Grünen-Fraktion verlangte Auskünfte zu Deutscher Bahn AG und zu Finanzmarktaufsicht
2010 stellten mehrere Grünen-Abgeordnete des Deutschen Bundestages und die Grünen-Fraktion (nachfolgend Antragsteller) mehrere Anfragen zur Deutschen Bahn AG (DB) und zur Finanzmarktaufsicht. Die Antragsteller verlangten in erster Linie Informationen über Gespräche und Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der DB über Investitionen in das Schienennetz, über ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten zur Wirtschaftlichkeitsberechnung des Projektes "Stuttgart 21" sowie über Zugverspätungen und deren Ursachen. Darüber hinaus richteten die Antragsteller im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise Fragen zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber mehreren Banken in den Jahren 2005 bis 2008 an die Bundesregierung.
Unzureichende Auskunftserteilung durch Bundesregierung gerügt
Aus Sicht der Antragsteller beantwortete die Regierung sämtliche Anfragen nur unzureichend. Deshalb begehrten sie im Organstreitverfahren die Feststellung, dass die Bundesregierung die von ihnen erbetenen Auskünfte unter Berufung auf verfassungsrechtlich nicht tragfähige Erwägungen verweigert oder nur unzureichend beantwortet und sie sowie den Deutschen Bundestag in den Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat.
BVerfG: Regierung hat ihrer Antwortpflicht nicht genügt
Die Anträge waren überwiegend erfolgreich. Die Bundesregierung habe die Fragen zur Deutschen Bahn AG und zur Finanzmarktaufsicht ungenügend beantwortet und dadurch Rechte der Antragsteller und des Deutschen Bundestages aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Das BVerfG betont dabei die Bedeutung des parlamentarischen Informationsrechts. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung könne das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Zwar gebe es berechtigte Geheimhaltungsinteressen. Dann sei aber eine Beantwortung der Anfragen unter Anwendung der Geheimschutzordnung zu prüfen.
Regierung für DB verantwortlich
Die Fragen der Antragsteller zur Deutschen Bahn AG bezögen sich auf Angelegenheiten, die in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung – als eine Grenze des parlamentarischen Informationsrechts – fielen. Wie das BVerfG erläutert, sei die Bundesregierung für die Tätigkeiten von mehrheitlich oder vollständig in der Hand des Bundes befindlichen Unternehmen in Privatrechtsform verantwortlich. Dies ergebe sich aus der Legitimationsbedürftigkeit erwerbswirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand. Dabei sei die Verantwortlichkeit der Regierung nicht auf die ihr gesetzlich eingeräumten Einwirkungs- und Kontrollrechte beschränkt. Beim derzeitigen Stand der Verflechtung von Staat und Deutscher Bahn AG sei daher der Verantwortungsbereich der Bundesregierung im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts eröffnet. Denn solange der Bund eine Gewährleistungsverantwortung sowohl für die Schienenwege als auch für die Verkehrsangebote trage und zugleich als Alleineigentümer der Deutschen Bahn AG deren Geschäftspolitik zumindest bis zu einem gewissen Grade beeinflussen könne, könne er nicht von jedweder Verantwortung für die Unternehmensführung freigestellt werden.
Kein Berufen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der DB – DB nicht grundrechtsfähig
Grundrechte der Deutschen Bahn AG, namentlich der Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG), stehen laut BVerfG der Auskunftserteilung nicht entgegen. Juristischen Personen des Privatrechts, deren Anteile sich – wie bei der Deutschen Bahn AG – ausschließlich in den Händen des Staates befänden, fehle die Grundrechtsfähigkeit im Hinblick auf materielle Grundrechte. Der Umstand, dass künftig hinter der Deutschen Bahn AG private Anteilseigner, also grundrechtsfähige natürliche Personen, stehen könnten, zeitige keine Vorwirkung auf die derzeitige Rechtslage. Auch Art. 87e GG statte die Deutsche Bahn AG nicht mit eigenen Rechten gegenüber anderen staatlichen Stellen aus. Ihr werde kein abwehrrechtlicher Status gegenüber Einwirkungen des Staates auf ihre Unternehmensführung verschafft.
