Wiederernennung für eine weitere Amtszeit entschieden werden, so würde die Fortführung der richterlichen Tätigkeit dem kontrollierenden Zugriff der Exekutive geöffnet. Das zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit geltende Verbot der Entlassung, Absetzung oder Versetzung von Richtern (Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG) könnte umgangen werden. § 18 VwGO sei deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, dass die erneute Bestellung eines Richters auf Zeit nach dem Ablauf seiner Amtszeit ausgeschlossen ist.

Sondervotum

Eine abweichende Meinung vertritt BVerfG-Richterin Monika Hermanns in ihrem Sondervotum. Sie hält den Einsatz von Lebenszeitbeamten als Verwaltungsrichter auf Zeit für verfassungswidrig. Die persönliche Unabhängigkeit der Richter auf Zeit sei nur vorübergehend gesichert. Danach sei ihre berufliche Karriere wieder stärker vom Staat abhängig. Vorwirkungen der absehbaren Rückkehr in das Amt als Beamter ermöglichten der Exekutive eine mittelbare Beeinflussung der Tätigkeit des Richters auf Zeit. Ferner fehle Richtern auf Zeit die erforderliche Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Dass der Richter nur vorübergehend von der vollziehenden Gewalt an die Judikative "ausgeliehen" sei, könne bei einem Verfahrensbeteiligten auch bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Befürchtung begründen, der Richter stehe "im Lager" der gegnerischen Prozesspartei und sei nicht neutral. Dies gelte auch dann, wenn eine andere als seine Stammbehörde oder eine dieser vorgesetzte Behörde Beteiligte ist.

BVerfG, Beschluss vom 22.03.2018 - 2 BvR 780/16

Redaktion beck-aktuell, 18. Mai 2018.