Gewinnmindernde Ausbuchung unbesicherter Darlehensforderung gegen ausländische Tochtergesellschaft
Die Beschwerdeführerin ist Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin einer inländischen GmbH, die wiederum im Streitjahr zu 99,98% an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien beteiligt war. Die inländische GmbH führte für die belgische Kapitalgesellschaft ein Verrechnungskonto, das ab Januar 2004 mit 6% jährlich verzinst wurde. Die Darlehensgewährung durch das Verrechnungskonto war nicht besichert. Für einen von einer Bank gewährten Betriebsmittelkredit über mehrere Millionen Euro zahlte die Beschwerdeführerin im Streitjahr 2005 Zinsen in Höhe von 3,14% jährlich. Im September 2005 vereinbarten die inländische GmbH und die belgische Kapitalgesellschaft einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein in Höhe des wertlosen Teils der gegen die belgische Kapitalgesellschaft gerichteten Forderungen aus dem Verrechnungskonto. Dieser wurde in der Bilanz der inländischen GmbH gewinnmindernd ausgebucht.
Finanzamt korrigierte Einkünfte nach Außensteuergesetz
Jedoch rechnete das Finanzamt die "Teilwertabschreibung" nach der unter anderem für das Streitjahr durchgeführten Außenprüfung – zunächst gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) in Verbindung mit § 15 Nr. 2 KStG – für körperschaft- und gewerbesteuerliche Zwecke wieder hinzu. Im sich anschließenden Einspruchsverfahren stützte das Finanzamt die Einkünftekorrektur sodann auf § 1 Abs. 1 AStG.
BFH: EU-Niederlassungsfreiheit steht Einkünftekorrektur hier nicht entgegen
Die hiergegen gerichtete Klage der Beschwerdeführerin hatte vor dem Finanzgericht Erfolg. Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof das FG-Urteil auf und wies die Klage der Beschwerdeführerin ab. Zur Begründung führte der BFH im Wesentlichen aus, dass die durch die fehlende Besicherung und die Teilwertabschreibung bedingte Gewinnminderung in voller Höhe der Korrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG unterliege. Der Korrektur stehe auch nicht das Unionsrecht entgegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH stelle eine mit § 1 Abs. 1 AStG vergleichbare Regelung eine zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen Mitgliedstaaten gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar. Zwar könnten das wirtschaftliche Eigeninteresse der Konzernobergesellschaft an ihren Beteiligungsgesellschaften sowie ihre Verantwortung als Gesellschafterin bei der Finanzierung dieser Gesellschaften Geschäftsabschlüsse unter nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen. Diese Einschränkung komme hier jedoch nicht zum Tragen. Das nationale Gericht habe nach der Rechtsprechung des EuGH Gründe dieser Art zu berücksichtigen und im Rahmen einer Abwägung (im Einzelfall) daran zu messen, mit welchem Gewicht die jeweils zu beurteilende Abweichung vom Maßstab des Fremdüblichen in den Territorialitätsgrundsatz und die hierauf gründende Zuordnung der Besteuerungsrechte eingreife. Im Streitfall komme danach eine Einschränkung der Berichtigung nach § 1 AStG nicht in Betracht, weil die Ausreichung von Fremdkapital eine unzureichende Eigenkapitalausstattung ausgleiche.
Recht auf gesetzlichen Richter gerügt
Gegen das BFH-Urteil wendete sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Sie rügte eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Willkürverbot sowie eine Verletzung ihres Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
BVerfG: Pflicht zu EuGH-Vorlage verletzt
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die Sache zurückverwiesen. Das Urteil des BFH verletze die Beschwerdeführerin wegen der Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in ihrem Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Im Fall der Unvollständigkeit der EuGH-Rechtsprechung werde Art. 267 Abs. 3 AEUV insbesondere dann unvertretbar gehandhabt, wenn das Fachgericht ohne sachlich einleuchtende Begründung eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage bejaht. So liege der Fall hier. Die richtige Anwendung des Unionsrechts auf den vom BFH (erstmals) unter § 1 AStG subsumierten Fall der Hingabe eines fremdunüblich nicht besicherten Darlehens sei jedenfalls nach der vom BFH dafür gegebenen Begründung und angesichts der Unvollständigkeit der EuGH-Rechtsprechung zu den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht derart offenkundig gewesen, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum blieb.
