CAS bestätigte Dopingsperre gegen Pechstein - EMGR rügte EMRK-Verletzung
Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein nahm im Februar 2009 an der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft in Hamar (Norwegen) teil. Mit ihrer Wettkampfmeldung verpflichtete sie sich zur Einhaltung der Anti-Doping-Regeln des internationalen Fachverbandes für Eisschnelllauf, der International Skating Union (ISU), und unterzeichnete eine Schiedsvereinbarung zugunsten des CAS. Bei der Weltmeisterschaft wurden Pechstein Blutproben entnommen, die eine Erhöhung bestimmter Blutwerte aufwiesen. Die Disziplinarkommission der ISU sperrte Pechstein daraufhin wegen unerlaubten Blutdopings für zwei Jahre. Nach einer ergänzenden Mitteilung des deutschen Eisschnelllauf-Verbandes war Pechstein damit auch von organisierten Trainingsmaßnahmen sowie von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Vancouver/Kanada im Februar 2010 ausgeschlossen. Der Internationale Sportgerichtshof CAS bestätigte die Sperre. Nach den maßgeblichen CAS-Statuten hatten die Parteien keinen Anspruch auf Öffentlichkeit der Verhandlung. Einem Antrag Pechsteins auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung war der CAS nicht gefolgt und hatte nicht-öffentlich verhandelt. Gegen den CAS-Schiedsspruch von Pechstein beim Schweizer Bundesgericht eingelegte Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte auf eine Individualbeschwerde Pechsteins 2018 hin fest, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK mangels einer öffentlichen Verhandlung vor dem CAS verletzt sei.
BGH hielt Schiedsvereinbarung für wirksam und Klage daher für unzulässig
Pechstein hatte zuvor bereits beim LG München I Klage gegen den deutschen Verband und gegen die ISU auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Dopingsperre sowie auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Das LG wies die Klage ab. Das OLG München bestätigte die Unzulässigkeit des Feststellungsantrags, stellte aber im Übrigen die Zulässigkeit der Klage fest. Die zwischen den Parteien getroffene Schiedsvereinbarung stehe dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht entgegen. Die Schiedsvereinbarung sei nichtig. Die vonder ISU hiergegen beim BGH eingelegte Revision hatte Erfolg. Die Klage sei wegen der Schiedsvereinbarung unzulässig. Der CAS sei ein "echtes" Schiedsgericht im Sinn dieser Vorschriften und die Schiedsvereinbarung wirksam. Es stelle keinen Missbrauch der Marktmacht dar, wenn ein Sportverband die Teilnahme eines Athleten an einem Wettkampf von der Unterzeichnung einer Schiedsvereinbarung abhängig mache, die gemäß den Anti-Doping-Regeln den CAS als Schiedsgericht vorsehe. Die Verfahrensordnung des CAS enthalte ausreichende Garantien für die Wahrung der Rechte der Athleten. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte Pechstein unter anderem eine Verletzung ihres Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
BVerfG: BGH-Urteil verletzt Justizgewährungsanspruch
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat das BGH-Urteil aufgehoben und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an das OLG zurückverwiesen. Das BGH-Urteil verletze Pechstein in ihrem Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Der Justizgewährungsanspruch sei bei der Prüfung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach § 19 GWB a. F. zu berücksichtigen. Ein Verzicht auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung im Bereich des Sports sei nicht uneingeschränkt möglich. Zwar sei sie zur Gewährleistung einer international einheitlichen Sportgerichtsbarkeit und zur Bekämpfung des Dopings im internationalen Sportwettbewerb erforderlich und als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sowohl der allgemeine Justizgewährungsanspruch selbst als auch der Schutz der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie setzten aber der Abdingbarkeit im Weg einer Schiedsvereinbarung Grenzen. Damit der Staat schiedsrichterliche Entscheidungen anerkennen und in Ausübung seiner Hoheitsgewalt vollstrecken könne, müsse er dafür sorgen, dass das schiedsrichterliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleistet und rechtsstaatlichen Mindeststandards entspricht.
