BVerfG: Einheitsbewertung zur Bemessung der Grundsteuer verfassungswidrig

Die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen in den "alten" Bundesländern sind jedenfalls seit dem Beginn des Jahres 2002 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 10.04.2018 entschieden. Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führe zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gebe. Die Vorschriften seien mit Urteil vom heutigen Tage verfassungswidrig und bis zum 31.12.2019 durch eine Neuregelung zu ersetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die verfassungswidrigen Regeln weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen sie für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31.12.2024 angewandt werden (Az.:1 BvL 11/14; 1 BvL 12/14; 1 BvL 1/15; 1 BvR 639/11; 1 BvR 889/12).

Sachverhalt

Einheitswerte für Grundbesitz werden nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes in den "alten" Bundesländern noch heute auf der Grundlage der Wertverhältnisse zum 01.01.1964 ermittelt und bilden die Grundlage für die Bemessung der Grundsteuer. Der Entscheidung liegen fünf Verfahren, drei Richtervorlagen des Bundesfinanzhofs und zwei Verfassungsbeschwerden zugrunde. Die Klägerinnen und Kläger der Ausgangsverfahren beziehungsweise Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind Eigentümer von bebauten Grundstücken in verschiedenen "alten" Bundesländern, die jeweils vor den Finanzgerichten gegen die Festsetzung des Einheitswertes ihrer Grundstücke vorgegangen sind. In drei Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die einschlägigen Vorschriften des Bewertungsgesetzes wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig sind. Dies wurde auch im Wesentlichen mit den Verfassungsbeschwerden gerügt.

BVerfG: Regelungen zur Einheitsbewertung verstoßen gegen Gleichheitsgrundsatz

Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsbeschwerden stattgegeben und entschieden, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung der Bewertungsvorschriften zwar einen weiten Spielraum, der mit Blick auf die Lastengleichheit im Steuerrecht zu beachtende allgemeine Gleichheitssatz verlange aber ein in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerechtes Bewertungssystem. Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führe zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gebe. Infolge der Anknüpfung an die Wertverhältnisse zum 01.01.1964 spiegelten sich die wertverzerrenden Auswirkungen des überlangen Hauptfeststellungszeitraums in den einzelnen Bewertungselementen sowohl des Ertragswert- als auch des Sachwertverfahrens wider.

Bewertungsgesetz schreibt eigentlich periodische allgemeine Wertfeststellung vor

Das System der Einheitsbewertung für Grundbesitz sei davon geprägt, dass in regelmäßigen Zeitabständen eine allgemeine Wertfeststellung (Hauptfeststellung) stattfinde. Diese Hauptfeststellung solle gemäß § 21 Abs. 1 BewG alle sechs Jahre für bebaute und unbebaute Grundstücke erfolgen. Ziel der Bewertungsregeln sei es, Einheitswerte zu ermitteln, die dem Verkehrswert der Grundstücke zumindest nahekommen. Der Verkehrswert sei in diesem System die Bezugsgröße, an der sich die Ergebnisse der Einheitsbewertung im Hinblick auf Art und Umfang etwaiger Abweichungen zur Beurteilung einer gleichheitsgerechten Besteuerung messen lassen müssen.

Regelmäßige Wiederholung hat zentrale Bedeutung

Aufgrund des Umstands, dass der gebotene periodische Zyklus der Hauptfeststellung seit dem 01.01.1964 ausgesetzt sei, komme es in zunehmendem Maße zu Wertverzerrungen innerhalb des Grundvermögens. Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung sei zentral für das vom Gesetzgeber selbst so gestaltete Bewertungssystem. Ihm liege der Gedanke zugrunde, dass die den Verkehrswert der Grundstücke bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da diese Verhältnisse während der folgenden Jahre eines Hauptfeststellungszeitraums typischerweise verkehrswertrelevanten Veränderungen unterliegen, bedürfe es in regelmäßigen und nicht zu weit auseinanderliegenden Abständen einer neuen Hauptfeststellung.

Abweichungen zwischen Verkehrs- und Einheitswert nicht mehr verfassungsgemäß

Je länger ein Hauptfeststellungszeitraum über die ursprünglich vorgesehenen sechs Jahre hinaus andauere, desto größer im Einzelfall und umfangreicher in der Gesamtzahl würden zwangsläufig die Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert und den auf den Hauptfeststellungszeitpunkt bezogenen Einheitswerten der Grundstücke. Eine Auseinanderentwicklung zwischen Verkehrswert und festgestelltem Einheitswert sei für sich genommen verfassungsrechtlich nicht bedenklich, wenn die Einheitswerte in allen Fällen gleichmäßig hinter steigenden Verkehrswerten zurückbleiben würden. In diesem Fall bliebe das Niveau der Einheitswerte untereinander in Relation zum Verkehrswert gleich. Vorliegend würden sich die Wertverzerrungen jedoch nicht mehr in einer gleichmäßigen Relation zum Verkehrswert bewegen.

