Durchgefallener Polizeianwärter muss Möglichkeit auf Rechtsschutz haben
polizei_anwärter_hut_mütze_CR Hauke-Christian Dittrich dpa
© Hauke-Christian Dittrich / dpa
polizei_anwärter_hut_mütze_CR Hauke-Christian Dittrich dpa

Einem Polizeianwärter, der bei einer Prüfung endgültig durchgefallen und deshalb kraft Gesetzes aus seinem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen ist, darf einstweiliger Rechtsschutz gegen die Entlassung nicht kategorisch versagt werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 09.06.2020 entschieden und das Oberverwaltungsgericht Bautzen gerüffelt, das die gravierenden Nachteile für den Beschwerdeführer komplett außer Acht gelassen und dadurch dessen Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt habe.

Endgültig bei Prüfung durchgefallener Polizeianwärter kraft Gesetzes entlassen

Der Beschwerdeführer absolvierte als Beamter auf Widerruf den polizeilichen Vorbereitungsdienst. Im September 2019 teilte die Hochschule dem Beschwerdeführer mit, dass er die "Kontrollübung Pistole" endgültig nicht bestanden habe und sein Studium mit Ablauf des Tages der schriftlichen Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens ende. Dagegen legte der Beschwerdeführer Widerspruch ein. Gleichzeitig begehrte er beim Verwaltungsgericht per Eilantrag, die Hochschule zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten. Das VG lehnte den Eilantrag ab.

OVG versagte pauschal Eilrechtsschutz gegen Entlassung

Das OVG wies die Beschwerde dagegen zurück. Der Beschwerdeführer habe gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG keinen Anspruch auf eine vorläufige Fortsetzung der Ausbildung. Nach dieser Vorschrift sei der Beamte auf Widerruf mit Ablauf des Tages aus dem Beamtenverhältnis entlassen, an dem ihm das endgültige Nichtbestehen einer vorgeschriebenen Zwischenprüfung schriftlich bekannt gegeben werde. Ob die Prüfungsentscheidung rechtmäßig oder bestandskräftig sei, spiele für die Beendigung des Beamtenverhältnisses keine Rolle. Daher seien auch die Erfolgsaussichten der prüfungsrechtlichen Hauptsache und die dem Beschwerdeführer entstehenden Nachteile im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens irrelevant. Die Laufbahnausbildung könne deshalb weder innerhalb noch außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf vorläufig fortgesetzt werden. Gegen den OVG-Beschluss legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein.

BVerfG: Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und den Beschluss des OVG aufgehoben sowie das Verfahren an das Gericht zurückverwiesen. Der Beschluss verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO seien die Fachgerichte mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dem Antragsteller anderenfalls eine erhebliche Verletzung in seinen Rechten drohe, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könne. Etwas anderes gelte nur dann, wenn ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

Bereits erhebliche Ausbildungsverzögerung begründet gravierenden Nachteil

Ein Eilantrag auf vorläufige Fortsetzung einer polizeilichen Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf habe besondere verfassungsrechtliche Bedeutung. Denn die Beendigung einer Ausbildung, die für den Zugang zu einem staatlichen Beruf erforderlich sei, beeinträchtige das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern bei gleicher Eignung gemäß Art. 12 Abs. 1, 33 Abs. 2 GG. Durch die Entlassung werde dem Polizeianwärter verwehrt, die Ausbildung fortzusetzen, sie abzuschließen und den gewählten staatlichen Beruf zu ergreifen. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass sich jedenfalls dann besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes ergeben, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führe. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar. Bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene seien darüber hinaus gehalten, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet sei.

Pauschale Versagung des Eilrechtsschutzes verkennt Tragweite des Grundrechts

Das BVerfG moniert, dass der OVG-Beschluss diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht werde. Bei seiner Auslegung der Vorschriften zur Entlassung von Beamten auf Widerruf kraft Gesetzes bei endgültigem Nichtbestehen einer Prüfung verkenne es Bedeutung und Tragweite der Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, indem es sich einer Prüfung der entlassungsauslösenden Prüfungsentscheidung sowie der dem Beschwerdeführer entstehenden Nachteile vollständig verschließe und so dem Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz in jedweder Form kategorisch versage.

Rechtsschutzversagung trotz gravierender, irreparabler Nachteile

Dem OVG zufolge könne eine einstweilige Anordnung selbst dann nicht ergehen, wenn existenzielle Nachteile eintreten. Diese pauschale Rechtsschutzverweigerung falle insbesondere in Fällen der vorliegenden Art besonders ins Gewicht, da die Beendigung des Beamten- und Ausbildungsverhältnisses grundsätzlich zu einer Ausbildungsverzögerung führe. Den Polizeianwärtern würden mithin gravierende und - jedenfalls hinsichtlich der Ausbildungsverzögerung - irreparable Nachteile zugemutet. Zwingende Gründe dafür nenne das OVG nicht. Sie drängten sich auch nicht ohne Weiteres auf.

Fehler-Vielfalt bei Prüfungsentscheidungen verkannt

Darüber hinaus verkenne das OVG die Vielgestaltigkeit möglicher Fehler der Prüfungsentscheidung. Jedenfalls in Kombination mit der kategorischen Außerachtlassung möglicher schwerer Nachteile könne die zugrunde gelegte gesetzgeberische Intention einen derart undifferenzierten und völligen Ausschluss einer Prüfung der Erfolgsaussichten der prüfungsrechtlichen Hauptsache nicht rechtfertigen.

BVerfG, Beschluss vom 09.06.2020 - 2 BvR 469/20

Redaktion beck-aktuell, 23. Juni 2020.