"Data-Mining" nach dem Antiterrordateigesetz teilweise verfassungswidrig
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Seit 2015 dürfen Sicherheitsbehörden die Antiterrordatei systematisch auswerten, um neue Erkenntnisse zu erlangen. Dem Bundesverfassungsgericht geht das in Teilen zu weit. Mit Beschluss vom 10.11.2020 hat es § 6a Abs. 2 Satz 1 Antiterrordateigesetz (ATDG) für nichtig erklärt. Durch die Norm werde der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 11 Abs. 1 GG verletzt.

Historie des § 6a ATDG: "Erweiterte projektbezogene Datennutzung"

Im Mittelpunkt des im Jahr 2006 in Kraft getretenen "Gesetzes zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern" stand die Schaffung der Antiterrordatei, einer gemeinsamen Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die in ihrem Kern der Informationsanbahnung dient. Im Regelfall erlaubt das ATDG den Sicherheitsbehörden bei einer Abfrage zu Personen einen unmittelbaren Zugriff lediglich auf die in der Antiterrordatei zu ihrer Identifizierung gespeicherten Grunddaten wie Name, Geschlecht und Geburtsdatum. Der Zugriff erstreckt sich - außer in Eilfällen und insoweit nur unter engen Voraussetzungen - jedoch nicht auch auf die in der Datei gespeicherten erweiterten Grunddaten wie Bankverbindungen, Familienstand und Volkszugehörigkeit.

Vorschrift zum "Data-Mining" nach BVerfG-Urteil eingefügt

Nachdem das BVerfG mehrere Vorschriften des Gesetzes für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hatte (1 BvR 1215/07), änderte der Gesetzgeber die vom BVerfG beanstandeten Vorschriften und ergänzte das Antiterrordateigesetz um die Vorschrift des § 6a ATDG. § 6a ATDG ermächtigt die Sicherheitsbehörden erstmalig zur erweiterten Nutzung von in der Antiterrordatei gespeicherten Datenarten, und zwar - über die Informationsanbahnung hinaus - auch zur operativen Aufgabenwahrnehmung (sogenanntes "Data-Mining"). § 6a ATDG gestattet damit die unmittelbare Nutzung der Antiterrordatei auch zur Generierung neuer Erkenntnisse aus den Querverbindungen der gespeicherten Datensätze.

Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung

Mit nunmehr ergangenem Beschluss stellt das BVerfG fest, dass die Regelung des § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG nicht den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen der hypothetischen Datenneuerhebung ("informationelles Trennungsprinzip") genügt. Aufgrund der gesteigerten Belastungswirkung einer erweiterten Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste müsse die Regelung dem Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern dienen und auf der Grundlage präzise bestimmter und normenklarer Regelungen an hinreichende Eingriffsschwellen gebunden sein. Insbesondere müsse eine wenigstens hinreichend konkretisierte Gefahr vorliegen. Diesen Anforderungen genüge § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG nicht, während § 6a ATDG im Übrigen diesen Erfordernissen entspreche.

BVerfG, Beschluss vom 10.11.2020 - 1 BvR 3214/15

Redaktion beck-aktuell, 11. Dezember 2020.