Ungleichbehandlungen bei Erhebung der Grundsteuer nicht gerechtfertigt

Die aus der Überdehnung des Hauptfeststellungszeitraums folgenden flächendeckenden, zahlreichen und erheblichen Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens führten zu entsprechenden Ungleichbehandlungen bei der Erhebung der Grundsteuer. Eine ausreichende Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen ergebe sich weder allgemein aus dem Ziel der Vermeidung allzu großen Verwaltungsaufwands, noch aus Gründen der Typisierung und Pauschalierung. Das Ziel der Verwaltungsvereinfachung rechtfertige die durch die andauernde Aussetzung des Hauptfeststellungszeitpunkts verursachten Wertverzerrungen selbst dann nicht, wenn man die damit erzielte Entlastungswirkung als besonders hoch einschätzte. Der Verzicht auf regelmäßige Hauptfeststellungen in wiederkehrenden Abständen von sechs Jahren sei nicht das Ergebnis einer bewussten Vereinfachungsentscheidung des Gesetzgebers, die Elemente der Einheitsbewertung im Sinne einer Verschlankung korrigiere und dabei auch Einbußen an Detailgenauigkeit in Kauf nehme.

Gesetzgeber kann sich nicht auf hohen Verwaltungsaufwand berufen

Mit dem Verzicht breche der Gesetzgeber vielmehr ein zentrales Element aus dem System der Einheitsbewertung heraus, das für realitätsnahe Bewertungen unverzichtbar zur Gewinnung in ihrer Relation sei. Erweise sich eine gesetzliche Regelung als in substanziellem Umfang grundsätzlich gleichheitswidrig, könnten weder ein Höchstmaß an Verwaltungsvereinfachung noch die durch eine solche Vereinfachung weitaus bessere Kosten-/Nutzenrelation zwischen Erhebungsaufwand und Steueraufkommen dies auf Dauer rechtfertigen. Die Erkenntnis, eine in einem Steuergesetz strukturell angelegte Ungleichbehandlung könne nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand beseitigt werden, dürfe nicht zur Tolerierung des verfassungswidrigen Zustands führen. Es sei unerheblich, ob der Gesetzgeber mit der Aussetzung der Hauptfeststellung dieses Defizit bewusst in Kauf genommen oder ob er es lediglich nicht erkannt habe. Entscheidend sei die objektive Dysfunktionalität der verbleibenden Regelung.

Auch Typisierung und Pauschalierung kein Rechtfertigungsgrund

Danach komme es auch nicht darauf an, ob das Unterlassen der Bestimmung eines neuen Hauptfeststellungszeitpunkts lediglich als dauerhaftes Zuwarten innerhalb des Systems periodischer Hauptfeststellungen zu verstehen sei oder als konkludenter Ausdruck eines endgültigen Verzichts auf weitere Hauptfeststellungen überhaupt. Gründe der Typisierung und Pauschalierung rechtfertigten ebenfalls nicht die Aussetzung der Hauptfeststellung und ihre Folgen. Zwar dürfe der Steuergesetzgeber aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung typisieren und dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen, wenn die daraus erwachsenden Vorteile im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stünden, er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientiere und ein vernünftiger, einleuchtender Grund vorhanden sei. Diesen Voraussetzungen genügten im gegenwärtigen System die Einheitsbewertungen aber nicht.

Fortschreitende Wertverzerrung zum Regelfall geworden

Der Gesetzgeber orientiere sich mit dem Verzicht auf weitere Hauptfeststellungen nicht realitätsgerecht am typischen Fall. Die Wertverzerrungen seien keineswegs auf atypische Sonderfälle oder vernachlässigbare Korrekturen in Randbereichen beschränkt. Sie beträfen vielmehr die Wertfeststellung im Kern, seien in weiten Bereichen zum Regelfall geworden und nähmen mit der fortschreitenden Dauer des Hauptfeststellungszeitraums an Zahl und Ausmaß zu. Weder eine gemessen am Verkehrswert generelle Unterbewertung des Grundvermögens noch die vermeintlich absolut geringe Belastungswirkung der Grundsteuer könnten die Wertverzerrungen rechtfertigen. Es sei für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Gleichheitsverstößen in der Einheitsbewertung grundsätzlich auch ohne Belang, dass sie mittlerweile wegen ihrer weitgehenden Begrenzung auf das Recht der Grundsteuer wesentlich an allgemeiner Bedeutung verloren habe.