Unzureichende Abwägung bei Prüfung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung
Die danach gebotenen Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des von der konkreten Schiedsabrede erfassten schiedsrichterlichen Verfahrens könnten dabei nicht ohne Ansehung der tatsächlichen Wahlfreiheit des der Schiedsabrede Unterworfenen beurteilt werden. Habe einer der beiden Vertragspartner ein solches Gewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, sei es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt. Kollidierende Grundrechtspositionen seien hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Die Abwägung des BGH zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Vertragsfreiheit und der Verbandsautonomie bei der Prüfung, ob die Schiedsvereinbarung gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot des § 19 GWB a. F. verstoße, halte den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand.
Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt
Der BGH habe nicht berücksichtigt, dass die Statuten des CAS keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung vorsahen, und damit die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des EGMR verkannt. In der Folge habe er auch den Gewährleistungsgehalt des Justizgewährungsanspruchs nicht mit dessen vollem Gewicht in die Abwägung eingestellt. Das BVerfG betont die Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen als wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, der in Art. 6 Abs. 1 EMRK ergänzend normiert sei. In der Rechtsprechung des EGMR sei zwar anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht in allen Fällen eine öffentliche Verhandlung voraussetzt und auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet werden kann. Daher könnten freiwillige Schiedsverfahren regelmäßig auch nicht-öffentliche Verhandlungen vorsehen. Die Voraussetzungen, unter denen von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden könne, hätten im Streitfall nach der Entscheidung des EGMR indes nicht vorgelegen.
Frage konkreter Gebotenheit mündlicher Verhandlung in Pechstein-Verfahren irrelevant
Bei dem Verstoß gegen den rechtsstaatlich zwingend zu beachtenden Öffentlichkeitsgrundsatz handele es sich auch nicht nur um einen Verstoß gegen eine bloße Verfahrensklausel. Daher komme es auch nicht darauf an, ob in Pechsteins Verfahren konkret eine öffentliche Verhandlung geboten sei oder von einer solchen nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR abgesehen werden könnte. Maßgeblich sei, dass die durch die Schiedsgerichtsvereinbarung in Bezug genommenen Statuten des CAS einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung auch für solche Fälle nicht vorsahen, in denen eine öffentliche Verhandlung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 EMRK zwingend geboten sei. Damit genüge die für die Wirksamkeit der hier gegenständlichen Schiedsvereinbarung maßgebliche normative Ausgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens insgesamt weder den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch den insoweit korrespondierenden Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs des Betroffenen. Ob die heutige veränderte Verfahrensordnung diesen Grundsatz gewährleistet, musste das BVerfG nicht entscheiden.
Pechstein "überglücklich"
Claudia Pechstein hat mit Erleichterung und Genugtuung auf den Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde reagiert. "Ich wurde gedemütigt und öffentlich hingerichtet. Deshalb verspüre ich jetzt eine unglaubliche Erleichterung, meinen Fall vor einem deutschen Gericht unter rechtsstaatlichen Regeln verhandeln zu dürfen", sagte die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin am Dienstag. "Auch wenn ich in den zurückliegenden 13 Jahren nach der Unrechtssperre durch die ISU schwere Krisen und harte Rückschläge erleiden musste, haben mein Team und ich immer an die Gerechtigkeit geglaubt. Ich bin überglücklich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts", sagte Pechstein. Die heute 50-Jährige hat Doping immer bestritten. Im Nachhinein war eine vererbte Blutanomalie festgestellt worden. Man habe nach zehn Instanzen doch noch der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen, sagte Anwalt Thomas Summerer, der bei der Schadensersatzklage federführend ist. Zugleich rügte er noch einmal die Verfahrensweise am Internationalen Sportgerichtshof Cas mit Sitz in Lausanne. "Der Zwang für Athletinnen und Athleten, sich bei einem fragwürdigen Schiedsgericht in der Schweiz hinter verschlossenen Türen verteidigen zu müssen, ist endgültig vorbei", sagte der Münchner.