Regierung durfte sich nicht auf einfachrechtliche Verschwiegenheitspflichten oder Vertraulichkeitsvereinbarungen berufen
Laut BVerfG hat die Bundesregierung ihrer Antwortpflicht in Bezug auf die Anfragen "Fulda-Runden der Deutschen Bahn AG und Finanzierungsvereinbarungen zu Bedarfsplanprojekten" (BT-Drs. 17/3757) nicht genügt, da sie die Antwort nicht durch Verweis auf die Nichtexistenz jährlich und einheitlich erstellter Listen, die Nichtexistenz von Statistiken zur Höhe der vom Bund finanzierten zuwendungsfähigen Kosten sowie die aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten verweigern könne. Auch die Antwortverweigerung auf die Kleine Anfrage zur Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Projekt "Stuttgart 21" (BT-Drs. 17/3766) habe die Regierung nicht mit Verweis auf die berufsständische Verschwiegenheitspflicht der Wirtschaftsprüfer nach § 43 der WiPrO sowie der mit der Deutschen Bahn AG abgeschlossenen Vertraulichkeitsvereinbarung begründen können. Vertraglich vereinbarte oder einfachgesetzliche Verschwiegenheitsregelungen seien für sich nicht geeignet, das Frage- und Informationsrecht zu beschränken. In Bezug auf die Kleine Anfrage "Zugverspätungen" (BT-Drs. 17/3149) habe die Regierung die Antwort nicht mit der Begründung verweigern dürfen, die erfragten Informationen gehörten vollständig in den Bereich der Geschäftstätigkeiten der Deutschen Bahn AG. Denn aufgrund der 100%-igen Beteiligung des Bundes falle die unternehmerische Tätigkeit der Deutschen Bahn AG in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung.
Regierung für Finanzmarktaufsicht verantwortlich
Anschließend geht das BVerfG auf die Anfragen zur Finanzmarktaufsicht ein. Dabei stellt es zunächst fest, dass sich der Verantwortungsbereich der Bundesregierung auf die Finanzmarktaufsicht und auf von ihr beherrschte Finanzinstitute erstrecke, sodass sich der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten hierauf beziehen könne.
Funktionsfähigkeit der Finanzmarktaufsicht kann Antwortpflicht beschränken
Allerdings könne die Funktionsfähigkeit staatlicher Aufsicht über Finanzinstitute als Belang des Staatswohls die Antwortpflicht der Bundesregierung beschränken. Zwar bedürfe es zur Geltendmachung eines Geheimhaltungsgrundes keiner im Einzelfall belegbaren Gefährdung der Kontroll- und Aufsichtstätigkeit der Behörde.
Bloße Befürchtung schwindender Kooperation reicht nicht aus
Erschwerungen der behördlichen Aufgabenwahrnehmung oder nicht auf konkreten Tatsachen beruhende Annahmen eines möglichen Rückgangs der Kooperationsbereitschaft und der freiwilligen Mitarbeit der beaufsichtigten Unternehmen als Folge der Bekanntgabe der Informationen genügten aber nicht. Sollten die gesetzlichen Befugnisse der BaFin nicht ausreichen, um ihrer Aufgabe als Aufsichtsbehörde hinreichend nachzukommen, und sollte sie daher tatsächlich zwingend auf die freiwillige und überobligatorische Preisgabe von Informationen durch die beaufsichtigten Finanzinstitute angewiesen sein, so wäre hier jedenfalls gesetzgeberisch nachzusteuern.
Aspekt der Finanzmarktstabilität begrenzt parlamentarischen Informationsanspruch
Weiter führt das BVerfG aus, dass die Stabilität des Finanzmarktes und der Erfolg staatlicher Stützungsmaßnahmen in der Finanzkrise als Belange des Staatswohls dem parlamentarischen Informationsanspruch Grenzen setzten. Charakteristisch für den Finanzmarkt sei, dass Fehlentwicklungen, denen die Aufsicht vorbeugen solle, nicht nur das einzelne Institut, sondern in besonderem Maße den Markt insgesamt betreffen.