Wertverzerrungen nicht kompensierbar

Es handele sich bei der Grundsteuer auch in der Sache nicht um eine Steuer im vernachlässigbaren Größenbereich, zumal ihr Gesamtaufkommen auf 14 Milliarden Euro angestiegen und für die Kommunen von erheblicher Bedeutung sei. Vor allem sei die Grundsteuer angesichts der heute üblichen Höhe der kommunalen Hebesätze für viele Steuerpflichtige vielfach keineswegs unbedeutend, zumal sie jährlich und zeitlich unbegrenzt anfalle. Die Wertverzerrungen könnten entgegen der Auffassung der Bundesregierung und einiger Ländervertreter schließlich auch nicht durch Nachfeststellungen oder Wertfortschreibungen und auch nicht durch Anpassungen der Grundsteuerhöhe über die Hebesätze verfassungsrechtlich kompensiert werden.

Gesetzgeber muss neue Regelung treffen

Das Bundesverfassungsgericht hat die Fortgeltung der für verfassungswidrig befundenen Normen in zwei Schritten angeordnet. Zum einen gelten sie für die in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte und die darauf beruhende Erhebung von Grundsteuer und darüber hinaus in der Zukunft zunächst bis zum 31.12.2019. Bis zu diesem Zeitpunkt muss der Gesetzgeber eine Neuregelung treffen. Ohne diese Fortgeltungsanordnung würde ein enormer Verwaltungsaufwand entstehen, da ansonsten noch nicht bestandskräftige Einheitswertbescheide - und in deren Folge auch die darauf beruhenden Grundsteuerbescheide - in großer Zahl aufgehoben oder geändert und zumindest zum Teil rückabgewickelt werden müssten. Die Probleme wären dadurch verschärft worden, dass die Aufarbeitung dieser Fälle erst nach Inkrafttreten und Umsetzung der Neuregelung auf der Bewertungsebene und damit erst viele Jahre nach Verkündung dieses Urteils hätte erfolgen können.

Bisherige Normen sollen auch nach Verkündung der Neuregelung noch begrenzt fortgelten

Für die Zukunft bestünde angesichts der erheblichen finanziellen Bedeutung der Grundsteuer für die Kommunen die ernsthafte Gefahr, dass viele Gemeinden ohne die Einnahmen aus der Grundsteuer in gravierende Haushaltsprobleme gerieten. Die Hinnahme des Vollzugs solcher Einheitswertbescheide sei den Betroffenen auch deshalb zumutbar, weil die Belastung mit einer Grundsteuer dem Grunde nach durch die Verfassung legitimiert und traditionell "schon immer" vorgesehen sei. Sobald der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen habe, sollen die beanstandeten Bewertungsregeln noch für weitere fünf Jahre fortgelten, aber nicht länger als bis zum 31.12.2024. Die ungewöhnliche Anordnung der Fortgeltung nach der Verkündung der Neuregelung sei durch die besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grundsteuer geboten und von daher ausnahmsweise gerechtfertigt.

Fortgeltung durch enormen Umsetzungsaufwand gerechtfertigt

Zur bundesweiten Neubewertung aller Grundstücke bedürfe es eines außergewöhnlichen Umsetzungsaufwandes im Hinblick auf Zeit und Personal. Vor diesem Hintergrund sei die Fortgeltung der alten Rechtslage für weitere fünf Jahre geboten aber auch ausreichend, um im Falle einer Neuregelung die dadurch geschaffenen Bewertungsbestimmungen umzusetzen und so während dieser Zeit die ansonsten drohenden gravierenden Haushaltsprobleme zu vermeiden. Für Kalenderjahre ab 2025 dürfe eine Belastung mit Grundsteuer allein auf der Basis bestandskräftiger Einheitswert- oder Grundsteuermessbescheide aus vorausgegangenen Jahren nicht mehr erfolgen.

Neuregelung bereits in Planung

Eine Neuregelung der Grundsteuer ist seit Langem geplant, wurde vor der letzten Bundestagswahl jedoch nicht mehr beschlossen. Die große Koalition hat eine Reform vereinbart. Es gibt mehrere Modelle mit unterschiedlich großem Aufwand bei der Neufestsetzung. Eine Neuregelung könnte je nach Art von Grundstück und Immobilie zu deutlichen Veränderungen der Steuerlast führen. Insgesamt soll das Aufkommen den Plänen zufolge aber etwa gleich bleiben.

BVerfG, Urteil vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14

Redaktion beck-aktuell, 10. April 2018.