BFH setzt Rechtfertigung der Einkünftekorrektur ohne weitere Begründung voraus
Zutreffend gehe der BFH davon aus, dass die von ihm nach § 1 Abs. 1 AStG vorgenommene Einkünftekorrektur eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV darstellt. Die damit verbundene Ungleichbehandlung sei nur statthaft, wenn sie durch vom Unionsrecht anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Die angegriffene Entscheidung setze sich jedoch nicht mit der Frage auseinander, ob die Einkünftekorrektur nach Maßgabe seiner Auslegung von § 1 AStG im Hinblick auf nicht besicherte Forderungen überhaupt der, vom EuGH für legitim erklärten, Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten dient. Dass dieser Rechtfertigungsgrund einschlägig sei, setze der BFH ohne Weiteres voraus, obwohl es hierzu weiterer Ausführungen bedurft hätte. Denn weder die Nichtbesicherung der Darlehensforderung, die der BFH dem Fremdvergleich zugrunde lege, noch eine spätere Abschreibung der Forderung führten ohne Weiteres zu einer Übertragung von Gewinnen, also zu einem unversteuerten "Hinaustransferieren" von Gewinnen, das nach der "Hornbach"-Entscheidung des EuGH (DStR 2018, 1221) geeignet sein könnte, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
Vorliegen "wirtschaftlicher Gründe" nicht nachvollziehbar verneint
Der BFH untersuche vielmehr allein die Voraussetzungen, unter denen der EuGH in seiner "Hornbach"-Entscheidung für den Fall, dass die zu beurteilende Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis geeignet sei, auch deren Erforderlichkeit bejaht hat. Der EuGH verlange in jedem Fall, in dem der Verdacht bestehe, dass ein geschäftlicher Vorgang über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen, die nicht fremdübliche Bedingungen rechtfertigen könnten. Der BFH sehe solche wirtschaftlichen Gründe für die Hingabe eines nicht besicherten Darlehens nicht als gegeben an, wenn dies strukturell der Zuführung von Eigenkapital nahesteht. Dabei sei zwar nicht willkürlich, dass der BFH der Rechtsprechung des EuGH bei Vorliegen wirtschaftlicher Gründe für fremdunübliche Bedingungen keinen die territorialen Besteuerungsrechte stets verdrängenden Automatismus entnommen hat, sondern eine Abwägung zulässt. Es fehle jedoch eine sachlich einleuchtende Begründung dafür, warum der BFH die Rechtslage auch im Hinblick auf sein Abwägungsergebnis im konkreten Fall für durch die Rechtsprechung des EuGH zweifelsfrei geklärt hält. Denn das übergehe, dass wirtschaftliche Gründe für den Abschluss eines fremdunüblichen Geschäfts nach Auffassung des EuGH gerade dann vorliegen können, wenn eine Tochtergesellschaft auf die Zuführung von Kapital angewiesen ist, weil sie über kein ausreichendes Eigenkapital verfügt. Dazu stehe die vom BFH vorgenommene Abwägung in einem von ihm nicht aufgelösten Widerspruch.
In Fremdvergleich ohne Begründung Vollbesicherung eingestellt
Schließlich sei nach der Rechtsprechung des EuGH eine nationale Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nur erforderlich, soweit sich die steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränke, der über das hinausgehe, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten. Ob die angegriffene Entscheidung insoweit mit der vom EuGH geklärten Rechtslage in Einklang stehe, sei nicht nachvollziehbar, weil sie bei dem durch § 1 AStG gebotenen Fremdvergleich jegliche Begründung dafür vermissen lässt, warum der BFH unter Marktbedingungen von einer Vollbesicherung des Darlehens ausgeht.