Parlamentarische Kontrolle kann aber nicht langfristig ausgeschlossen werden
Trotz des Einschätzungs- und Prognosespielraums der Bundesregierung hinsichtlich der Abgeschlossenheit der Finanzkrise und der in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen sowie des Ausmaßes der mit einer Offenlegung einhergehenden Beeinträchtigung, insbesondere der ins Feld geführten irrationalen Reaktionen der hoch sensiblen Märkte, könne dies nicht dazu führen, dass Transparenz und demokratische Kontrolle während der Finanzkrise uneingeschränkt hintenan stehen müssen und gleichzeitig dieses Argument auf lange Zeit fortwirkt. Allerdings habe der Bund im Zuge der Finanzkrise unter Aufwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe Zuwendungen an Finanzinstitute vergeben, um das Banken- und Finanzsystem zu stabilisieren und vor einer existenzgefährdenden Entwicklung zu bewahren. Diese Zielsetzung könnte konterkariert werden, wenn ein Institut durch Preisgabe sensibler Informationen wirtschaftliche Nachteile erleidet oder gar in seiner Existenz bedroht wird.
Anfragen zur IKB/Finanzmarktaufsicht ungenügend beantwortet
Dem BVerfG zufolge hat die Bundesregierung ihrer Antwortpflicht auch in Bezug auf die Anfragen zur IKB/Finanzmarktaufsicht (BT-Drs. 17/4350) nicht genügt. Sie könne mit dem schlichten Verweis auf vertragliche und gesetzliche Verschwiegenheitspflichten und dem Hinweis, an anderer Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt geheim berichtet zu haben, oder nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages die Informationen nach VS-Eintrag in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zu hinterlegen, die Antwort nicht verweigern.
Information über Aufsichtsmaßnahmen konnte nicht unter Verweis auf Vertrauensverluste und negative Marktreaktionen verweigert werden
Die Bundesregierung habe auch ihrer Antwortpflicht hinsichtlich der Kleinen Anfrage "Ausübung parlamentarischer Kontrollrechte im Bereich Finanzmarkt" (BT-Drs. 17/3740) überwiegend nicht genügt. Allein die nicht näher begründete Annahme, schon das Bekanntwerden der Kontrollintensität der Bankenaufsicht im Hinblick auf einzelne Institute könne zu einem irreversiblen Vertrauensverlust in das jeweilige Institut mit entsprechenden Reaktionen des Marktes führen, könne in dieser Pauschalität eine Antwortverweigerung nicht begründen. In diesem Fall wäre die Tätigkeit der BaFin der parlamentarischen Kontrolle vollständig entzogen. Es lägen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kenntnis der Öffentlichkeit von Aufsichtsmaßnahmen der Jahre 2005 bis 2008 bei bekanntermaßen in Schieflage geratenen und gestützten Instituten noch Ende 2010/Anfang 2011 tatsächlich zu negativen Reaktionen auf den Märkten hätte führen können.
Auskünfte zu Gehalts- und Bonuszahlungen zu Unrecht nur eingestuft in Geheimschutzstelle des Bundestags erteilt
Zudem habe die Antragsgegnerin zu Unrecht die Antwort auf die Frage zu den Gehalts- und Bonuszahlungen über 500.000 Euro bei gestützten Finanzinstituten nur eingestuft erteilt, denn das parlamentarische Interesse an einer öffentlichen Antwort mit dem Ziel der Kontrolle der Mitarbeitervergütung bei gestützten Finanzinstituten und damit der Verwendung von Steuermitteln überwiege das Interesse an der Geheimhaltung dieser Informationen. Lediglich in Bezug auf die Risikobewertung (Zwölf-Felder-Matrix) später gestützter Finanzinstitute in den Jahren 2005 bis 2008 habe die Bundesregierung die Antwort berechtigterweise in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt, so das BVerfG. Eine Information der Öffentlichkeit durch Offenlegung der Risikoeinstufung nur einiger Institute könne die Gefahr begründen, dass der Markt mangels weiterer Anhaltspunkte jede Einstufung unterhalb der höchsten Stufe als negativ ansehen könnte.