Vollstreckungsanordnung im EZB-Verfahren
Der Streit um den Anleihekauf durch die EZB ist um eine Facette reicher. Hintergrund ist ein Antrag Peter Gauweilers auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung gegenüber Bundesregierung und Bundesbank. Diese sollen in Umsetzung des umstrittenen BVerfG-Urteils vom 05.05.2020 (2 BvR 859/15 u.a.) zur Einwirkung auf die EZB angehalten werden. Das Urteil zu den Anleihekäufen, hier zum Kauf von Staatsanleihen (Public Sector Purchase Programme - PSPP), war verbreitet als Kampfansage an den EuGH wahrgenommen worden, der zuvor die Anleihekäufe abgesegnet hatte. Aufgrund der Unabhängigkeit der EZB blieb auch strittig, inwieweit der Bund auf die Zentralbank einwirken könnte, um die Geldpolitik hier auf eine neue Grundlage zu stellen. Verbreitet wurde für ein Zugehen auf den EuGH geworben. Ein mit dem Antrag eingereichtes Ablehnungsgesuch gegen Frau Wallrabenstein war erfolgreich.
Aussagen aus Interview mit der F.A.S.
Einen Tag vor ihrer Ernennung waren am 21.06.2020 zwei Beiträge in der Print- und Onlineausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.) unter den Titeln "New Kids in Karlsruhe" und "Wallrabenstein sieht Lösungen im Streit zwischen Karlsruhe und EZB" erschienen. Diese beruhten teilweise auf einem nach ihrer Wahl am 15.05. geführten Interview. In diesem hatte sie sich laut den Beiträgen konkret zur Forderung nach einem neuen Ratsbeschluss der Zentralbank geäußert: "Ich weiß nicht, ob es letztlich so wichtig ist, dass die verlangte Erklärung der EZB in einem neuen Beschluss des Rates ergeht" und "Was zählt, ist eine bessere Transparenz der Entscheidungen". Laut der Zeitung sagte sie weiter: "Wenn Politik, Bundesbank und EZB ,in die richtige Richtung' gingen, könnte es im Interesse des Gerichts liegen zu sagen: ,Das ist schon in Ordnung. Wir sehen, dass unsere Forderungen ernst genommen werden'" Sie warb demnach für eine Beilegung des Streits: "Wenn man sich streitet, sollte man ja auch irgendwann Entschuldigung sagen und Schwamm drüber, lasst uns nach vorne blicken." In ihrem Werdegang beschäftigte sich Frau Wallrabenstein mit europäischer Sozialpolitik und Migration. Im Interview gab sich privat als überzeugte Europäerin zu erkennen: "Ich fand es gut, als die Grenzen in Europa offen waren, und ich fand es hart, als sie wegen Corona geschlossen werden mussten. Ich habe rein politisch nichts gegen ein stärkeres Europa."
Kein "Schwamm-drüber"
Der Zweite Senat um die Vizepräsidentin Doris König sah die hierauf gestützten Bedenken des Antragstellers als nachvollziehbar an. Notwendig sei eine Gesamtwürdigung unter besonderer Beachtung der zeitlichen Zusammenhänge. Hier sei Frau Wallrabenstein zwar noch nicht ernannt gewesen, aber dies habe festgestanden. Entsprechend sei sie als "designierte Richterin" bezeichnet worden und habe sich teils aus dieser Perspektive geäußert. Das Verfahren zu den Anleihekäufen sei auch nicht abgeschlossen gewesen. Zwar habe das BVerfG am 05.05. geurteilt und die Umsetzungsfrist sei erst am 05.08.2020 abgelaufen, aber aufgrund der Hintergründe und der eindeutigen Ankündigungen des Antragstellers sei eine Fortsetzung des Verfahrens "evident" zu erwarten gewesen. Inhaltlich konnten die Äußerungen ihrer Karlsruher Kollegen dahingehend verstanden werden, dass sie einen tragenden Punkt des Urteils - nämlich den Umfang der Einwirkung auf die EZB - ablehne und ggf. nicht umsetzen oder abschwächen ("Schwamm drüber") wolle. Dies könne die Sorge begründen, dass sie sich schon festgelegt habe.
Andere Maßstäbe als bei Harbarth?
Auf Twitter wurden zum Teil Parallelen zum Fall des jetzigen Präsidenten Stephan Harbarth im Bezug auf die Entscheidung zu Kinderehen gesehen. Harbarth war seinerzeit als Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag an der Verabschiedung der gesetzlichen Regelung maßgeblich beteiligt gewesen und hatte seine Senatskollegen angefragt, ob Bedenken gegen seine Mitwirkung an dem Gerichtsverfahren bestünden. Damals hatte der I. Senat auf § 18 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG hingewiesen - keine Vorbefassung bei Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren - und ihm attestiert, dass er sich lediglich politisch und nicht verfassungsrechtlich zur Sache geäußert habe. Allerdings war auch dieser Beschluss nicht einstimmig ergangen. Ein Nutzer sah als möglicherweise entscheidenden Faktor im jetzigen Fall die zeitliche Nähe zur Nominierung und die von ihm als "problematisch" empfundene Formulierung "Schwamm drüber" an.