Klima statt Corona: BVerfG erlaubt fürs Erste Haushaltsänderung

Das Bundesverfassungsgericht lässt vorerst zu, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder für den Klimaschutz nutzt. Es lehnte einen Eilantrag der Union im Bundestag ab, die Übertragung der Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro im Nachtragshaushalt 2021 zu stoppen. Während die Ampel-Koalition die Entscheidung begrüßte, sprach die Union von einem "Warntag" für Bundesfinanzminister Christian Lindner.

Nicht benötigte Aufstockung auf EKF übertragen

Der Bundeshaushalt 2021 sah ursprünglich eine Kreditermächtigung in Höhe von etwa 180 Milliarden Euro vor. Mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wurde die Kreditermächtigung als Reaktion auf die Corona-Pandemie für das Haushaltsjahr 2021 um weitere 60 Milliarden Euro auf insgesamt etwa 240 Milliarden Euro aufgestockt (Nachtragshaushaltsgesetz 2021). Im Verlauf des Haushaltsjahres 2021 zeigte sich, dass die Aufstockungen nicht benötigt wurden. Vor diesem Hintergrund entstand im politischen Raum die Idee, die mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumte Kreditermächtigung in der vollen Höhe auf den Energie- und Klimafonds (EKF) zu übertragen.

Mitglieder der Unionsfraktion beantragen Normenkontrolle

197 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages haben daraufhin ein Normenkontrollverfahren eingeleitet und beantragen, festzustellen, dass die vorgesehene Übertragung - geregelt in Art. 1 und Art. 2 des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 - mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist. Die Antragsteller rügen konkret einen Verstoß gegen Art. 109 Abs. 3 GG, Art. 115 Abs. 2 GG. Zudem verfehle die Vorhaltung von Kreditermächtigungen im EKF die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung und den Einsatz von Sondervermögen. Die Ansätze einer globalen Mehreinnahme und einer globalen Minderausgabe seien zu hoch und verstießen gegen das parlamentarische Budgetrecht gemäß Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Schließlich trage die Verkündung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst nach Abschluss des Haushaltsjahres 2021 den verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätzen nicht Rechnung.

Eilantrag bleibt ohne Erfolg

Das BVerfG weist den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet zurück. Es begründet seine Entscheidung damit, dass die Folgen einer einstweiligen Anordnung zu schwer gewesen wären, sollte sich später im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Änderungen doch verfassungskonform seien. Als Beispiel nannte der Zweite Senat, dass die sogenannte EEG-Umlage dann womöglich nicht mehr aus den umgeschichteten Mitteln finanziert werden könnte, was mit einer Strompreiserhöhung und Mehrbelastungen für Verbraucher und Unternehmen verbunden wäre. Auch wolle die Bundesregierung Planungssicherheit für private Investitionen gewährleisten, die von der rechtssicheren Verfügbarkeit öffentlicher Fördergelder abhingen. Ferner könnten Programme für effiziente Gebäude, elektrisch betriebene Fahrzeuge oder zur Dekarbonisierung der Industrie gefährdet werden, hieß es. Ziele wie die CO2-Reduktion könnten verfehlt werden. "Wegen der Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz müsste hier über alternative Programme nachgesteuert werden, was neuerliche Haushaltsbelastungen mit sich bringen könnte."

Folgenabwägung fällt vorerst zugunsten der Verbraucher aus

Im anderen Fall - wenn erstmal alles wie geplant weiterläuft - würde der Bundeshaushalt mit maximal 60 Milliarden Euro belastet. Es sei davon auszugehen, dass diese Summe nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschöpft werde, teilte das Gericht mit. In der Abwägung seien die Folgen hier weniger schwer. Denn: "Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, käme dies faktisch einer Außervollzugsetzung des angegriffenen Gesetzes gleich", heißt es in dem Beschluss vom 22. November. "Die hiermit verbundenen wirtschaftlichen Folgen träfen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen unmittelbar." Das BVerfG sieht aber durchaus die Möglichkeit, dass in dem Fall gegen verfassungsrechtliche Vorgaben an eine notlagenbedingte Kreditaufnahme des Bundes verstoßen wurde. Gerade mit Blick auf die Schuldenbremse müsse etwa geprüft werden, welche Prinzipien für die Ausnahmeregelung bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen gelten und ob sie durch sogenannte Sondervermögen umgangen werden könnten. "Von verfassungsrechtlicher Bedeutung könnte schließlich auch sein, dass die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst im Jahr 2022 erfolgte."

Lindner begrüßt Entscheidung - Union mit Blick auf Hauptsacheverfahren zuversichtlich

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte bei der Vorstellung der Klage betont, diese richte sich nicht gegen ausreichende Mittel zur Bewältigung der Klimakrise. Die Union wende sich ausschließlich gegen eine haushälterische Maßnahme. Sie stelle nicht den Klima- und Transformationsfonds an sich in Abrede, sondern die Finanzierung. Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sagte nach der Entscheidungsverkündung, die Union bleibe zuversichtlich, was den Ausgang der Hauptsache angehe. Das Gericht habe "sehr dezidiert Fragen und auch Zweifel" erkennen lassen. Finanzminister Lindner (FDP) sah das naturgemäß anders und sagte: "Karlsruhe hat eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem Land gesendet." Dass das Gericht höchstrichterlich die Schuldenbremse konkretisieren wolle, sei entscheidend für deren weitere Anwendung - "sowohl im Bund als auch in den Ländern".

BVerfG, Beschluss vom 22.11.2022 - 2 BvR 827/21

Redaktion beck-aktuell, 8. Dezember 2022 (ergänzt durch Material der dpa).

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